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Am Tag danach. Am Montag nach dem Referendum fragen sich viele Griechen, wie es jetzt wohl weitergehen mag.

© Sakis Mitrolidis/AFP

Offener Brief von Ökonomen an Angela Merkel: "Jetzt ist der Zeitpunkt, die gescheiterte Sparpolitik zu überdenken"

Frau Bundeskanzlerin, wir bitten Sie, die lebenswichtige Führungsrolle für Griechenland, Deutschland und die Welt zu übernehmen. Ein Offener Brief bekannter Ökonomen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,

das endlose Spardiktat, das Europa den Menschen in Griechenland aufgezwungen hat, funktioniert einfach nicht. Jetzt hat Griechenland lautstark "Nein" gesagt.

Wie von den meisten vorhergesagt, haben Europas finanzielle Forderungen die griechische Wirtschaft zu Fall gebracht, Massenarbeitslosigkeit und den Zusammenbruch des Bankensystems verursacht und die externe Schuldenkrise deutlich verschärft. Die Schulden sind auf unbezahlbare 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Die Wirtschaft liegt nun am Boden, Steuereinkommen sinken im Sturzflug, Leistungs- und Beschäftigungszahlen sind niedrig und und Unternehmen mangelt es an Kapital.

Auswirkungen wie seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr

Die humanitären Auswirkungen sind kolossal: 40 Prozent der Kinder leben nun in Armut, die Säuglingssterblichkeit ist in die Höhe geschossen und die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 50 Prozent. Korruption, Steuerflucht und falsche Buchführung der Vorgängerregierungen in Griechenland haben zu diesem Schuldenproblem beigetragen. Doch die Griechen haben Ihre Sparpolitik befolgt - sie haben Gehälter, Regierungsausgaben und Renten gekürzt, privatisiert, dereguliert und die Steuern erhöht. Die Serie der sogenannten "Anpassungsprogramme", denen sich Griechenland und andere unterziehen mussten, hat Auswirkungen, die man seit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933 in Europa nicht mehr gesehen hat. Die Medizin, die in Berlin und Brüssel zusammengebraut wird, ist schlimmer als die Krankheit selbst. Sie schadet sogar denjenigen, die zu Beginn der Krise noch nicht einmal geboren waren.

Gemeinsam fordern wir Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, und die Troika dazu auf, ihren Kurs zu korrigieren, um weitere Schäden zu vermeiden. Momentan wird die griechische Regierung dazu gedrängt, sich einen Revolver an die Schläfe zu halten und abzudrücken. Doch mit der Kugel wird nicht nur Griechenlands Zukunft in Europa getötet. Die Kollateralschäden werden auch die Eurozone als Leuchtturm von Hoffnung, Demokratie und Wohlstand zerstören. Die Folgen werden auf der ganzen Welt zu spüren sein.

Wir zählen auf Sie

In den fünfziger Jahren wurde Europa gegründet und das Fundament ruhte darauf, Schulden zu streichen – vor allem die deutschen Schulden. Das war ein großer Beitrag zum Wirtschaftswunder und dem Frieden der Nachkriegszeit. Heute müssen wir die griechischen Schulden restrukturieren und senken, die Wirtschaft dort braucht Raum zum Atmen, um sich zu erholen. Wir müssen Griechenland erlauben, seine reduzierten Schulden über einen langen Zeitraum zurückzuzahlen. Der richtige Zeitpunkt, die gescheiterte Sparpolitik zu überdenken, ist jetzt. Dabei müssen die griechischen Schulden zum Teil erlassen werden und gleichzeitig die dringend benötigten Reformen in Griechenland beschlossen werden.

Frau Bundeskanzlerin, unsere Botschaft an Sie ist klar: Wir bitten Sie, die lebenswichtige Führungsrolle für Griechenland, Deutschland und die Welt zu übernehmen. Ihre Taten in dieser Woche werden in die Geschichtsbücher eingehen. Wir zählen auf Sie für mutige und großzügige Schritte auf Griechenland zu - Sie werden Europa auf Generationen dienen

Hochachtungsvoll,

Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatsekretär im Bundesfinanzministerium und Chefvolkswirt der Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad

Thomas Piketty, Professor für Wirtschaft an der Paris School of Economics

Jeffrey D. Sachs, Professor für Nachhaltige Entwicklung, Professor für Gesundheitspolitik und Management und Direktor des Earth-Institute an der Columbia University, New York

Dani Rodrik, Ford-Stiftungs-Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Kennedy School, Harvard

Simon Wren-Lewis, Professor für Wirtschaftspolitik, Blavatnik School of Government, Oxford University

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