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Die Flüchtlingskrise: Ein Dauerthema in Europa.

© REUTERS

Newsblog zur Flüchtlingskrise: Angela Merkel weist Horst Seehofer in die Schranken

Kanzlerin lässt sich nicht auf "Ultimatum" des CSU-Chefs ein. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ruft vor EU-Parlament zum Handeln auf. Die Ereignisse im Newsblog.

Angela Merkel lässt Horst Seehofer auflaufen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die ultimative Forderung von CSU-Chef Horst Seehofer nach einem Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik zurückgewiesen. "Wir können den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen, sondern müssen Schritt für Schritt vorgehen", sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Sie verwies auf die jüngsten europäischen Beschlüsse zum Umgang mit der Flüchtlingskrise: "Wir haben eine enge Zusammenarbeit auf der Balkanroute verabredet und Maßnahmen zur Verbesserung der organisatorischen Abläufe."

Seehofer hatte Merkel zuvor aufgefordert, bis zum 1. November bayerische Forderungen nach einer Begrenzung des Flüchtlingszuzugs umzusetzen; andernfalls behalte Bayern es sich vor, auf eigene Faust zu handeln. Mit Blick auf diese Äußerung bezeichnete Merkel wiederum den 1. November als "interessanten Tag" - allerdings wegen der Wahl in der Türkei, die für dieses Datum geplant ist. Nach dieser Wahl könne dann der europäisch-türkische Aktionsplan zur Flüchtlingskrise umgesetzt werden, sagte die Kanzlerin. "Wir müssen bei den Ursachen ansetzen."
Die Kanzlerin ließ auch Seehofers Aufforderung abprallen, umgehend mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann über eine Begrenzung der Weiterreise von Flüchtlingen aus Österreich nach Bayern zu sprechen. Sie pflege "konstante Kontakte" nach Österreich, sagte sie. "Heute schon wieder, morgen und übermorgen auch". Dies sei "die Normalität unseres Handelns". Der österreichische Kanzleramtsminister Josef Ostermeyer hatte bereits zuvor darauf verwiesen, Faymann stehe in "engstem Kontakt" mit Merkel. Auf Ebene der Mitarbeiter in beiden Kanzlerämtern werde mehrmals täglich kommuniziert, meldete die Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf Angaben aus Wien

Dessen ungeachtet hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Nachmittag noch einmal in Richtung Österreich nachgelegt: Derzeit würden ohne Ankündigung tausende Flüchtlinge an die grüne Grenze zu Deutschland gebracht, die sei ein "unverantwortliches Verhalten der österreichischen Regierung, das ich nur als skandalös bezeichnen kann", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstag in München vor Journalisten. "Es ist ohne Beispiel in den letzten Jahrzehnten."

Österreich umgehe mit dem Transport von Flüchtlingen an die Grenze "ganz offensichtlich" absichtlich die deutschen Grenzkontrollen, sagte Herrmann. Alleine vom Organisatorischen her wären manche Probleme zu reduzieren, wenn die österreichischen Behörden mit den Bayern reden würden. Dies machten die Verantwortlichen im Nachbarland aber nicht. Inzwischen liege eine Gefahr für die öffentliche Ordnung in Deutschland vor. "Das können wir uns von niemandem gefallen lassen und schon gar nicht von unserem Nachbarland Österreich," sagte Herrmann. Laut Herrmann hat die bayerische Polizei seit dem 5. September 318.000 Flüchtlinge beim Grenzübertritt registriert. Außerdem gibt es der Landesregierung zufolge 59.000 Flüchtlinge, die sich seitdem direkt in Erstaufnahmeeinrichtungen gemeldet haben. Unter diesen 59.000 seien womöglich einige bereits unter den von der Polizei registrierten 318.000.

Dramatische Szenen an der türkisch-syrischen Grenze bei Akcakale im Südosten der Türkei, wo syrische Flüchtlinge über die Grenze wollen.
Dramatische Szenen an der türkisch-syrischen Grenze bei Akcakale im Südosten der Türkei, wo syrische Flüchtlinge über die Grenze wollen.

© dpa/EPA

700.000 Flüchtlinge kamen übers Meer: Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind in diesem Jahr bereits mehr als 700.000 Migranten und Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa gelangt. 3210 Menschen seien bei ihrer gefährlichen Reise ums Leben gekommen oder verschwunden, teilte das UN-Flüchtlingshochkommissariat am Dienstag in Genf mit. Von denen, die es geschafft haben, trafen 562.355 in Griechenland und 140.000 in Italien ein. Von denen, welche die griechische Küste erreichten, seien 64 Prozent Syrer. "Die Zahl der Ankömmlinge ist trotz des schlechteren Wetters weiter hoch", teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. Der IOM zufolge wurden alleine am Samstag in Griechenland 5239 Neuankömmlinge gezählt, am Sonntag dann 4199. Seit Anfang Oktober seien es insgesamt mehr als 160.000 Menschen gewesen, die aus der Türkei kommend griechische Ägäis-Inseln erreicht hätten, alleine 99.000 davon die Insel Lesbos. In Italien kommen dagegen weniger Menschen an als im Vorjahr.

EU-Kommissionschef Juncker dringt auf Absprachen mit Türkei: Zur Eindämmung des Flüchtlingsandrangs hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eine zügige Umsetzung des Aktionsplans mit der Türkei angemahnt. Die Türkei brauche drei Milliarden Euro und sei im Gegenzug bereit, die Flüchtlinge im Land zu halten, sagte Juncker am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg. Jetzt seien dringend konkrete Absprachen nötig, und es sei nicht die Zeit, die türkische Regierung auf Verstöße gegen die Menschenrechte hinzuweisen - „ob uns das gefällt, oder nicht“.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede vor dem Europaparlament am Dienstag in Strasbourg.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seiner Rede vor dem Europaparlament am Dienstag in Strasbourg.

© Patrick Seeger/dpa

Juncker warnte vor einer „humanitären Katastrophe“ zum Winteranfang und kritisierte die EU-Regierungen, ihre Verpflichtungen nicht einzuhalten. „Die EU-Staaten müssen das tun, was sie versprochen haben.“ Eine Reihe von Staaten hätten mitgeteilt, dass sie bald 700 Menschen umsiedeln würden, „wir dürfe nicht vergessen, dass wir einen Beschluss für die Umsiedlung von 160.000 Menschen haben“, sagte der Kommissionspräsident. Zugleich knüpfte Juncker die Aufnahme von Asylsuchenden in Europa an Bedingungen. „Keine Registrierung, keine Rechte“, sagte er. „Und das müssen die Flüchtlinge wissen.“ Flüchtlinge die nach Europa kämen, hätten auch Verpflichtungen zu erfüllen.

Österreich verweist auf enge Abstimmung mit Deutschland: Angesichts anhaltend hoher Flüchtlingszahlen will sich die österreichische Regierung nach eigener Aussage mit Deutschland abstimmen. „Bundeskanzler Werner Faymann ist in engstem Kontakt mit Kanzlerin Angela Merkel“, sagte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) am Dienstag in Wien. „Auch auf Koordinatorenebene bin ich in Abstimmung mit dem deutschen Kanzleramtsminister Peter Altmeier.“ Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte Österreich zuvor mangelnde Koordination des Flüchtlingszustroms an der Grenze zu Bayern vorgeworfen. Mit Blick auf diese Aussagen sagte Ostermayer weiter: „Wenn die Flüchtlinge einmal unterwegs sind, geht es nur mehr darum zu entscheiden, versorgt man die Menschen medizinisch und mit Nahrungsmitteln oder lässt man sie erfrieren. In dieser herausfordernden Situation müssen wir menschlich handeln.“ Entscheidend sei jedoch, dass sich die Menschen erst gar nicht in Bewegung setzten, sagte Ostermayer. Deshalb sei unter anderem eine Zusammenarbeit mit der Türkei nötig. Zudem müssten Flüchtlinge bereits an der EU-Außengrenze registriert werden.

Mehr Bundespolizisten nach Slowenien und Griechenland: Die Bundespolizei wird wegen des großen Zuzugs von Flüchtlingen Richtung Europäische Union laut Medienberichten ihren Einsatz an den EU-Außengrenzen ausweiten. Demnach hat die Bundesregierung eine Verstärkung des Polizeikontingents in Griechenland bereits zugesagt, für die Grenzsicherung in Slowenien werde die Entsendung von deutschen Polizeibeamten geprüft, berichtet die Funke Mediengruppe unter Berufung auf das Bundesinnenministerium.

Eine Ministeriumssprecherin sagte demnach, dass die Regierung für die Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland 50 zusätzliche Beamte der Bundespolizei angeboten habe. Zudem sollen in Kürze deutsche Polizeibeamte nach Slowenien entsandt werden, wie die "Mitteldeutsche Zeitung" schreibt. Die Größenordnung stehe noch nicht fest.

Schon jetzt beteilige sich die Bundespolizei am Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union. Laut Bundesinnenministerium werden demnach in diesem Jahr mehr als 240 Polizeivollzugsbeamte und 65 weitere Experten zur Grenzsicherung in EU-Staaten entsandt.

Die Gewerkschaft der Polizei unterstützt das stärkere deutsche Engagement, warnt aber vor einer Überlastung der Bundespolizei. "Wir haben nicht das Personal. Das wird zu Abstrichen im Inlandsdienst führen", sagte Gewerkschafts-Vize Jörg Radek. Dennoch dürfe sich Deutschland nicht zurückhalten, wenn es jetzt um einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenze gehe.

Die Bundespolizei zählt 38.000 Beamte. Sie werden zur Grenzsicherung sowie an Bahnhöfen und Flughäfen eingesetzt. 2.200 tun davon derzeit an der deutsch-österreichischen Grenze im Zuge der Flüchtlingskrise Dienst - viermal so viel wie normalerweise. 40 Beamte sind Teil der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Weitere zehn sind jeweils nach Albanien und Serbien entsandt.

Horst Seehofer stänkert gegen Österreich und die Kanzlerin: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat indes Österreich mangelnde Koordination an den ost- und südostbayerischen Grenzen vorgeworfen und sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Pflicht.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat Österreich in der Flüchtlingskrise kritisiert.
Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat Österreich in der Flüchtlingskrise kritisiert.

© dpa/Matthias Balk

"Dieses Verhalten Österreichs belastet die nachbarschaftlichen Beziehungen. So kann und darf man nicht miteinander umgehen", sagte der CSU-Vorsitzende der "Passauer Neuen Presse". In Bayern beklagen Behörden unter anderem, dass Österreich entgegen Absprachen ohne Vorankündigung Tausende Flüchtlinge an die bayerische Grenze bringt.

Es sei nun Merkels Aufgabe, mit der Regierung in Wien zu sprechen. "Sie hat ja mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann am 4. September eine Entscheidung getroffen, die die Politik der offenen Grenzen eingeleitet hat. Das kann und muss die Bundeskanzlerin beenden", sagte Seehofer.

Der Schlüssel liege bei Merkel und Faymann. "Sie müssen diese Praxis beenden", verlangte Seehofer. Dazu genüge ein Telefonat - "als die Grenze am 4. September durch die Bundeskanzlerin und den Bundeskanzler geöffnet wurde, hatte auch ein Telefonat genügt", sagte Seehofer. Er bekräftigte seine Forderung nach einer Steuerung und generellen Begrenzung des Flüchtlingszustroms. Das unabgestimmte Durchwinken von Flüchtlingen auf der Balkanroute müsse sofort beendet werden.

Sogenannte Transitzonen in Koalition weiter umstritten: Die von der Union in dem Zusammenhang geforderten Transitzonen für Flüchtlinge wollen die Sozialdemokraten nicht haben. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner betonte am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin, "Internierungsanstalten" für Flüchtlinge werde es mit seiner Partei nicht geben. Es handle sich zudem um eine Scheinlösung. Entscheidend sei eine Beschleunigung der Asylverfahren in den Kommunen.
Der Grünen-Politiker Thomas Gambke hält Transitzonen dagegen bei ausreichender Personalausstattung für möglich. Wenn eine schnelle Registrierung dort funktioniere, "dann können wir auch von den Flüchtlingen verlangen, dass sie sich an die Regeln halten", sagte der Mittelstandsbeauftragte der Grünen der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". "Nur der, der registriert wird, sollte dann die Unterstützung erhalten, die wir ihm geben wollen." Die Grünen lehnten Transitbereiche dann ab, wenn sie dazu führen sollen, dass Flüchtlinge sehr schnell abgewiesen würden und damit ihr Asylrecht beschränkt werde.

Stegner forderte zudem entschiedenen Widerstand gegen Übergriffe auf Flüchtlinge. Er sprach von einem "regelrechten Rechtsterrorismus", für den die AfD und Pegida mitverantwortlich seien. "Diese sogenannten besorgten Bürger sind doch gar keine", sagte der Politiker im Hinblick auf die Pegida-Demonstration am Montagabend. "Wer vom tausendjährigen Reich schwafelt", so Stegner", sei kein besorgter Bürger, sondern "Idioten".

Wieder tausende Demonstranten bei Pegida-Marsch: Am Montagabend versammelten sich in Dresden, Leipzig und Chemnitz erneut Tausende Menschen auf Kundgebungen der islam- und fremdenfeindlichen Pegida. Nach Schätzungen der Studentengruppe "Durchgezählt" marschierten allein in Dresden zwischen 10.000 und 12.000 Anhänger auf und damit einige Tausend weniger als vor einer Woche beim ersten Jahrestag der Bewegung. Bis zu 1300 Gegendemonstranten protestierten gegen die selbst ernannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". In Leipzig kam es am Rande der Legida-Kundgebung zu Gewalt. Laut Polizei wurden vier Legida-Anhänger von Vermummten angegriffen, zwei Personen aus dem Legida-Lager erlitten Verletzungen. (cir/KNA/dpa/Reuters/AFP)

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