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Steht für Güte wie kein zweites Siegel: Made in Germany.

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Qualitätssiegel: Was wird aus "Made in Germany"?

Erfunden haben es die Engländer, lange war’s ein Stück deutsche Identität, jetzt diskutiert die EU.

Die U-Bahnlinie 6 hält an der Station „Borsigwerke“ im Norden Berlins. Das majestätische Backsteintor, das den Schriftzug „A. Borsig“ trägt, lässt erahnen, dass hier einst Großes geschah. Ende des 19. Jahrhunderts fertigte die Firma Borsig in Tegel auf 22 000 Quadratmetern Lokomotiven und Dampfmaschinen – ihre Produkte „Made in Germany“ wurden in die ganze Welt verkauft. 5000 Menschen arbeiteten um 1900 in der Fabrik, die sogar einen eigenen Hafen hatte. In der Industrialisierung wuchs das von August Borsig gegründete Unternehmen zu einem der größten Lokomotivenhersteller der Welt heran und lieferte jene hohe Qualität, für die Deutschland noch heute berühmt ist. Der Glanz blieb bis zur Wirtschaftskrise der 1920er Jahre, dann musste die Bahnsparte an die AEG verkauft werden. 1934 war Schluss in Tegel.

Das Rattern und Fauchen der Maschinen, die Arbeiter im Akkord – all das ist heute unvorstellbar. Hinter dem alten Borsig-Tor erstreckt sich heute ein moderner Gewerbepark, was rauscht, ist der Verkehr. Die Firma Borsig gehört heute einem malaysischen Unternehmen, das unter altem Namen in Berlin Kühlsysteme herstellen lässt. „Made in Germany“, globalisiert.

Mit der Elektrotechnik und dem Maschinenbau hatte sich für Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts das Tor zum Weltmarkt geöffnet, Pioniere wie Daimler und Siemens exportierten ihre Produkte in alle Kontinente. Das Siegel „Made in Germany“ stand für Langlebigkeit, Qualität und Innovation. Auch heute sind Siemens und Daimler weltweit erfolgreiche deutsche Marken. Doch wie viel Deutschland steckt eigentlich noch in einem Auto oder einer Waschmaschine „Made in Germany“? Und wie viel Qualitätssiegel können und wollen wir uns in der globalisierten Welt noch leisten?

Für einen Porsche zahlen viele Kunden gerne etwas mehr. Der Cayenne, ein Geländewagen, wird in Leipzig gebaut, er ist „Made in Germany“. Seine Bleche aber kommen aus der Slowakei, die Sitze von einem amerikanischen Hersteller, das Getriebe aus Japan. Montiert wird der Wagen nach wie vor in Sachsen. „Nur durch deutsche Qualitätsarbeit können wir einen Premiumpreis für ein Premiumprodukt rechtfertigen“, sagte Ex- Porsche-Chef Wendelin Wiedeking bei der Eröffnung des Leipziger Werks.

Dass das Label sich lohnt, weiß auch Justus Haucap, der an der Uni Düsseldorf das Institut für Wettbewerbsökonomie leitet. Er erzählt von Studien, in denen Kunden identische Toaster gezeigt wurden, auf einem stand „Made in Taiwan“, auf dem anderen „Made in Germany“. „Die Zahlungsbereitschaft der Kunden für Produkte ,Made in Germany’ war durchweg höher“, sagt er. Das Siegel lässt sich also zu Geld machen, und hat deshalb einen eigenen Wert. Die Marktforscher von Global Market Insite beziffern diesen auf 4,1 Milliarden Euro – nach Made in USA und Made in Japan das wertvollste Ländersiegel der Welt.

In der EU werden strengere Regeln für "Made in Germany" diskutiert

Steht weiterhin für Qualität: Der Schriftzug "Made in Germany":
Steht weiterhin für Qualität: Der Schriftzug "Made in Germany":

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Kaum verwunderlich also, dass die deutsche Industrie Alarm schlug, als in der EU eine Diskussion um strengere Regeln für „Made in Germany“ entbrannte. EU-Kommissar Algirdas Semeta wolle das Gütesiegel nur noch für Produkte zulassen, bei denen mindestens 45 Prozent des Wertanteils aus Deutschland stammen. Bisher darf das Land als Herkunftsland gelten, in dem „die letzte wesentliche, wirtschaftlich gerechtfertigte Be- und Verarbeitung“ vorgenommen wurde. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans-Heinrich Driftmann, warnte vor immensen Schäden für die deutsche Wirtschaft, sollte die EU ernst machen. Noch am selben Tag reagierte die Kommission: Keine neuen Regeln für Exportgüter, man wolle nur einheitliche Regeln für Importe aus Drittländern schaffen. Die deutsche Industrie aber bleibt ängstlich: Wenn Europa strenger werde bei seinen Importen, könnte der Rest der Welt es ihm gleichtun.

Mitte des 19. Jahrhunderts beherrschten die Briten die Weltmärkte, Deutschland war ein politisch zersplitterter Agrarstaat. Über Zeitungsartikel und Berichte erfuhren deutsche Ingenieure und Forscher von neuen Maschinen und Erfindungen aus Großbritannien. Zunächst kopierte das Reich fleißig englische Waren, Messer, Maschinen und Hüte, vielfach in minderwertiger Qualität. Bis die Stahlhersteller in Sheffield aufbegehrten. Massenhaft würden deutsche Waren auf den Markt drängen, klagten sie, teils Plagiate mit Original-Markenstempeln, teils leicht abgewandelt. Forderungen nach Importzöllen wurden laut. Das Parlament lehnte die Zölle zwar ab, stellte sich aber trotzdem schützend vor seine Industrie: 1887, als Deutschland bereits Autos und Dampfloks baute, wurde der Merchandise Marks Act novelliert. Er sah vor, dass fortan alle Produkte aus fremden Ländern gekennzeichnet werden mussten. Auf deutschen Waren sollte „Made in Germany“ prangen – unser gutes altes Gütesiegel ist also eine Erfindung der Engländer. Der Warenstrom aus dem deutschen Reich riss trotzdem nicht ab. 1896 erschien sogar ein Gedicht mit dem Titel „Made in Germany“ in einer britischen Sonntagszeitung: „Um mich her mein ganzer Krempel – Weh! Mir wird, ich weiß nicht wie! Alles trägt den gleichen Stempel, alles Made in Germany“.

Der Protektionismus kam zu spät. Nach der politischen Einigung Deutschlands 1871 schritt die Industrialisierung im Eiltempo voran, und die deutschen Fabriken brachten nun eine Qualität hervor, die auch britische Kunden zu schätzen wussten. Der Industrielle Otto Wolff von Amerongen schreibt über diese Zeit: „Jede neue Lokomotive (….), jedes Kinderspielzeug, ja, jede Kuckucksuhr trug dieses Zeichen schier grenzenloser wirtschaftlicher Expansionskraft.“ Der Aufstieg der deutschen Industrie wäre nicht denkbar gewesen ohne die Erfindungen von bedeutenden Forschern. Nicolaus Otto und Carl Benz legten mit ihren revolutionären Erfindungen den Grundstein für das Zeitalter des Automobils. Blohm & Voss und Vulkan machten den Briten auf den Meeren Konkurrenz. Unter dem Reeder Albert Ballin stieg die Hapag zur weltgrößten Schifffahrtsgesellschaft auf, 1912 lief das damals größte Passagierschiff „Imperator“ vom Stapel. Die von „Kanonen-König“ Alfred Krupp aufgebaute Firma baute Waffen und Eisenbahnen und produzierte wie Thyssen Stahl an Rhein und Ruhr, Solingen wurde zum Zentrum für Eisenwaren. Zugleich glückten auch in der chemischen Industrie wichtige Fortschritte – bei Bayer, Hoechst und BASF. Und Fritz Henkel prägte mit Persil und Ata den Alltag deutscher Hausfrauen.

Bereits 1890 war Deutschland der zweitgrößte Exporteur der Welt

Weltweit bekannt und für gut befunden.
Weltweit bekannt und für gut befunden.

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Nicht nur die Briten, auch Japan und die USA kauften deutsche Produkte: Bereits 1890 war Deutschland zum zweitgrößten Exporteur der Welt nach den USA aufgestiegen und blieb es bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs. Zu Beginn des neuen Jahrtausends, 2003, löste Deutschland Amerika sogar als Exportweltmeister ab, „Made in Germany“ überflügelte „Made in USA“.

2009 aber musste die Bundesrepublik ihren Spitzenplatz den Chinesen überlassen. Einen Beleg dafür findet man ein paar 100 Meter hinter den ehemaligen Werkshallen von Borsig in Tegel. Dort steht heute ein großes Shoppingcenter, in dem man nach dem deutschen Gütesiegel lange suchen muss. Internationale Modefirmen bieten hier ihre Waren an, „Made in Bangladesh“, „Made in China“ . Auch in der Fernsehabteilung im Media Markt dominieren asiatische Firmen, wie Samsung und LG. Wer ein deutsches Produkt will, dem wird die Marke Loewe empfohlen. Auf dem Preisschild eines 1300-Euro-Geräts prangt „Made in Germany“ gleich in roten Lettern. „Ein vergleichbares Modell aus Asien kostet etwa 600 Euro“, sagt der Verkäufer. „Aber es lohnt sich, mehr auszugeben, die sind langlebig..“ Ein Stockwerk höher bei der weißen Ware hat man mehr Glück: Bosch, Siemens, Miele. Die Bosch-Küchenmaschine aber ist „Made in Slovenia“, der Wasserkocher kommt aus China. Im billigeren Segment lohnt sich die Produktion in Deutschland einfach nicht. Nebenan gibt es Satelliten-Receiver und Soundsysteme. Die Firma Technisat macht klare Ansagen: Auf den Receivern prangt eine Deutschlandfahne, „Made in Germany“ ist mit dem Zusatz „Arbeitsplatz sichernd“ versehen. „Die Leute kaufen das gerne, obwohl es teurer ist“, sagt ein Mitarbeiter.

„Produkte, die zu 100 Prozent ,Made in Germany’ sind, gibt es in unserer arbeitsteiligen, globalisierten Welt eigentlich nicht mehr“, sagt Justus Haucap. Der Ökonom ist dennoch für eine klare Abgrenzung des Gütesiegels. „Einen deutschen Wertanteil von 45 Prozent fände ich sinnvoll.“ Das schütze die Verbraucher und auch die Industrie. Markennamen wie Coca-Cola schütze man ja auch. „Wo ,Made in Germany’ draufsteht, muss auch ,Made in Germany’ drin sein“.

Die Sorge um die Qualität der deutschen Produkte trieb schon den Ingenieur Franz Reuleaux Mitte des 19. Jahrhunderts um. Als Preisrichter reist er zu den großen Weltausstellungen in Europa, 1876 gar nach Übersee. Der Ingenieur ist begeistert von den Leistungen der amerikanischen Industrie, den Erfindungen anderer Nationen – und zutiefst besorgt über das Ansehen deutscher Produkte in der Welt. „Unsere Leistungen stehen in der weitaus größten Zahl der ausgestellten Gegenstände hinter denen anderer Nationen zurück“, warnt Reuleaux in einem Brief in die Heimat, der hitzige Diskussion auslöste. „Deutschlands Industrie hat das Grundprinzip 'billig und schlecht“, fasst er die Kritik der internationalen Presse zusammen. Stattdessen plädiert er für „Festhaltung des Preises, dafür aber Steigerung der Qualität“. Noch bevor es also das Siegel „Made in Germany“ gab, formulierte Reuleaux dessen wichtigste Grundsätze. Mit Erfolg: Die Industrie machte sich daran. ihre Verfahren, ihre Maschinen und ihre Ausbildung zu verbessern.

Nach 1945 wollte niemand mehr deutsche Produkte kaufen

Kuckucksuhren gelten weltweit als Inbegriff deutscher Hand- und Wertarbeit.
Kuckucksuhren gelten weltweit als Inbegriff deutscher Hand- und Wertarbeit.

© picture-alliance/ dpa

Im 20. Jahrhundert zerstörten zwei Weltkriege das Land, nach 1945 wollte niemand mehr deutsche Produkte kaufen. Bundeskanzler Konrad Adenauer beschwor die Deutschen: „Die deutsche Wertarbeit und das Wort ,Made in Germany’ müssen in der Welt wieder den alten guten Klang erhalten.“ Das Wirtschaftswunder sollte ihm diesen Wunsch erfüllen.

Das geteilte Deutschland freilich stellte die Kennzeichnung erneut auf die Probe. Denn auch die Uhren, die in der DDR im VEB Glashütter Uhrenbetriebe hergestellt wurden, waren „Made in Germany“. Die Wirtschaftsverbände in der Bundesrepublik protestierten, weil sie um ihren Ruf fürchteten, etliche Hersteller im Westen druckten „Made in West Germany“ auf ihre Waren. Dabei war die Aufregung ganz umsonst: Auch den DDR-Funktionären missfiel das Siegel. 1970 entschied der Ministerrat, dass Produkte für den Export mit „Made in GDR“ gekennzeichnet werden sollten. „Made in Germany“ blieb so ein Symbol des Westens.

Heute sind die großen, die einst das Siegel prägten, längst zu eigenen Marken geworden. Siemens, BMW oder Daimler stehen selbst für jene Werte, die mit „Made in Germany“ einhergehen, das Siegel brauchen sie nicht mehr. Für den deutschen Mittelstand hingegen ist es bis heute unverzichtbar. „,Made in Germany’ ist besonders wichtig für Firmen, deren Markennamen weniger bekannt sind“, sagt Haucap. Unternehmen wie Huf Hülsbeck & Fürst, die Schließsysteme für Autos verkaufen, oder Claas, die Dreschmaschinen nach Indien und Südamerika liefern. Häufig sind die sogenannten „Hidden Champions“-Weltmarktführer auf ihren Gebieten. „Wir beobachten eine Verschiebung bei ’Made in Germany’ von Alltagsgegenständen hin zu Hightech“, sagt der Sprecher der Vereins Deutscher Ingenieure, Marco Dadomo. Windräder statt Toaster „Made in Germany“.

Das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest wollte herausfinden, ob der Trend zum Billigprodukt und die Globalisierung die Bedeutung des Gütezeichens für die Menschen verwässert haben. Die Umfrage ergab, dass „Made in Germany“ bei 62 Prozent der Deutschen immer noch für Spitzenqualität steht, besonders bei Menschen mit hohem Einkommen. Deutsches Spielzeug ist für 80 Prozent der Menschen wichtig, deutsche Lebensmittel für 70 Prozent, das Auto für mehr als die Hälfte. Kleidung oder Unterhaltungselektronik spielen eine geringe Rolle. „Heute ist ’Made in Germany’ eher geprägt von Sicherheit und dem Know- how, das hinter den Produkten steht – auch durch die gute Ausbildung und Forschung in Deutschland“, sagt Haucap.

In Zeiten, in denen enttäuschte Firmen ihre Produktion nach Hause zurück verlagern, haben sich einige Mittelständler einen Namen gemacht, eben weil sie nur in Deutschland produzieren. Der schwäbische Bekleidungshersteller Trigema ist dafür ein Beispiel, sozusagen die letzte Bastion der deutschen Textilproduktion, die fast vollständig in Billiglohnländer abgewandert ist. Trigema wirbt mit „100% Made in Germany“. Und das, so konkretisiert die Firma, stünde „für hohe Qualität, schnelle Lieferung und sichere Arbeitsplätze“. Auch Fissler fertigt seine Töpfe und Pfannen im Hunsrück. „Für die Firmen lohnt es sich nur, die hohen Produktionskosten in Deutschland auf sich zu nehmen, wenn man auch Qualität herstellen will. Mit Billigware kann man hierzulande nicht konkurrieren“, sagt Haucap. Auch in der globalisierten Welt ist es genau dieses Qualitätsversprechen, das die höheren Preise für „Made in Germany“ rechtfertigt. Franz Reuleaux hätte das erfreut.

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