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© Gregor Fischer/dpa

Lebenslang für Ku'damm-Raser: Warum das Raser-Urteil problematisch ist

Die Höchststrafe auf Männer anzuwenden, deren Tat erst aufgrund eines Zufalls zu einer solchen wurde, wirft Widersprüche auf. Zum Mörder wird man nicht durch Zufall. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Sie starb fröhlich, ohne Angst und Ahnung von Gefahr. Sie kam mit ihrem Mann von einer Weihnachtsfeier, das Paar wartete an einer roten Ampel, als ein betrunkener Raser von der Steglitzer Autobahn hinunterschoss und ihr nach 44 Jahren das Leben und vier Kindern die Mutter nahm. Einer zugewandten, liebenswürdigen Frau, die sicher war, gleich erschöpft und friedlich in ihr Bett zu fallen. Fahrlässige Tötung, zwei Jahre Haft auf Bewährung, fünf Jahre Führerscheinentzug; Routinebilanz des Unfallschadens einer Dezembernacht vor drei Jahren. Eine Strafe, die eigentlich keine ist angesichts einer zerstörten Familie und kaum zu ermessender Trauer.

Auch und gerade von diesen Fällen sollte die Rede sein, wenn jetzt das Urteil im Prozess um das illegale Autorennen in der Berliner City öffentlich diskutiert wird. Wegweisend soll es sein, weil es die übermütigen Todesfahrer in die Schranken weist. Rechtsgeschichte soll es schreiben, weil es den Tätern klar macht, dass jemand, der derartige Gefahren heraufbeschwört, jederzeit zum Mörder werden kann. Trotz der Genugtuung über die endlich erkennbare Härte bleiben allerdings Zweifel an der Gerechtigkeit des Urteils.

Das Urteil sollte auch auf Schlägereien, insbesondere beim Einsatz von Messern, Schlaggeräte usw. richtungsweisend sein. Persönlich hoffe ich, dass das Urteil auch in der nächsten Instanz bestehen bleibt und sich das Verfassungsgericht damit auseinandersetzen muss.

schreibt NutzerIn Weltkugel

Das Auto als Waffe

Seit Jahren und Jahrzehnten sterben Menschen auf deutschen Straßen, getötet von Leuten, die solches zwar niemals beabsichtigt haben, aber die wissen mussten, dass es jederzeit passieren kann. Anderes erscheint ihnen nötiger, wichtiger oder schöner als die erforderliche Rücksicht. Nervenkitzel etwa, Machtgefühl, Temporausch. Oder auch Frust ablassen. Alle wissen, dass ein Auto dann eine tödliche Waffe sein kann. Sie alle rasen trotzdem. Es ist der tägliche Wahnsinn.

Es wäre zu wünschen, dass mit dem Urteil vom Montag ein Wandel einsetzt, der mehr als die Fälle der so genannten illegalen Autorennen erfasst. Denn wenn die damit neu aufgestellten Maßstäbe wirklich greifen sollen, wird man sich der Einsicht kaum verschließen können, dass viele Morde der Vergangenheit ungesühnt geblieben sein könnten. Dass die Raserei jetzt organisiert war und die Ignoranz des Risikos beispiellos, steigert das Unrecht zwar, jedoch nicht so beträchtlich, dass dafür ein Unterschied zwischen zwei Jahren auf Bewährung und Lebenslang gemacht werden müsste. Der Wahnsinn ist derselbe.

Richter im Dilemma

Tatsächlich stecken Richter hier in einem Dilemma. Fahrlässige Tötung mit einer Höchststrafe von fünf Jahren ist vielen bei solchen Taten zu niedrig. Erkennen sie auf Vorsatz, auf Totschlag also, drängt sich im Straßenverkehr das Auto als „gemeingefährliches Mittel“ und damit als typisches Mordmerkmal auf. Dann muss wegen Mordes verurteilt werden, zu Lebenslang. Weniger gibt das Gesetz nicht her. Ein strikte Systematik.

Hier dürfte ein wesentlicher Grund dafür liegen, weshalb die Justiz zurückhaltend damit war, bei rücksichtslosen Rasern einen Tötungsvorsatz anzunehmen. Sie straft lieber zu mild als zu scharf, lieber wegen Fahrlässigkeit als wegen Vorsatz. Lebenslang, das ist die Höchststrafe im deutschen Recht für das schwerste Verbrechen, das ein Einzelner begehen kann. Sie anzuwenden auf Männer und ihre Tat, die erst aufgrund eines Zufalls – weil ihnen ein anderer Fahrer in die Quere kam – zu einer ebensolchen werden konnte, wirft Widersprüche auf. Zum Mörder wird man nicht aus Zufall. Sollte der Schuldspruch vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben, wird der Druck auf Staatsanwaltschaften wachsen, solche Taten als Mord oder Totschlag anzuklagen. Häufigere Anklagen wegen Mordes werden vielleicht, wie gewünscht, einige abschrecken. Verurteilungen wegen Mordes werden dennoch nicht immer der tatsächlichen Schuld angemessen sein.

Bundesjustizminister Heiko Maas hatte seine Amtszeit mit dem Projekt angetreten, das strikte Verhältnis von Mord und Totschlag aufzubrechen, damit Richter flexibler und gerechter strafen können. Es blieb unvollendet. Das Berliner Mordurteil zeigt, dass darin ein Versäumnis liegen könnte.

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