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Siegfried Mundlos beim NSU-Prozess in München

© dpa

NSU-Prozess: Vater von Uwe Mundlos beleidigt Richter als Klugscheißer

Wie konnte sein Sohn Uwe ins rechtsextreme Milieu abrutschen? Darüber sprach Siegfried Mundlos beim NSU-Prozess in München. Bei seinem bizarren Auftritt verstrickte sich der Vater des Neonazis in verquere Aussagen - und beleidigte sogar den Vorsitzenden Richter.

Von Frank Jansen

Er kommt am Mittwoch in den Gerichtssaal, als habe er ein Plauderstündchen vor sich. Siegfried Mundlos setzt sich an den Zeugentisch vor den Richtern, er holt eine Flasche Wasser aus seiner abgewetzten Aktentasche, einen leicht zerknitterten Plastikbecher – und einen roten Apfel. Der Ex-Professor, buschige Augenbrauen, massige Statur, der dunkelgraue Anzug spannt, beugt sich vor. Mundlos will jetzt erzählen, wie er die Geschichte seines Sohnes Uwe sieht. „Bevor ich anfange, möchte ich einige Dinge vorausschicken, die für die Stellung von mir und meiner Familie zum Prozess wichtig sind.“ Er wolle darum bitten, „dass die Unschuldsvermutung berücksichtigt wird“.

Das ist eine Provokation. Richter wissen selbst, was die Unschuldsvermutung bedeutet. So wirkt im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München der Auftritt des Vaters von Uwe Mundlos, einem der zwei toten NSU-Terroristen, gleich zu Beginn zumindest makaber.

Sofort unterbricht der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, den Zeugen. „Sie sind nicht hier, um Stellungnahmen auszusprechen“, sagt Götzl, „es geht nicht darum, dass Sie bestimmen, wie der Gang der Verhandlung ist“. Siegfried Mundlos redet Götzl rein, es kommt zum Wortgefecht. Götzl, bei Widerspruch schnell allergisch, redet den Zeugen nieder. Allerdings nur kurz.

Siegfried Mundlos schildert seinen Uwe als angenehmes Kind

Der 67 Jahre alte Mundlos, bis vor zwei Jahren Professor für Informatik an der Fachhochschule Jena, antwortet auf die Fragen meist mit einer Mischung aus Erlebtem, Hörensagen und eigenwilligen Interpretationen. Er spricht von einem „absoluten Übergriff der Staatsanwaltschaft“, als der Sohn 1994 eine Geldstrafe in Höhe von heute 720 Euro bezahlen musste. Die Polizei hatte bei Uwe Mundlos rechtsextremes Propagandamaterial gefunden. Der Vater meint, sein Sohn habe lediglich eine Visitenkarte dabei gehabt, auf der Charlie Chaplin in seiner Rolle als Hitler-Parodie im Film „The Great Dictator“ abgebildet war. „Wir haben zähneknirschend bezahlt“, sagt Siegfried Mundlos.

Der Vater schildert seinen Uwe als ein angenehmes Kind. „Er war sehr hilfreich und lieb zu seinem behinderten Bruder“, der an spastischer Lähmung leidet. Manchmal spricht Siegfried Mundlos von dem Jungen in der Gegenwartsform, als würde er noch leben. „Mein Sohn ist extrem ehrlich“, sagt er und versucht so zu begründen, warum Uwe rechtsextrem wurde. Zunächst habe der Sohn in der Wendezeit mit ihm demonstriert, erinnert sich der Vater und erwähnt die Parole „Stasi in die Produktion“. Für ihn wäre Uwe „als systemkritischer Kämpfer durchgegangen“. Das bezieht Siegfried Mundlos offenbar nicht nur auf die untergegangene DDR. Der Sohn hätte mit seiner Ehrlichkeit, glaubt der Vater, generell Probleme bekommen. Also sei er „in den rechten Bereich abgedriftet“.

Die verquere Aussage von Siegfried Mundlos, die Mischung aus dem Schmerz von Eltern, die ihren Sohn verloren haben, mit der Suche nach Schuldigen für das erlittene Schicksal,  erinnert an den Auftritt der Mutter des zweiten Uwe in der Terrorzelle NSU. Brigitte Böhnhardt hatte im November im Prozess auch abenteuerliche Theorien von sich gegeben. Sie behauptete, westdeutsche Altnazis hätten in den 1990er Jahren die orientierungslosen Jugendlichen in Ostdeutschland zum Rechtsextremismus verführt. Dass es schon zu SED-Zeiten in der DDR eine rechte Szene gab, blendete die Mutter aus.

Richter: Das habe ich in meiner Laufbahn noch nie erlebt

Siegfried Mundlos hat, wie Brigitte Böhnhardt, versucht, den Sohn vom braunen Milieu fern zu halten. Vergebens. Beide Eltern bekamen offenbar nur teilweise mit, wie sich die Kinder radikalisierten. Vater Mundlos erzählt sogar, er habe Beate Zschäpe, die zunächst mit seinem Sohn liiert war, bis Ende 1994 dem linken Spektrum zugeordnet. „Fremdenhass habe ich bei ihr nicht beobachtet“, sagt er. Und er ärgert sich noch heute, dass sein Sohn dann in den Bann von Uwe Böhnhardt geriet, „eine tickende Zeitbombe“, obwohl der ihm Beate Zschäpe weggenommen hatte.

Und dann ist da noch der Thüringer Verfassungsschutz. Der Vater beschuldigt die Behörde, sie habe mit dem vielen Geld für den V-Mann Tino Brandt erst ermöglicht, dass „die jungen Leute“ zu rechtsextremen Konzerten und Demonstrationen fahren konnten. Der Unmut ist verständlich. Tino Brandt bekam vom Verfassungsschutz für seine jahrelange Spitzelei mehr als 200 000 D-Mark und baute parallel die Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ auf. Ihr gehörten auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe an.

Und der Verfassungsschutz, behauptet Siegfried Mundlos, habe seinen Sohn, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe 1998 bewusst fliehen lassen. Dann jedoch wirft er dem Verfassungsschutz vor, er habe seinen Sohn rund um die Uhr überwacht. Solcher Psychoterror habe „enorm dazu beigetragen, den Uwe Böhnhardt und meinen Sohn noch irrer zu machen“.

Vater Mundlos beugt sich vor und zurück, manchmal rückt er vom Mikrophon ab, weil er nicht will, „dass die Presse“ alles mitbekommt, was er sagt. Und er beißt tatsächlich in den roten Apfel. Richter Götzl ist konsterniert und unterbricht die Verhandlung für eine kurze Pause. Anschließend sagt er dem Vater, in seiner Laufbahn als Richter habe er noch nie erlebt, „dass einer seine Brotzeit ausgepackt hat“. Siegfried Mundlos entschuldigt sich. Er habe mit dem Biss in den Apfel nicht die Autorität des Richters missachten wollen. Doch nach der Pause beschimpft er Richter Götzl als „arrogant“ und "kleinen Klugsch..." Jeder im Saal versteht, was gemeint ist. Götzl droht ihm „Ordnungsmittel“ an. Das ist das erste Mal in den nun 69 Verhandlungstagen, dass ein Zeuge derart den Richter angeht. Doch Götzl will keine Eskalation. Er fragt dann Mundlos streng sachlich weiter.

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