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Rückzug aus der Öffentlichkeit. Eine Fernsehkamera vor einem Eingang zur Fussilet-Moschee in Moabit.

© Paul Zinken/dpa

Verfassungsschutz: Die Salafisten-Szene wächst - aber in kleinen Zirkeln

Radikale Muslime werben zunehmend um Anhänger. Auch Frauennetzwerke sind verstärkt aktiv, berichtet der Verfassungsschutz. Chinesische Fake-Profile beschäftigen die Geheimdienstler ebenfalls.

Von Frank Jansen

Die Szene der Salafisten wächst weiter. Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ist die Zahl der Salafisten in Deutschland auf 10.800 gestiegen. Im September waren es noch 10.300, Ende vergangenen Jahres 9700 Personen. Der Anstieg der Zahl auf ein „Allzeit-Hoch“ zeige die Attraktivität der salafistischen Ideologie, sagte jetzt BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen. Der Nachrichtendienst beobachtet allerdings auch, dass sich die Szene verändert.

Festzustellen sei eine „Fragmentierung und Privatisierung des Salafismus in Deutschland“, erklärte Maaßen. Das sei eine „besondere Herausforderung für den Verfassungsschutz“. Denn die Beobachtung der Szene wird durch den Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private schwieriger – paradoxerweise auch aufgrund staatlicher Erfolge: Mehrere Schläge haben die Salafisten schwer getroffen. Im Juli verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den führenden Szeneprediger Sven Lau zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen Unterstützung der mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verbundenen Organisation Jamwa. Aus dem Verkehr gezogen ist seit November 2016 auch der mutmaßliche Statthalter des IS in Deutschland, Abu Walaa. Er und vier Anhänger müssen sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten.

Ebenfalls im November vergangenen Jahres verbot Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Verein „Die wahre Religion“. Er hatte mit der Kampagne „Lies!“, bei der Salafisten in Fußgängerzonen Gratis-Exemplare des Koran verteilten, junge Menschen in die Szene und auch in den Dschihad in Syrien und Irak gezogen. Heute hingegen gebe es öffentlich sichtbare „Straßenmissionierung“ nur noch selten, heißt es im BfV.

Statt Fußgängerzonen und Kundgebungen sind private Zirkel die neuen Aktionsräume

Dennoch kann die Szene offenbar weiter für sich werben. Die Radikalisierung finde nun weniger in Moscheen oder überregionalen salafistischen Organisationen statt, „sondern in kleinen konspirativen Zirkeln und vor allem im Internet“, berichtet das Bundesamt. Zudem bildeten sich jetzt häufiger „Frauennetzwerke“, in die nur „erschwert nachrichtendienstliche Zugangsmöglichkeiten geschaffen werden können“. Gemeint ist unter anderem die Anwerbung von V-Frauen. Dafür wären szenekundige Beamtinnen nötig. Salafistinnen sind für „ungläubige“ Männer kaum ansprechbar – Werbung und Führung von V-Leuten ist im Verfassungsschutz jedoch meist Männersache.

Eine zunehmende Gefahr geht aus Sicht des BfV zudem von salafistischen Tschetschenen und weiteren Nordkaukasiern aus. „Die Affinität zu Gewalt, Kampfsport und Waffen der Islamisten aus dem Nordkaukasus erfordert die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland“, mahnt Maaßen. „Extremistische Nordkaukasier waren, neben dem Tschetschenienkrieg in ihrer Heimat, aktuell auch an den Kämpfen in Syrien und Irak maßgeblich beteiligt. Sie sind kampferprobt und stellen ein hohes Gefährdungspotenzial dar“, sagte der BfV-Präsident.

Schwerpunkte des Milieus sind nach Erkenntnissen des Bundesamtes die Länder Brandenburg, Berlin, Nordrhein- Westfalen, Hamburg und Bremen.

Verfassungsschutz beobachtet chinesische Fake-Profile im Internet

Problematisch erscheint dem Verfassungsschutz außerdem ein anderes Phänomen. Die Behörde registriert massive Anwerbungsversuche chinesischer Nachrichtendienste in Deutschland über soziale Netzwerke wie LinkedIn. Das Bundesamt hat nach eigenen Angaben „massive Aktivitäten“ in sozialen Netzwerken festgestellt. „Chinesische Nachrichtendienste nutzen neue Angriffsstrategien im digitalen Raum“, warnte jetzt BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen. Bei den sozialen Netzwerken werde vor allem LinkedIn „im großen Stil zur Abschöpfung und Quellenwerbung genutzt“. Es handele sich „um den breit angelegten Versuch der Infiltration insbesondere von Parlamenten, Ministerien und Behörden“.

Bei mehr als 10.000 deutschen Staatsangehörigen sei es zu Kontaktversuchen gekommen, heißt es im BfV. Außerdem dürfte es eine „hohe Dunkelziffer noch nicht identifizierter Zielpersonen und Fake-Profile geben“.

Das BfV hat auf die Gefahr reagiert. Von Januar bis einschließlich September hat eine Projektgruppe die chinesischen Aktionen untersucht. Die Experten beobachteten, dass die Nachrichtendienste der Volksrepublik in sozialen Netzwerken „eine Vielzahl von Fake-Profilen“ einrichteten. Die Akteure tarnten sich als Mitarbeiter von Headhunting-Agenturen, Consulting-Firmen, Wissenschaftlern oder Think Tanks.

Zu den aktivsten Fake-Profilen beim Netzwerk LinkedIn gehören vermeintlich seriöse Online-Auftritte wie die eines fiktiven „Jason Wang“, angeblich „Manager Corporate Relations China at AFEC“. Die Abkürzung steht für „Association France Euro-Chine“, genannt wird zudem eine Pekinger „University of international business and economics“.

"Eva Han" präsentiert sich lächelnd als "Human Resources Manager"

Weitere Fake-Profile, die dem BfV besonders aufgefallen sind, heißen „laeticia chen“, „Allen Liu“, „Eva Han“, „Alex Li“, „Luo Jana“, „Rachel Li“ und „Lily Wu“. Mehrere Profile sind mit dem Foto einer smarten jungen Frau oder eines ähnlich seriös wirkenden Mannes drapiert. Die angebliche „Eva Han“ beispielsweise zeigt sich lächelnd vor einer großen Brücke und präsentiert sich als „Human Resources Manager“ an der „China University of Political Science and Law“.

Das Bundesamt erwähnt zudem sechs besonders aktive Organisationen, die von chinesischen Geheimdiensten ebenfalls „zur Abtarnung der Anbahnungsversuche“ genutzt würden. Das sind neben der schon bei „Jason Wang“ genannten „Association France Euro-Chine“ ein „Centre for Sino-Europe Development Studies“, eine „rise HR“, eine „Global View Strategic Consulting“, eine „DRHR Economic Consulting“ und eine Truppe, die sich schlicht als „Move HR“ bezeichnet.

Auch bei chinesischen Cyber-Attacken sieht das BfV neue Methoden. Verstärkt genutzt würden „Supply-Chain-Angriffe“, heißt es. Sie richteten sich nicht mehr direkt gegen das eigentliche Opfer. Stattdessen würden zunächst IT-Dienstleister angegriffen, „die für die auszuspähende Organisation tätig sind und daher auf deren Netzwerk zugreifen können oder dieser Software zur Verfügung stellen“. Solche „Infektionen“, erklärt das Bundesamt, seien nur schwer zu erkennen, „da die Netzwerkverbindungen zwischen Dienstleister und Kunde nicht auffällig sind“. Daher besitze der Angreifer „eine noch bessere Tarnung als zuvor“.

Maaßen betont, das BfV als Cyber-Sicherheitsbehörde habe seine Aktivitäten zur Sensibilisierung von Behörden und Wirtschaft verstärkt, „insbesondere im Hinblick auf die Anbahnung in sozialen Netzwerken und mögliche Supply-Chain-Angriffe“.

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