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Überwachungsanlage.

© dpa

NSA-Affäre: Schaar: "Vertrauensverlust ist mit Händen zu greifen"

Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht das Vertrauen in den Rechtsstaat durch die Spionageaffäre schwinden und fordert die Überwachung international zu begrenzen. In der Argumentation des Innenministers sieht er zudem einen Irrtum.

Herr Schaar, die Ausspähaktionen des US-Geheimdienstes NSA haben eine heftige Debatte ausgelöst. Bedeutet grenzenloses Netz auch grenzenlose Freiheit für Geheimdienste?

Nein, auf keinen Fall. Auch Geheimdienste müssen sich an Recht und Gesetz halten. Das auch im Völkerrecht verankerte Fernmeldegeheimnis wird durch Artikel 10 des Grundgesetzes garantiert. Strafverfolgungsbehörden und auch Nachrichtendienste dürfen nur auf Grund besonderer gesetzlicher Regelungen die Telekommunikation überwachen. Ähnliche Regelungen gibt es in vielen Rechtsstaaten, auch in den USA und in Großbritannien. Die pauschale Behauptung, grenzüberschreitende Kommunikation sei völlig schutzlos, ist also falsch. Die jetzt bekannt gewordenen Überwachungsmaßnahmen verdeutlichen aber auch, dass die bestehenden Rechtsvorschriften offenbar sehr weit interpretiert werden.

Innenminister Friedrich (CSU) argumentiert, dass Telekommunikationsverkehr, der auf ausländischen Servern laufe, nicht unter deutsches Recht falle. Hat er recht?
Ich halte das für einen Irrtum. Wenn Sie eine E-Mail von Berlin nach Köln schicken, kann die zwar aus Kostengründen auch über das Ausland geroutet werden, dadurch verlieren Sie aber nicht Ihr Recht auf das Fernmeldegeheimnis. Vielmehr muss Ihr Telekommunikationsprovider das Fernmeldegeheimnis gewährleisten, selbst dann, wenn er diese E-Mail über einen ausländischen Server leitet. Wenn er zulässt, dass ausländische Behörden die Mail mitlesen, verstößt er – wie auch die ausländischen Überwacher – gegen deutsches Recht.

Wie ist es bei ausländischen Providern, wenn ich Mails mit Google versende?
Interessante Frage. Wenn Google seinen E-Mail-Dienst in Deutschland anbietet, dann unterliegt das Unternehmen auch deutschem Telekommunikationsrecht. Aber das Unternehmen sieht sich nicht an europäisches Recht gebunden, insofern sehe ich hier dringenden Klärungsbedarf.

Warum?
Weder die Bundesnetzagentur noch die Europäische Kommission haben die Frage der Geltung des deutschen beziehungsweise europäischen Telekommunikationsrechts für Google Mail entschieden. Ohne solch eine Klarstellung werden die Nutzer im Unklaren gelassen, ob ihre Kommunikation durch das Fernmeldegeheimnis geschützt wird oder nicht.

Erschrecken Sie die Spionagevorwürfe?
Erschrocken bin ich nicht, denn dass Geheimdienste Überwachung betreiben, ist ja nicht neu. Ich bin aber besorgt über den Umfang der Überwachung, die uns alle betrifft. Besonders besorgt mich der mangelnde Aufklärungswille der US-Regierung. Wenn alles mit Recht und Gesetz zugeht, dann müsste sie das doch auch erklären können. Der Vertrauensverlust ist derzeit mit Händen zu greifen. Besonders problematisch ist das schwindende Vertrauen in die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle und damit auch in den Rechtsstaat.

Müssen Konsequenzen gezogen werden?
Überwachung muss international begrenzt werden. Geheimdienste brauchen strenge Regeln und strikte Kontrollen. Eine unbegrenzte, unkontrollierte Sammlung und Übermittlung von Informationen wäre unerträglich. Karussellgeschäfte nach dem Motto „Ihr überwacht unsere Bürger, wir überwachen eure“ und anschließend werden die Daten ausgetauscht, darf es nicht geben. Damit würden letztlich die Grundrechte in allen Staaten ausgehebelt.

Muss man strafrechtlich vorgehen?
Der Generalbundesanwalt wird, so denke ich, prüfen, ob sich Mitarbeiter der ausländischen Dienste strafbar gemacht haben könnten. Sollte er dies bejahen, würden sich möglicherweise auch Unternehmen und deutsche Behörden auf dünnem Eis bewegen, die behilflich waren. Geheimdienstliche Agententätigkeit ist auch strafbar, wenn sie zwar von ausländischem Territorium begangen wird, aber gegen Deutschland Wirkung zeigt.

Auch das Thema Vorratsdatenspeicherung ist nun wieder auf der Agenda. Sehen Sie da Bewegung bei der Union?
Ich finde es gut, dass die Überwachung und die überbordende Datensammlung im Wahlkampf eine Rolle spielen, denn hier geht es um Grundrechte. Allerdings würde ich es für unzureichend halten, wenn bloß der Name von „Vorratsdatenspeicherung“ in „Mindestspeicherung“ geändert würde. Ich bin mir sicher, dass da noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die Befürworter einer langfristigen anlasslosen Speicherung aller bei der Telekommunikation anfallenden Verkehrsdaten werden es angesichts der immer neuen Erkenntnisse schwer haben. Deutschland sollte sich auf europäischer Ebene für eine Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzen.

Was muss der normale Bürger aus den Vorgängen um Prism lernen?
Aus Netznutzern müssen Netzbürger werden. Diese Netzbürger müssen Rechte einfordern und auch einklagen. Die virtuelle Welt und die reale Welt verflechten sich immer mehr. Man kann dabei zwar nicht jede Regelung der analogen Welt eins zu eins auf das Internet übertragen, aber Recht muss auch im Internet gelten. Es wäre ein Albtraum, wenn das Internet letztlich nicht mehr wäre als ein globales, jede Lebensäußerung erfassendes Überwachungsnetz.

Peter Schaar (58) ist seit Dezember 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Mit ihm sprach Christian Tretbar.

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