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Man kann Politikern Fehler verzeihen - auch wenn man ihre Positionen nicht teilt.

© dpa

Politik in den sozialen Netzwerken: Die Empörungsmaschinerie

#BreakingBeck, Erika Steinbach und die angebliche Schweinefleischpflicht: Die vergangene Woche steht für alles, was mit Politik im sozialen Netz schiefläuft.

Manchmal lohnt es sich, einen Schritt zurückzumachen. Durchzuatmen. Was ist eigentlich passiert in dieser ersten Märzwoche? Beim Grünen-Politiker Volker Beck sollen Drogen gefunden worden sein, Crystal Meth angeblich, wenig später sammeln sich bereits die Tweets unter dem Hashtag #BreakingBeck, Fotomontagen in Anspielung auf die TV-Serie, in der ein Chemielehrer Crystal Meth kocht. Die Nord-CDU will, dass Schweinefleisch auf dem Speiseplan öffentlicher Kantinen erhalten bleibt. Kurz darauf ist die Rede von einer Schweinefleischpflicht, die sich schließlich sogar auf den Verzehr bezieht. Die Menschenrechtsbeauftragte der CDU, Erika Steinbach, twittert ein Bild von einem blonden Kind, umgeben von Indern. Darüber: „Deutschland 2030“. Der Shitstorm braut sich innerhalb von Stunden zusammen.

"Ein hochnervös agierendes Wirkungsnetz"

Dabei ist es nicht die Empörungsmaschinerie, die überrascht. Es ist die Geschwindigkeit, in der die Empörungswellen mittlerweile aufeinander folgen, in der sich das soziale Netz um sich selbst dreht, in der ein Hashtag den anderen ablöst. Das Phänomen hat eine neue Qualität erreicht. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen spricht von einem „hochnervös agierenden Wirkungsnetz, das man nur leicht reizen muss, um kaum noch eingrenzbare Erregungsschübe zu erzeugen“. Und so steht die vergangene Woche exemplarisch für alles, was derzeit schiefläuft im Zusammenspiel von redaktionellen Medien, Politik und dem sozialen Netz.

Erstens: Verkürzung. Wie kommt man von einer CDU-Forderung nach Schweinefleisch auf dem Speiseplan zu einer Pflicht, Hack oder Kotelett zu essen? Dieser hatte sich der grüne Landwirtschaftsminister Robert Habeck aus Schleswig-Holstein präventiv verweigert. Dabei war davon im Antrag der Schleswig-Holsteiner CDU, über den zuerst die „Lübecker Nachrichten“ berichteten, gar keine Rede. Doch weil der Platz im Netz zwar unendlich ist, die Aufmerksamkeit der Leser aber begrenzt, schienen diese Feinheiten zunächst wenig zu bedeuten. In Tweets ist auf 140 Zeichen kaum Platz für Zwischentöne.

"Provo-Ping-Pong"

Selbst die „Lübecker Nachrichten“, die den eigentlichen Antrag gelesen hatten, insinuierten in ihrer Onlineüberschrift eine Schweinefleischpflicht, andere Zeitungen übernahmen sie. Auch der Tagesspiegel sprach von dieser Pflicht. Blogger Sascha Lobo beobachtete, der Begriff sei „in einer Art Provo-Ping-Pong zwischen redaktionellen und sozialen Medien entstanden und dadurch zur politischen Realität geworden“. Obwohl die Schweinefleischpflicht nie gefordert worden war, äußerten sich Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner, SPD-Bundesvize Ralf Stegner und die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt auf Twitter dazu. Am Ende ließ Vizekanzler Sigmar Gabriel verlauten: „Ich hab so ’nen Quatsch noch nicht gehört. Man muss auch aufpassen, dass man die Themen im Umgang mit Flüchtlingen jetzt nicht auf schlechtes Comedymaß reduziert.“ Das auf Hochgeschwindigkeit gebrachte Pingpongspiel kam zum Erliegen.

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Zweitens: Reflexe. Es steht wohl außer Frage, dass der Tweet von Erika Steinbach als politisches Statement zu verstehen ist. Sie hat solch umstrittene Äußerungen schon vor der Zeit der sozialen Netzwerke getätigt. Auf Twitter wurde das Bild aber 11 000 Mal geteilt, man warf ihr sofort Rassismus vor, Redaktionen berichteten, Parteikollegen äußerten sich kritisch, die Grünen forderten ihren Rücktritt als Menschenrechtsbeauftragte. Ein vorhersehbares Muster. Die Definition eines Reflexes darf hier fast wörtlich genommen werden, als das „Auslösen einer Reaktion durch einen äußeren Reiz ohne Verarbeitung des Reizes im Gehirn“. Bei genauerem Nachdenken fällt auf, dass der Tweet zwar Ängste vor einer Überfremdung Deutschlands schürt und daher geschmacklos ist, für sich genommen aber keine Bevölkerungsgruppe verunglimpft. Was den Rassismusvorwurf so naheliegend macht, ist die umstrittene Absenderin und die Vorurteile ihr gegenüber.

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"Reflexe der deutschen Affektgemeinschaft"

Wohl auch deshalb schrieb die „FAZ“ Ende 2015 sarkastisch, Steinbach könne sich „auf die Reflexe der deutschen Affektgemeinschaft verlassen“. Die CDU-Politikerin ließ es sich nicht nehmen, den Beitrag noch einmal zu kommentieren: „Den Medien sind offenbar die Themen ausgegangen. Sonst würden sie sich mit Wesentlicherem als dem von mir getwitterten Foto abgeben!“

Drittens: Spott und Häme. Es war zwar ein vergleichsweise milder Shitstorm, der über Volker Beck hinwegzog, nachdem der Drogenfund öffentlich geworden war. „Wer als Moralapostel mit kriminellen Drogen erwischt wird, hat mit wenig Respekt zu rechnen“, schrieb da etwa ein Twitter-Nutzer – man hätte von solchen Äußerungen noch viele mehr erwartet. Die Bilder, auf denen Beck in die Serienplakate von „Breaking Bad“ montiert wurde, transportierten neben Spott aber auch Humor. Einige Kommentatoren schrieben sogar, dass Häme für Volker Beck nicht angebracht sei.

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Vor dem finalen Klick einen Schritt zurückmachen

Trotzdem zeigt der Fall Beck, dass sich in den sozialen Medien jeder zum Richter aufschwingen kann. Im Gefühl, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, lässt es sich leicht kritisieren. Häufig entstehe in Zusammenballung der vielen eine „fünfte Gewalt, die zur Bestrafung schreitet, Sühne fordert oder den Rücktritt verlangt“, sagt auch Medienwissenschaftler Pörksen. Die Strafe bleibe unter den „Ewigkeitsbedingungen des Netzes“ für immer sichtbar. Und so kann ein Skandal innerhalb weniger Tage vorbeigehen, aber bei jeder Gelegenheit wieder aufgewärmt werden.

Jeder, der sich in sozialen Netzwerken öffentlich äußert, sollte vor dem finalen Klick noch einmal innehalten und sich diese Mechanismen bewusst machen. Im Rückblick auf diese seltsame Woche lässt sich dann noch ein letzter, alles klärender Tweet absetzen: „@Volker_Beck mit 0,6 Kilogramm #Schweinefleisch in #Indien erwischt.“

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