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Ceta, das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, hat es noch eine Chance?

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Mitbestimmung nationaler Parlamente: Das Aus für Ceta und TTIP?

Bei dem Freihandels-Abkommen mit Kanada dürfen jetzt doch die Parlamente der EU-Länder mitbestimmen. Hat Ceta damit noch eine Chance? Und was bedeutet das für TTIP?

Die EU-Kommission hat am Dienstag entschieden, dass 42 nationale und Regionalparlamente in Europa an der Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada (Ceta) beteiligt werden sollen.

Bedeutet das das Aus für Ceta?

Mit ihrer Entscheidung hat die EU-Kommission Ceta nach Befürchtung vieler Experten den politischen Todesstoß versetzt, weil einige dieser Parlamente bereits angekündigt haben, dass sie gegen Ceta stimmen wollen. Die Beteiligung so vieler Parlamente ist die Konsequenz aus dem Beschluss der EU-Kommission, Ceta als „gemischtes Abkommen“ zu behandeln, das auch in Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreife.

Was hatte die Gemüter so erregt?

Die Frage, ob nur die EU-Institutionen inklusive des Europäischen Parlaments darüber entscheiden oder die nationalen Parlamente ein Mitspracherecht haben, hatte seit Tagen die Gemüter erregt. In ihr spitzen sich Konflikte und Machtkämpfe, wer in Europa wann die entscheidende Stimme hat, beispielhaft zu. Rechtliche Argumente und politische Erwägungen liegen über Kreuz miteinander. „Brüssel“ kämpft gegen „Brüssel“, denn die verschiedenen europäischen Institutionen verfolgen unterschiedliche Interessen.

Das Problem ist nicht, wer darüber abstimmt. Das hätte das EU-Parlament genauso demokratisch legitimiert tun können. Das Problem war von Anfang an die Intransparenz des Verfahrens, die Schiedsgerichte, der Investitionsschutz. Diese Dinge hätten offener diskutiert werden müssen.

schreibt NutzerIn Gnoffo

Was bedeutet „gemischtes Abkommen“?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte zunächst mit der rechtlichen Zuständigkeit argumentiert. Handelsverträge fallen in die Kompetenz der EU, nicht in die der Nationalstaaten. Vertreter der EU handelten Ceta mit den Kanadiern aus. Repräsentanten der EU-Mitgliedsländer sitzen nicht am Verhandlungstisch. Sie haben die Zuständigkeit für Handel an die EU abgetreten. Wenn sie Bedenken oder Wünsche zu den jeweiligen Handelsgesprächen haben, wenden sie sich an die EU, damit die sie zur Sprache bringt.

Es gibt allerdings eine Variante, bei der die nationalen Parlamente beteiligt werden müssen – dann nämlich, wenn es sich um ein „gemischtes Abkommen“ handelt. Das ist dann der Fall, wenn die Inhalte nicht nur in EU-Angelegenheiten, sondern auch substanziell in nationale Kompetenzen eingreifen. Juncker hat dazu den Juristischen Dienst der EU befragt. Der war zu dem Ergebnis gelangt, Ceta sei kein gemischtes Abkommen, falle also allein in die Zuständigkeit der EU. Diese Einschätzung hatte Juncker am vergangenen Mittwoch öffentlich mitgeteilt. Die Konsequenz: An der Ratifizierung wären die EU-Kommission, der Europäische Rat (die Vertreter der nationalen Regierungen) und das Europäische Parlament beteiligt, nicht aber die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Gestern blieb die EU-Kommission bei der Einschätzung, dass Ceta rechtlich kein gemischtes Abkommen sei. „Um die Ratifizierung zu beschleunigen“, wolle sie es aber wie ein gemischtes behandeln.

Die Kritiker stufen Ceta als gemischtes Abkommen ein. Warum?

Die Kritiker der Juncker-Entscheidung argumentieren mehr politisch als juristisch. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sagte, „zu beschließen, dass die nationalen Parlamente zu diesem Handelsabkommen nichts zu sagen haben, ist unglaublich töricht“. Und er warnte, wenn die EU Ceta ohne Beteiligung der nationalen Parlamente „durchdrücken“ wolle, dann fördere das Verschwörungstheorien der Freihandelsgegner und dann „ist TTIP tot“. Über das transatlantische Wirtschaftsabkommen TTIP verhandelt die EU noch. Ob es ein gemischtes Abkommen wird oder eines, für das nur die EU zuständig ist, kann heute niemand sagen, weil das vom Vertragsinhalt abhängt. Und der wird noch ausgehandelt.

Gabriel nannte keine juristischen Gründe, warum Ceta als gemischtes Abkommen einzustufen sei. Auch andere Kritiker tun das in der Regel nicht. Juristen könnten aber durchaus Anhaltspunkte finden, zum Beispiel bei den Klauseln zum Investitionsrecht. Die Linke hatte Verfassungsklage eingereicht.

Auch beim Europäischen Gerichtshof ist ein Verfahren anhängig.

Warum wollten die Ceta-Gegner die Parlamente einbeziehen?

Mehrheitlich argumentieren die Kritiker jedoch, es sei „eine Frage der Demokratie“ und der demokratischen Legitimation, dass auch die nationalen Parlamente abstimmen. Das ist eine heikle Behauptung. Denn sie impliziert, das hat zum Beispiel der CDU-Abgeordnete Daniel Caspary moniert, dass das Europäische Parlament und der Europäische Rat, also die nationalen Regierungen, nicht demokratisch legitimiert seien. Beide sind in jedem Fall an der Ratifizierung beteiligt, auch wenn die nationalen Parlamente nicht befasst werden. Tatsächlich sehen die Freihandelsgegner im öffentlichen Druck auf nationale Parlamente den Hebel, mit dem sie Freihandelsabkommen wie Ceta und eines Tages auch TTIP zu Fall bringen wollen.

Was tun die nationalen Regierungen?

Die nationalen Regierungen haben in jedem Fall ein Mitspracherecht, da ihre Vertreter gemeinsam den Europäischen Rat bilden. In einigen Ländern gibt es aber starke Bewegungen gegen Freihandel, etwa in Österreich, Luxemburg und auch Deutschland. Darauf nehmen manche Regierungen Rücksicht. Andere, darunter Italien und Belgien, sehen keinen Grund für eine Befassung der nationalen Parlamente. Wie der Europäische Rat entschieden hätte, falls die EU-Kommission Ceta nicht als gemischtes Abkommen eingestuft hätte, ist unklar.

Welche Folgen hat die Entscheidung über die Ceta-Ratifizierung?

Die EU bekommt nach Einschätzung der Experten so oder so Probleme. Der deutsche EU-Botschafter Reinhard Silberberg erklärte das Dilemma bei einer Veranstaltung des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI) am Montagabend in Berlin so: Bezieht sie die nationalen Parlamente nicht ein, könnte der Widerstand gegen Brüsseler Freihandelsabkommen wachsen. Kommt es hingegen zur Mitsprache der nationalen Parlamente, werde die EU kaum noch Partner finden, die jahrelange Verhandlungen über solche Verträge auf sich nehmen. Es sei abschreckend, wenn am Ende der Widerstand in einem von 28 nationalen Parlamenten plus 14 Regionalparlamenten ausreiche, um die Ratifizierung zu verhindern und die Arbeit zunichte zu machen.

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