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Der Journalist Nadim Sener (Mitte), hier auf dem Weg zum Gericht, hatte vor seiner Festnahme Fehler der Polizei publik gemacht.

© dpa

Journalisten als Staatsfeinde?: Pressefreiheit: Türkische Behörden in der Kritik

Nach der Verhaftung mehrerer Journalisten im Zuge von Ermittlungen gegen Putschisten in der türkischen Armee wird im In- und Ausland der Vorwurf laut, die Behörden wollten die freie Presse knebeln.

Völlig absurd ist die Vorstellung, dass Medien als Befehlsempfänger der Militärs auftreten, in der Türkei zwar nicht. Doch die jüngsten Verhaftungen trafen ausgewiesene Putschgegner, und das hat der Glaubwürdigkeit des Verfahrens gegen die Umstürzler einen schweren Schlag versetzt. Die gesellschaftliche Unterstützung für das Vorgehen gegen putschwütige Militärs gerät ins Wanken.

Nachdem am Sonntag die Reporter Nedim Sener und Ahmet Sik in Untersuchungshaft gesteckt worden waren, erließ ein Istanbuler Gericht am Montag Haftbefehle gegen weitere vier Journalisten und einen Autor. Ihnen allen wird Mitgliedschaft in der Ergenekon-Gruppe vorgeworfen, einer Organisation aus nationalistischen Militärs und Zivilisten, die einen Putsch gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant haben soll. Insbesondere die Verhaftung von Sener und Sik sorgte für einen Aufschrei der Empörung: Sie sind als Putschgegner bekannt.

Einige Beobachter vermuten, die beiden seien nicht wegen Ergenekon, sondern aus ganz anderen Gründen kaltgestellt worden. Sener hatte auf Fehler der Polizei nach dem Mord an dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink aufmerksam gemacht; Sik arbeitet an einem Buch über die seiner Meinung nach wachsende Rolle einer islamistischen Bewegung in den Polizeikräften. Der zuständige Staatsanwalt Zekeriya Öz dementierte, dass die beiden deshalb in Haft sitzen, weigerte sich aber, die wahren Gründe zu nennen.

Journalisten protestierten in Kommentaren und bei Demonstrationen gegen die Verhaftungen. Auch die EU und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigten sich besorgt. Nicht immer löst das Vorgehen der türkischen Justiz gegen die Presse einen solchen Proteststurm aus: Dutzende von Reportern stehen vor Gericht, weil sie mit Berichten über Putschpläne der Armee staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gestört haben sollen. Große Demonstrationen dagegen gibt es nicht.

Auch haben einige türkische Medien in der Vergangenheit genau das getan, was die Anklage nun den Journalisten vorwirft: Sie haben undemokratische Elemente in der Armee unterstützt. So denunzierten große Zeitungen 1998 nach Ermunterung durch Militärs einige kritische Journalisten und Aktivisten als PKK-Gefolgsleute – und gaben sie damit im wahrsten Sinne des Wortes zum Abschuss frei: Einer der Genannten, der Menschenrechtler Akin Birdal, wurde kurz darauf bei einem Mordanschlag schwer verletzt. Noch vor wenigen Jahren forderten einige türkische Medien und Kommentatoren mehr oder weniger offen einen Militärputsch gegen die Erdogan-Regierung.

Staatsanwalt Öz will beweisen, dass einzelne Journalisten einen Schritt weitergingen und Putschisten aktiv unterstützten. Zumindest bei Sener und Sik erweckt er aber den Eindruck, es gehe ihm eher um seinen eigenen Ehrgeiz oder um die Einschüchterung von Medienvertretern.

Mindestens ebenso bedenklich sind die Folgen für den Blick der Öffentlichkeit auf die Ermittlungen bei der Ergenekon. Obwohl die Nachforschungen schon vor vier Jahren begannen und obwohl keiner der fast 300 Ergenekon-Angeklagten bisher rechtskräftig verurteilt wurde, war die Unterstützung für das Vorgehen von Staatsanwalt Öz bisher groß. Viele Kommentatoren und Intellektuelle lobten die Abrechnung mit Ergenekon als historische Weichenstellung für die Türkei: Zum ersten Mal müssen sich Putschisten im Land vor Gericht verantworten.

Gerade deshalb ist die Inhaftierung der Journalisten Sener und Sik ein schwerer Schock. Die Verhaftungen könnten der Ansicht Auftrieb geben, dass der Fall Ergenekon nur dazu diene, Regierungsgegner zu verfolgen, warnte der Politologe Sahin Alpay in der Zeitung „Zaman“, die der Regierung nahesteht. Ministerpräsident Erdogan ist sich offenbar dieser Gefahr bewusst: Er erklärte öffentlich, seine Regierung habe nichts mit den Verhaftungen zu tun.

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