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Können die Politiker über ihren Schatten springen und Jamaika zustande bringen?

© Frank Rumpenhorst, dpa

Sondierungen für Jamaika: Erste Schritte auf dem Weg zur Koalition

CDU/CSU, FDP und Grüne beginnen, die Möglichkeiten für eine Partnerschaft auszuloten. Wie schneidert man eine Koalition zusammen?

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Wer aus vier Parteien eine ungewöhnliche Koalition zusammenschneidern will, tut gut daran, Reizbegriffe zu meiden. „Rote Linien“ zum Beispiel ist tabu, seit der Wähler und die SPD vor drei Wochen CDU, CSU, FDP und Grüne zur Partnerschaft verdammten. Aber irgendwie muss man ja Schmerzgrenzen markieren, und so ist im Aufgalopp zur ersten Jamaika-Sondierung Kreativität gefragt.

Da erhebt dann FDP-Generalsekretärin Nicola Beer die Abschaffung des Solidarzuschlags zum „Glaubwürdigkeitsprojekt“ und Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin den Familiennachzug zur „Schlüsselpriorität“. CSU-General Andreas Scheuer fordert die „Maximalabdeckung des Bürgerlichen“. Und FDP-Chef Christian Lindner will das Finanzministerium keinesfalls der CDU überlassen. Für sich selbst, sagt er der „FAZ“, will er’s aber auch nicht – also, nicht unbedingt.

Die Wort- und Wünsche-Akrobatik lässt erahnen, wie schwierig der Weg nach Jamaika wird. Auch deshalb weicht der Verhandlungsmarathon, der an diesem Mittwoch beginnt, schon im Verfahren vom Gewohnten ab.

Wie läuft das Verfahren ab?

Sondierungen dienen eigentlich dazu, grob auszuloten, ob man sich ein Bündnis vorstellen kann. Die Absage der SPD an eine neue große Koalition hat diesen Schritt erübrigt: Zum Vierer-Bund gibt es vorerst keine Alternative. Folgerichtig werden die Sondierungsgespräche diesmal von Schnupper-Runden zu Koalitionsverhandlungen umgewidmet, in denen bereits im Detail über Sachfragen gestritten wird. Die Sondierungen sollen mehrere Wochen dauern und die Ergebnisse – das war speziell den Grünen ein Anliegen – in einem Eckpunkte-Papier festgehalten werden.

Erst wenn alle Beteiligten sich für diese Punkte den Segen ihrer Parteien geholt haben, können die traditionellen Koalitionsverhandlungen beginnen, in denen jeder Satz von Fachleuten ausformuliert wird. Diese Phase dürfte wegen der gründlicheren Vorarbeit aber kürzer ausfallen als üblich. Am Schluss steht wieder die „Nacht der langen Messer“, in der in kleinem Kreis letzte Kompromisse festgezurrt und die Posten zugeteilt werden. Zu den Sondierungen entsendet die CDU 18 und die CSU zwölf Unterhändler, die Grünen kommen mit 14 Spitzenleuten aus Bund und Ländern. Die FDP wollte nur zu Viert erscheinen, nimmt jetzt aber je nach Gesprächskreises doch noch zwei bis vier Fachpolitiker mit.

Welchen Zeitplan gibt es?

Dreieinhalb Wochen nach der Bundestagswahl geht es am Mittwoch offiziell los. Die Union hat nacheinander FDP und Grüne zu getrennten Gesprächen eingeladen. Am Donnerstag treffen sich Grüne und FDP. Am Freitagnachmittag kommen alle vier Parteien zusammen. Danach werden alle für sich bewerten, ob sich ein Weitermachen lohnt, und den weiteren Fahrplan vorläufig festlegen.

Kommt die Sondierung zu einem für alle Unterhändler tragbaren Ergebnis, müssen erweiterte Gremien entscheiden, ob die Basis für förmliche Koalitionsverhandlungen reicht. Den größten Aufwand betreiben die Grünen, die ihre zahlreichen Skeptiker vom linken Flügel mitnehmen müssen. Bei ihnen entscheidet ein Parteitag über Ja oder Nein. Die CDU will die Sondierungsergebnisse in einer Vorstandsklausur prüfen, die zugleich die schlechten Wahlergebnisse aufarbeiten soll. Auch die FDP will die Eckpunkte ihrem Bundesvorstand vorlegen. Bei der CSU ist eigentlich ebenfalls der Parteivorstand gefragt. Doch die Christsozialen müssen noch in diesem Jahr einen Parteitag abhalten, um ihre Parteispitze neu zu wählen. Sollten sich die Sondierung sehr lange hinziehen, könnte es passieren, dass CSU-Chef Horst Seehofer die Eckpunkte mit in diesen Parteitag nimmt und im nächsten Jahr noch einen zweiten braucht, der den fertigen Koalitionsvertrag absegnet. Auch die CDU will dann einem Parteitag das letzte Wort geben. FDP und Grüne befragen ihre Mitglieder.

Wo liegen die Konflikte?

Die großen Streitlinien sind bekannt: In der Flüchtlings- und Europapolitik stehen die Positionen zum Teil diametral gegeneinander, in anderen Feldern, etwa der Sozialpolitik, zeichnet sich eher ein Wettbewerb um Copyright und Lufthoheit ab. Bevor konkret Eckpunkte verhandelt werden können, stellt sich aber für alle vier Parteien die Grundsatzfrage, wie sie mit ihren Unterschieden umgehen.

Einerseits gehört der Kompromiss zum erprobten Verfahren in der Konsensrepublik Deutschland. Schon das Mitspracherecht des Bundesrats erzwingt Einigungen über Lagergrenzen hinweg. Die sind aber oft nur um den Preis des kleinsten gemeinsamen Nenners oder sachfremder Tauschgeschäfte möglich – eine Methode, die, obwohl sie in der Verfassung genau so angelegt ist, doch zuverlässig zu Murren im eigenen Lager und Unverständnis bei den Bürgern führt.

Die Jamaika-Pioniere in Schleswig-Holstein, die auch in Berlin dabei sind, empfehlen deshalb als Alternative das rheinische Prinzip des „Leben und Leben lassen“. Gerade ein Vier-Parteien-Bündnis führe nur dann nicht zu Dauergezänk und Dauerfrust, wenn jeder den anderen Partnern Erfolge in Reinkultur gönne, ohne dass die anderen dazwischengrätschen.

Abstrakt klingt das klug. Konkret ist es freilich schwer, wenn zum Beispiel der „Obergrenzen“-Kompromiss zwischen CDU und CSU nur bei genau der Einschränkung des Familiennachzugs funktionieren kann, die die Grünen kippen wollen. Trotzdem könnte die Methode auf einigen Feldern verhindern, dass sich an unüberbrückbaren Differenzen das ganze Projekt festfährt.

Ob es zustandekommt und die Stürme der nächsten vier Jahre übersteht, dürfte sich aber ohnehin nicht an einzelnen Sachproblemen entscheiden. Wer wen duzt und wen nicht, ist wahrscheinlich ebenfalls nicht ganz so wichtig. Das Hauptproblem liegt anderswo. Angela Merkel kämpft nach zwei schwachen Wahlergebnissen um ihre Autorität. Horst Seehofer kämpft ums Überleben. Die Grünen kämpfen um Konsens zwischen den Flügeln. Nur die FDP kämpft nicht mit inneren Konflikten, dafür um so mehr mit dem eigenen oppositionellen Besserwisser-Modus.

Alle vier aber sind noch weit davon entfernt, eine „Jamaika“-Regierung als gemeinsames Vorhaben zu behandeln und nicht als ein Schlachtfeld, auf dem das Ziel darin besteht, sich flexibel mit den einen gegen die anderen zu verbünden.

Die Versuchung zur Trophäenjagd ist so groß wie die Verlockung, die alten Abgrenzungsrituale unter gemeinsamem Dach einfach fortzusetzen. Selbst wenn ein Koalitionsvertrag zustande kommt, bietet das unkonventionelle Bündnis Sollbruchstellen. Die Freidemokraten haben schon angeregt, Koalitionsrunden wieder zur ständigen Einrichtung zu machen wie zu Zeiten der Regierung Kohl. Wenn sich die Chefs regelmäßig treffen, so das Kalkül, riecht es nicht jedes Mal nach Krisengipfel. Konflikte kontrollieren – vielleicht wird das die größte Herausforderung der Jamaika-Expedition.

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