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Auf dem Vormarsch. Irakische Truppen dringen immer weiter in der Region Kirkuk vor.

© Ahmad al Rubaye/AFP

Kurdenkonflikt im Irak: Gewinner Iran, Verlierer Amerika

Welche Folgen die jüngsten Kämpfe zwischen Kurden und der irakischen Armee für die Region haben könnten - eine Analyse.

Es geht um Einfluss, Macht, Stolz und Öl – eine hochexplosive Mischung, zumal im konfliktreichen Nahen Osten. Die Spannungen zwischen den Kurden und der irakischen Zentralmacht nach der Einnahme der Stadt Kirkuk durch die Regierungsarmee aus Bagdad könnten sich zu einem gnadenlosen Bürgerkrieg ausweiten, dessen Folgen die gesamte Region erschüttern würden.

Denn viele Interessengruppen sind involviert, die ganz unterschiedliche Vorstellungen haben und dabei ein gemeinsames Ziel vernachlässigen: den Kampf gegen den IS. Die Dschihadisten mögen ihr „Kalifat“ verloren haben – endgültig besiegt sind sie noch nicht.

Im Mittelpunkt des jüngsten Streits steht Kirkuk, Heimat von rund einer Million Arabern, Kurden, Turkmenen und aramäischen Christen. Die Stadt liegt außerhalb der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, wird aber von den Kurden beansprucht. Kirkuk und die Provinz selben Namens sind nicht zuletzt wegen der reichen Ölvorräte in ihrer Umgebung zwischen den Kurden und der Regierung in Bagdad umstritten.

In der Region sollen rund vier Prozent der weltweiten Ölvorräte schlummern. Die Einnahmen aus dem Verkauf des Öls könnten einen Kurdenstaat im Norden Iraks wirtschaftlich lebensfähig machen.

Die nordirakischen Kurden hatten die Stadt vor drei Jahren besetzt, nachdem die irakische Bundesarmee vor dem Ansturm des IS geflohen war. Für sie geht es in Kirkuk um mehr als nur um Öl. Kirkuk sei das Jerusalem der Kurden, meint Michaeil Weiss, Nahostexperte und Kommentator beim US-Fernsehsender CNN.

Der derzeitige Vormarsch der irakischen Regierungsarmee und iranisch unterstützter Milizen ist eine Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak vom 25. September. Es sei an der Zeit, die „nationale Einheit“ wiederherzustellen, erklärte Iraks Premier Haider al Abadi. Er will verhindern, dass die Bodenschätze von Kirkuk einem möglichen Kurdenstaat zufallen.

Der Streit um die Stadt hängt auch mit der Schwächung des IS zusammen. Am Dienstag meldete die Rebellenallianz SDF die vollständige Vertreibung der Dschihadisten aus deren ehemaligen „Kalifatshauptstadt“ Rakka in Syrien. Die jüngsten Siege gegen den IS lassen andere ungelöste Konflikte, die durch den Kampf gegen die Extremisten überdeckt wurden, wieder offen hervortreten.

Inzwischen kontrollieren irakische Einheiten einige wichtige Ölfelder in der Region.
Inzwischen kontrollieren irakische Einheiten einige wichtige Ölfelder in der Region.

© Ahmad al Rubaye/AFP

Für viele Kurden ist der Verlust von Kirkuk eine Tragödie, die die Hoffnung auf einen eigenen Staat nachhaltig erschüttert. Die Regierungsarmee rückte nicht nur in Kirkuk vor, sondern auch in der bisher von den Kurden kontrollierten Gegend um Sindschar an der Grenze zu Syrien. Darüber hinaus verschärft die Niederlage innere Gegensätze bei den Kurden. Präsident Mesud Barzani, der sich nach dem Unabhängigkeitsvotum auf dem Höhepunkt seiner Macht wähnte, sei als einfacher „Clanchef“ mit begrenztem Einfluss entlarvt worden, schreibt der türkische Politologe Bora Bayraktar auf Twitter.

Zu den Gewinnern der Entwicklung zählt die Türkei, die vehement gegen die Errichtung eines Kurdenstaates im Nordirak eintritt. Auch die Interessen Ankaras tragen dazu bei, aus Kirkuk ein Pulverfass zu machen: Türkische Nationalisten haben damit gedroht, 5000 Bewaffnete in Marsch zu setzen, falls den mit der Türkei verbündeten Turkmenen in der Stadt etwas zustoßen sollte.

Auch für den Iran ist der Erfolg der irakischen Regierungsarmee in Kirkuk eine willkommene Nachricht. Aus Sicht der Herrscher in Teheran geht es kurzfristig darum, die irakischen Kurden in die Schranken zu weisen und so zu verhindern, dass sich die iranischen Kurden den Autonomiebestrebungen anschließen.

Auf mittlere Sicht will Irans politische Führung ihren Einfluss ausweiten. Das strategische Fernziel lautet: Es soll ein „schiitischer Halbmond“ entstehen, ein Korridor vom Libanon über Syrien bis zum Jemen – gerade für Irans Erzfeinde Saudi-Arabien und Israel ein Horrorszenario.

Dem Irak kommt bei der Errichtung des „Halbmonds“ eine wichtige Rolle zu. Schon seit Jahren sind die Regierenden in Bagdad von der Unterstützung und dem Wohlwollen der Mullahs abhängig, nicht zuletzt militärisch. Die regulären Armeeverbände würden ohne schiitische Milizen dramatisch an Schlagkraft einbüßen.

Vor allem die für ihre Grausamkeit berüchtigten und von Sunniten deshalb gefürchteten „Volksmobilisierungseinheiten“ werden vom Iran finanziert und gelenkt. Einer, der immer an vorderster Front dabei ist, heißt Generalmajor Quassim Suleimani. Er ist der Kommandant der Al-Quds-Brigaden, als Elitetruppe der Revolutionsgarden zuständig für Auslandseinsätze. Sein Auftrag: Irans Macht vergrößern. Mit allen Mitteln.

Für Washington ist mit den Kämpfen um Kirkuk ein Albtraum amerikanischer Nahostpolitik Wirklichkeit geworden: Zwei Verbündete im Kampf gegen den IS – Kurden und Iraker – fallen übereinander her, während sich der IS und der Iran die Hände reiben.

Zeitweise standen sich in Kirkuk amerikanische Humvee-Militärfahrzeuge der Kurden und die ebenfalls von den USA gelieferten Fahrzeuge und Panzer der irakischen Regierungsarmee gegenüber. „Der IS bleibt der eigentliche Feind des Irak“, mahnte die US-Botschaft in Bagdad. Vergeblich.

US-Präsident Donald Trump erklärte jetzt, sein Land sei im Streit zwischen den Kurden und der irakischen Regierung neutral. Doch Washington wird sich wohl kaum so einfach aus der Region heraushalten können. Nach Informationen der nordirakischen Nachrichten-Website Rudaw nutzte der „Islamische Staat“ die Kämpfe um Kirkuk, um im Norden der Stadt nach den Niederlagen der jüngsten Zeit eine Gegenoffensive zu starten.

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