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Mehrgenerationenhäuser geben eine Antwort auf den demografischen Wandel.

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Mehrgenerationenhäuser: Alles unter einem Dach

Dass Alt und Jung früher in dörflichem Idyll miteinander gelebt haben, ist ein Märchen. Heute sind Mehrgenerationenhäuser eine Antwort auf den demografischen Wandel in der Gesellschaft. Gratis und franko wird das demokratische Dach über dem Generationenhaus aber nicht gebaut.

Von Caroline Fetscher

Anekdoten von Afrikanern, die Europa kommentieren, sind inzwischen Klassiker. Beliebt ist etwa der Ausspruch des entsetzten Reisenden, der seiner Familie in den Tropen schreibt: „Ihr glaubt es nicht, die Europäer schieben ihre Alten in Heime ab!“ Die Basis solcher umgekehrten Ethnologie ist der Mythos von ursprünglichen, solidarischen Gesellschaften, fern den Industrienationen mit ihrer Segregation der Generationen.

Diese Segregation aber wird umso drastischer spürbar, je breiter die Alterspyramide wird. Immer mehr ältere alte Menschen stehen immer weniger Nachgeborenen gegenüber. Schlagzeilen wie „Wohin mit Oma?“, die Hilferufe pflegender Angehöriger und der bange Blick in die Rentenkassen, all das alarmiert die Politiker. Kanzlerin Angela Merkel hat eine „Demografie-Reise“ angetreten, um Probleme zu erkunden und Lösungen zu verkünden. Ihr Aufruf gilt dem „Zusammenhalt der Generationen“. Jüngere und Ältere, erklärt die Christdemokratin, müssten mehr Verantwortung füreinander übernehmen, die Älteren sollten länger arbeiten, die Gesellschaft müsse aktiv dafür sorgen, Jüngere in Ausbildung, Lohn und Brot zu bringen. Selbst wenn all das anrollt und gut läuft, wird die soziale Frage bleiben, wie wir leben, wo, wie, mit wem wir wohnen werden.

Damit nicht aus halb Deutschland eine riesige Rentnersiedlung mit Heimcharakter wird, werden neue Modelle entworfen. So besucht Merkel auf ihrer Reise auch eines der 500 Mehrgenerationenhäuser, die das Familienministerium fördert. Dorflinde Langenfeld liegt östlich von Würzburg in einer Dorfmitte. Drei Dutzend Ehrenamtliche managen das erweiterte Gemeindehaus, der Europäische Sozialfonds stiftet zu. Die „bürgerschaftliche Entwicklungsphilosophie“, heißt es, gelte dem ganzen Dorf. Mit seiner Fachwerkfassade erweckt der Bau den Eindruck einer sauberen Landgaststätte. Alt und Jung können dort zusammen essen, Seniorentanz und Nordic Walking sind im Angebot, Gedächtnistraining, Konzerte, Diavorträge, Computerhilfe und eine Krabbelgruppe. Wie nüchtern sich die Praxis zur Theorie verhält, die sich betörend anhört, lässt das ahnen. Es wissen auch alle, die real mit älteren Angehörigen zu tun haben. Sie sprechen von Zeitmangel, räumlichen Distanzen, medizinischen Problemen, von sturen Alten und den Grenzen der Geduld, vom Auseinanderklaffen der Interessen und Finanzmittel rivalisierender Geschwister, von den strapaziösen Affektlagen, die all das mit sich bringt.

Dass Alt und Jung in dörflichem Idyll miteinander gelebt haben, als die Menschheit noch in Ordnung war, ist ein Märchen. Schon Erbbauern siedelten die Eltern ins Altenteil um, um den familiären Frieden zu wahren. Heute kümmern sich halb legale, osteuropäische Betreuerinnen oft intensiver um Senioren als Angehörige. Unbezahltes Ehrenamt aber bietet erst recht kaum eine Garantie für Kontinuität und Qualität, etwa in Krankheits- und Krisenphasen. Sollen mehrere Generationen tatsächlich unter einem Dach wohnen, müsste die Grundlage finanziell und personell so optimal sein, wie sie derzeit nicht einmal das Gros der Besserverdiener besitzt. Gewiss weisen die Modellprojekte, die Angela Merkel in diesen Tagen aufsucht, in die richtige Richtung. Doch ohne dass sich die Gesellschaft radikal neu überlegt, wo sich ihr Wohlstand ballen soll, wie er gut zu verteilen sei, kann hier nichts gehen. Gratis und franko wird das demokratische Dach über dem Generationenhaus nicht gebaut.

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