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Am Dienstag nur auf dem grünen Rasen geschlagen: die nordirischen Kicker Kyle Lafferty und Josh Magennis.

© imago/Eibner Europa

Referendum in Großbritannien: Nordirland könnte beim Brexit der größte Verlierer sein

Sollten die Briten sich für einen Austritt entscheiden, entstünde zwischen der Republik Irland und Nordirland eine EU-Außengrenze. Ein Brexit ist im Norden unpopulär.

Vollgas kann ein Symbol für Frieden sein. Wer die Autobahn vom irischen Dublin hinauf ins nordirische Belfast nimmt, darf mit 120 Stundenkilometern über die Grenze brettern. Wo früher britische Soldaten Autos kontrollierten, wird heute niemand mehr gestoppt. Systematische Zollkontrollen zwischen EU-Staaten wurden 1993 abgeschafft. Entscheidender ist aber, dass das offene Blutvergießen zwischen pro-irischen Katholiken und pro-britischen Protestanten Vergangenheit ist und die Republik Irland und Nordirland sich nicht mehr vor einander fürchten. Doch mit dem friedlichen Vollgas könnte es bald vorbei sein.

Sollten die Briten sich gegen die EU entscheiden, entstünde zwischen der Republik Irland und Nordirland eine EU-Außengrenze, die sich weder Iren noch Nordiren wünschen. „Für uns wäre eine harte Grenze ein wahnsinniger Rückschritt“, sagt David Phinnemore und atmet tief durch. Glaubt man dem Professor für Europäische Politik an der Queen’s University in Belfast, wäre Nordirland im Falle eines Brexit der größte Verlierer.

1,3 Milliarden Euro würde die Wirtschaft Nordirlands laut Schätzungen jährlich verlieren, wenn das Land nicht mehr zum EU-Binnenmarkt gehören würde. Für ein Volk von nur 1,8 Millionen Menschen ist das eine gigantische Summe, betont Phinnemore. Der Großteil der Exporte seines Landes gehe in die EU, davon wiederum das Meiste nach Irland. Gäbe es auf diese Ausfuhren künftig Zollzuschläge, würden nordirische Waren unattraktiver. Falle der Wert des Pfundes nach einem Brexit, wie vorhergesagt, würde das die Probleme noch verschärfen. Am härtesten dürfte es die Landwirte treffen, die 90 Prozent ihrer Einkünfte aus EU-Agrarsubventionen schöpfen.

Die Debatte verläuft trotz allem unaufgeregt

Allen Schreckensszenarien zum Trotz wird die Brexit-Debatte in Nordirland unaufgeregter geführt als in England oder Schottland. „Für viele Nordiren sind die Politiker in Brüssel Aliens einer fernen Galaxie“, erklärt Politik-Professor Phinnemore.

In den Straßen von Belfast hängen nur versprengt Wahlplakate. Etwa 35 Prozent der Nordiren wollen die EU verlassen, sagen die letzten Umfragen. 60 Prozent wollen bleiben. Die Regierungskoalition aus Unionisten und Republikanern vertritt keine einstimmige Meinung. „Am Ende bestimmen ohnehin nicht wir über unser Schicksal“, sagt Touristenführer Desmond auf der Fahrt mit seinem Taxi durch das Titanic-Quartier. Sein Land habe nur einen Bruchteil der Stimmen im Referendum.

Dieser weit verbreitete Fatalismus erklärt vielleicht, warum kurz vor der wegweisenden Abstimmung vor allem über Fußball gesprochen wird. Wo 1911 die Titanic vom Stapel lief, hoffte am Dienstagabend halb Belfast beim Public Viewing vergeblich auf ein Fußballwunder gegen Deutschland. Auf der Fahrt durch den Westen der Stadt zeigt Desmond auf die 15 Meter hohen Mauern, die protestantische und katholische Wohnviertel trennen. Noch immer gibt es riesige Stahltore, die jeden Abend geschlossen werden. „Das ist idiotisch, weil es zum Glück keine Anschläge mehr gibt“, erklärt Desmond. Nicht nur findet, dass Nordirland keine neuen Mauern braucht. Und erst recht keine neue Grenze.

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