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Update

Medienkritik im Internet: Vorschnell islamistisch

Von Niggemeier bis Polenz: In sozialen Netzwerken machen Internetnutzer ihrer Kritik an den Medien Luft. Denn diese vermuteten vorschnell Islamisten hinter den Anschlägen von Norwegen.

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Eine Bombe explodiert mitten im Zentrum der norwegischen Hauptstadt. Sofort läuft die Nachrichtenmaschine heiß: Neben den Schilderungen, was passiert ist, beginnen die Spekulationen, wer hinter dem Anschlag stecken könnte. Und daran beteiligen sich nicht nur Fernseh- und Radiosender, Print- und Onlinemedien sondern auch Internetnutzer auf aller Welt, die in sozialen Netzwerken, auf ihren Blogs und in Kommentaren miträtseln. Vorschnell, das heißt, bevor von den ermittelnden Behörden Informationen darüber bekannt gegeben wurden, vermuteten viele hinter dem Bombenanschlag islamistische Täter.

Auch in den Medien wurde diese Vermutung am Freitagabend verbreitet. In den Tagesthemen sprach der ARD-Terrorexperte Rainald Becker über die "ziemlich sichere Vermutung", dass die Tat einen islamistischen Hintergrund haben könnte. Zu dieser Zeit drang allerdings bereits durch die Nachrichtenkanäle, dass der mutmaßliche Täter festgenommen wurde: ein 32-jähriger Norweger mit Namen Anders Behring Breivik, der nach Polizeiangaben christlich-fundamentalistische und rechte Einstellungen hat. Taz-Blogger Karim El-Gawhary fordert daraufhin kurzerhand die Abschaffung des Berufs Terrorexperte.

Medienkritiker und Blogger Stefan Niggemeier kürte auf seinem Blog gar den "dümmsten voreiligen" Kommentar zu den Anschlägen. Per Screenshot hielt er einen Kommentar in der Fuldaer Zeitung für die Ewigkeit fest - das Original verschwand wenig später aus dem Netz. Ein Redakteur zog dort Parallelen zwischen der liberalen norwegischen Einwanderungspolitik und der Angreifbarkeit des Landes.

Die "Sun" machte flugs ein Al-Qaida-Massaker aus den Anschlägen in Norwegen und zog Parallelen zum 11. September.
Die "Sun" machte flugs ein Al-Qaida-Massaker aus den Anschlägen in Norwegen und zog Parallelen zum 11. September.

© Billy Bragg

Auch auf Twitter kritisierten zahlreiche User die Berichterstattung der Medien. "Er ist blond und blauäugig. Also ist von keinem Migrationshintergrund auszugehen. ARD-Tagesthemen. #absurd norwegen", schreibt etwa die Userin Maria Sterkl am Freitagabend. Und User BohemianBerlin zwitschert: "Neben der Bestürzung über das Massaker in Oslo entsetzt über das gestrige Islamhysterie-Bullshitbingo der TV-Medien."

Doch auch Onlinemedien, wie Spiegel Online, bekommen ihr Fett weg: "In Oslo gab es eine Explosion. SPON vermutet, es war ein islamistischer Terroranschlag. Ich vermute, in Oslo gab es eine Explosion", spottet User nichtstefanraab.

Auf Facebook läuft die Debatte ähnlich lebhaft. Der im sozialen Medium stets umtriebige CDU-Politiker Ruprecht Polenz zum Beispiel fragt rhetorisch Folgendes auf seiner Seite: "Warum haben Welt-online, Spiegel-online und andere ihre gestern eilig eingestellten Artikel, die über einen dschihadistischen Hintergrund der Morde von Oslo selbstgewiss spekulierten, KOMMENTARLOS aus dem Netz genommen?" An den Polenz-Post schließt sich eine Debatte mit vielen Wortmeldungen an. Das Thema trifft offenbar einen Nerv.

Am konsequentesten lag aber wohl die britische "Sun" daneben: "'Al-Qaeda Massacre. Norway's 9/11", titelte das Boulevard-Blatt aus dem Hause Murdoch. Natürlich wird dieses Cover nun genüsslich im Netz verbreitet, etwa auf der vielgelesenen Facebook-Seite des britischen Musikers Billy Bragg.

Auch der Tagesspiegel zitiert in seiner gedruckten Ausgabe vom Samstag einen Terrorexperten, der mehrere Szenarien entwirft, aber einen islamistischen Anschlag für am plausibelsten hält. Die gedruckte Ausgabe liegt auch im Netz am jeweiligen Tag unter der Rubrik "Zeitung heute" vor.

Doch nicht nur Medien, auch die Internetnutzer selbst beteiligten sich gleich nach den ersten Meldungen an den Spekulationen. Etwa zwei Drittel der Kommentare, die auf Tagesspiegel.de von Usern geschrieben wurden, unterstellten islamistische Motive. Unsere Commnuity-Manager veröffentlichten solche Kommentare mit Unterstellungen und Verschwörungstheorien allerdings nicht, zumal einige Male sogar zu Gewalt aufgerufen wurde.

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