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Am 1. Juli steigen die Renten so stark wie seit 23 Jahren nicht mehr.

© picture-alliance/ dpa

Rentenerhöhung und Generationenkonflikt: Die Alten haben die Macht übernommen

Alt, älter, am mächtigsten: Am Willen der Rentner führt in Deutschland kein Weg vorbei - und das nutzen sie auch. Die Jugend ist marginalisiert. Wie lange kann das noch gutgehen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Die Alten haben die Macht übernommen. Und sie wissen sie zu nutzen – auf Kosten jüngerer Generationen. Am 1. Juli tritt die größte Rentenerhöhung seit 23 Jahren in Kraft – ungeachtet der Tatsache, dass immer weniger Erwerbstätige immer mehr Empfängern gegenüberstehen. Und als wäre das nicht problematisch genug, fordern Parteien und Gewerkschaften, das Rentenniveau solle gegenüber den Durchschnittslöhnen auf keinen Fall weiter sinken, manche fordern: noch weiter steigen.

Ja wissen die denn, was sie da tun?

Zu gut sogar. Seit 2013 stellt die Generation 50-Plus die Mehrheit aller Wähler. An ihrem Willen führt kein Weg vorbei. Von den Linken bis zur Union überbieten sich Politiker deshalb regelmäßig in ihren Wahlversprechen. Das kann man dann Garantierente nennen, wie die Grünen. Solidarrente, wie die SPD oder Mütterrente, wie die CDU. Immer geht es um die Alten. Die Seniorenlobby hat es auf die immerhin ehrliche Formel gebracht: „Wer Rentner quält, wird nicht gewählt.“

Mit den Folgen ihrer Entscheidungen müssen Senioren am kürzesten leben

Wozu es führen kann, wenn nur noch die Alten den Ton angeben, lässt sich gerade in Großbritannien beobachten. Allein in der Generation über 65 stimmten laut einer Befragung 60 Prozent der Wähler für einen Brexit. Im Alter zwischen 18 und 24 aber 73 Prozent für einen Verbleib in der EU. Am Ende gaben also diejenigen den Ausschlag, die aufgrund ihrer restlichen Lebenserwartung am kürzesten mit den potenziell fatalen Auswirkungen eines Brexits zu leben haben werden.

Gerecht ist das nicht. Und so verwundert es, dass es wenig Widerstand gab: bei den 18 bis 24-Jährigen hatten sich gerade einmal 36 Prozent am Referendum beteiligt. Der Grund dafür ist tief im politischen System verankert. Laut einer Studie von YouGov gaben nur zehn Prozent aller jungen Briten an, sie würden darauf vertrauen, was Politiker ihnen sagen. Viele fühlen sich demnach von der Elite auf beiden Seiten des Unterhauses schlicht nicht repräsentiert.

Wahlbeteiligung ist bei jungen Leuten gering

Doch das Problem ist kein britisches. Auch in Deutschland ist die Beteiligung der Wähler im Alter bis 30 Jahre unterdurchschnittlich. Daraus sollte aber niemand schließen, man habe es mit einer unpolitischen Generation zu tun. Im Gegenteil. Es ist nur eine, die sich mehrheitlich keiner Partei, keiner Ideologie mehr verschreibt. Das politische Engagement ist konkret und projektgebunden. Es manifestiert sich in Petitionen mit hunderttausenden, manchmal Millionen Unterstützern, in Facebook-Kampagnen, im individuellen Konsum von Fair-Trade-Kaffee oder im Veganismus. Oder in Demos.
Da lohnt ein Blick nach Frankreich, wo Arbeiterproteste in diesem Sommer das Land fast zum Stillstand gebracht haben. Es ist ein Kampf gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse – und somit ein Kampf für künftige Generationen.

Die Familie gleicht staatliche Ungerechtigkeit aus - zum Teil

Deutschland ist davon weit entfernt. Hier herrscht Angst. Vor Verschuldung zum Beispiel. Immer weniger Studenten finanzieren ihre Ausbildung auf Kredit. Müssen sie ja auch nicht, solange Oma und Opa, Mutter und Vater – solange die Alten genug Geld haben, um die Jungen auszuhalten. Solange gestorben und vererbt wird. In der Familie wird so die staatlich zementierte Generationen-Ungerechtigkeit zum Teil wieder ausgeglichen. Vielleicht bleibt auch deshalb die Revolte der Jungen gegen die Alten bisher aus.

Nur sollte sich keiner, schon gar kein alter Politiker, darauf verlassen, dass das so bleibt.

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