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Besucher stehen am 18.07.2016 im Dom in Berlin bei einem ökumenischen Trauergottesdienst für die Opfer des Anschlags von Nizza.

© dpa

Nach dem Anschlag von Nizza: Die "mürrische Indifferenz" des Herfried Münkler

Der Berliner Politologe Herfried Münkler empfiehlt anlässlich des Anschlags von Nizza ein Gegenmittel zum Opferdasein: "mürrische Indifferenz" und "Vergleichgültigung". Ist das richtig? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lars von Törne

Von den Berliner Schulhöfen wissen wir schon lange, dass die gemeinste Beschimpfung nichts mit Kraftmeierei und Fäkalinjurien zu tun hat. Sie lautet einfach „Du Opfer“. Wer es nicht geschafft hat, auf die Seite der angeblich Stärkeren zu wechseln, wer nicht mit der Mehrheit prügelt und den richtigen Moment zum Zuschlagen verpasst, der wird eben Opfer und damit, wenn er Pech hat, auch gleich zum Ziel der nächsten Attacken.

Die demokratische, säkulare Gesellschaft insgesamt wird leicht so ein Opfer, nämlich immer dann, wenn ein Attentäter mit seinen Plänen durchkommt und Menschen umbringt wie gerade in Nizza. Wir alle sind Opfer, wirken schwach, trauern und debattieren end- und fruchtlos über geeignete Gegenmaßnahmen – und zeigen uns dabei zwangsläufig verletzlich, was Terroristen freut und zur nächsten Tat anstachelt.

Der umtriebige Berliner Politologe Herfried Münkler hat ein Gegenmittel gegen das Opferdasein parat, das er anlässlich des Anschlags von Nizza wieder ins Gespräch gebracht hat: die „mürrische Indifferenz“ und „Vergleichgültigung“. Übersetzt heißt das ungefähr so viel wie: Bloß nicht aufregen, nicht trauern, nicht frohlocken, einfach nur weitermachen, als hätten Anschläge überhaupt nicht stattgefunden. Damit, so meint er, könne man Terroristen um die Frucht ihrer Taten bringen. Seufz, schon wieder so ein Anschlag, kann ich noch einen Cappuccino haben?

Die Kühle des Wissenschaftlers

Schwer, die Kühle des analysierenden Politikwissenschaftlers in alltägliches Handeln umzusetzen. Am gestrigen Montag hat im Berliner Dom ein Trauergottesdienst stattgefunden. Wie wäre eine solche Veranstaltung wohl im Zeichen mürrischer Indifferenz abgelaufen? Die aufgeregte Berichterstattung über Tage, empörte Talk-Shows, das Tosen im Internet, all das ist so ungefähr das Gegenteil der vorgeschlagenen Vergleichgültigung.

Aber kann man sich vorstellen, dass sie in der Terrorzentrale ARD sehen, verärgert bemerken, dass ihre Tat nicht mal für einen ARD-Brennpunkt gereicht hat, und auf Ackerbau und Viehzucht umsatteln? Oder nicht im Gegenteil, dass sie beim nächsten Mal härter zuschlagen?

Die vergleichgültigte westliche Gesellschaft ist möglicherweise kein Opfer mehr. Aber möchte jemand drin leben?

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