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© dpa

Streit mit der Schweiz: Peer Steinbrück als hässlicher Deutscher

Peer Steinbrücks Drohungen empören die Schweiz – manche fühlen sich durch den Finanzminister an die Nazizeit erinnert. Das Verhältnis zu Deutschland droht ernsthaften Schaden zu nehmen.

Ein grimmig blickender Peer Steinbrück prangt auf der Titelseite der Schweizer Zeitung „Le Matin“. Die Schlagzeile dazu lautet: „Diesen Mann verabscheuen wir.“ Kurz vorher landete der deutsche Finanzminister auf der ersten Seite des Zürcher Boulevardblatts „Blick am Abend“. „Der hässliche Deutsche“ stand da in schwarz-rot-goldenen Lettern. Die Medien Helvetiens überbieten sich in diesen Tagen mit Wutartikeln über den „unflätigen Steinbrück“. Jenen Deutschen, der laut Zürcher „Tages-Anzeiger“ die Schweiz im Steuerstreit „beschimpfte und lächerlich machte“. Politiker jeglicher Couleur geraten in Rage, wenn nur der Name des deutschen Sozialdemokraten fällt. Und in die Ausbrüche gegen Steinbrück mischen sich immer öfter Ressentiments gegen die Deutschen allgemein: Bei kaum einer Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Ländern zuvor schäumten die Emotionen in der Eidgenossenschaft so hoch. Das Verhältnis der kleinen Schweiz zu dem großen Nachbarn im Norden droht jetzt ernsthaften Schaden zu nehmen.

Aus Schweizer Perspektive ist klar, dass Steinbrück die Hauptschuld für die rapide Klimaverschlechterung trägt: Der Mann aus Berlin kämpfte mit harten Bandagen an der Spitze der internationalen Gegner des Schweizer Bankgeheimnisses. Mal drohte er mit der „Peitsche“. Dann verhöhnte er die Schweizer als „Indianer“, die bei wohldosierten Drohungen mit der „Kavallerie“ schnell die Waffen strecken. Die Kavallerie, das bedeutete in der Steinbrück-Sprache die Drohung mit einer „schwarzen Liste“ von Staaten, die Steuerflüchtlinge schützen. Aber diese Kavallerie müsse man nicht unbedingt ausreiten lassen. Die Indianer müssten nur wissen, dass es sie gibt, hatte Steinbrück laut Schweizer Fernsehen gesagt. Steuerhinterziehungsparadiese will der deutsche Finanzminister im Verein mit anderen Staaten austrocknen.

Der Sozialdemokrat verdächtigt die Schweizer schon lange der Komplizenschaft mit unehrlichen deutschen Steuerpflichtigen: Diese Landsleute horteten riesige Summen in Zürich oder Genf – geschützt durch das traditionell strenge Schweizer Bankgeheimnis. Lange und zäh verteidigten sich die Eidgenossen gegen die Angriffe Steinbrücks. Vor wenigen Tagen aber kündigte Bundespräsident Hans-Rudolf Merz die Lockerung des Bankgeheimnisses an. Für viele Schweizer kam das einer Kapitulation gleich. Einer Kapitulation vor Steinbrück.

Zumal die Steinbrück’schen Sprüche erzürnen die Schweizer. Außenministerin Micheline Calmy-Rey geißelte den „Indianer“-Vergleich als „inakzeptabel, aggressiv und beleidigend“. Schon vorher geriet die Sozialdemokratin wegen der Peitschen-Drohung außer sich. In beiden Fällen musste der deutsche Botschafter im Außenministerium in Bern vorsprechen: Das ansonsten eher diskrete „Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten“ sprach Klartext mit dem deutschen Diplomaten.

Noch härtere Töne gegen den „ungehobelten Kerl“ aus Berlin fielen im Schweizer Parlament – sonst ein Ort der bedächtigen Wortwahl. Thomas Müller, Abgeordneter der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), bemühte sogar einen Vergleich mit den Nationalsozialisten: Steinbrück erinnere ihn an „jene Generation von Deutschen, die vor sechzig Jahren mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde durch die Gassen gegangen sind“. Ein anderer Christdemokrat, Bruno Frick, schlug in die gleiche Kerbe: „In den USA wurden Hunderttausende von Indianern durch die Kavallerie niedergemetzelt. Er (Steinbrück) braucht das Bild: Entweder fügt ihr euch, oder ich metzele euch nieder.“ Aus dem Munde eines Deutschen sei das ein „ungeheures Wort“.

Gereizt reagiert auch die sozialdemokratische Schwesterpartei der SPD in der Schweiz, die SP. Deren Präsident Christian Levrat beschwerte sich in einem Brief an den Vorsitzenden der SPD, Franz Müntefering, über die Wortwahl des Genossen Steinbrück. „Derartige Verlautbarungen wirken sich kontraproduktiv aus“, heißt es. SP-Chef Levrat wird dann in dem Schreiben an den „lieben Franz“ direkt: „Wir fordern dich und Peer auf, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen.“

Nur wenige Eidgenossen wollen den Streit nicht zu hoch hängen: Steinbrück versuche den Steuerstreit als Wahlkampfthema in Deutschland zu instrumentalisieren, analysiert der freisinnige Politiker Georges Theiler: „Deshalb kann ich seinen Sololauf nicht ernst nehmen.“

Wie stark die Beziehung der Schweiz mit Deutschland tatsächlich belastet sind, könnten schon bald deutsche Firmen zu spüren bekommen: Ganz übereifrige Schweizer fordern wegen des Streits um das Bankgeheimnis und die internationale Kooperation gegen Steuerflucht einen Boykott deutscher Waren. Nicht zuletzt deutsche Autohersteller wie Daimler, BMW, Porsche und VW erfreuen sich in dem reichen Land großer Beliebtheit.

Auch viele deutsche Zuwanderer beobachten die Steinbrück-Debatte mit Sorge. Die Migranten aus der Bundesrepublik kämpfen ohnehin mit Vorurteilen der Schweizer. Der verbale Schlagabtausch auf hoher politischer Ebene – von den Medien verstärkt – dürfte die Integration der Menschen aus Berlin, Sachsen oder Hessen in Helvetien nicht fördern.

Steinbrücks Sprecher Torsten Albig unterstellte den empörten Eidgenossen am Mittwoch Empfindlichkeiten. Der Minister habe sie nicht mit Indianern verglichen, gegen die die Kavallerie bereitstehe, und die Schweiz nicht beleidigt. In Richtung der Schweizer Politik fügte er hinzu: „Wir nehmen zur Kenntnis, dass selbst schlichte Bilder bei Ihnen sehr sensibel wahrgenommen werden.“ Dass Abgeordnete „meinen, den bösen Deutschen zu entdecken, wenn man darüber diskutiert, ob es klug ist, OECD-Regeln anzuwenden oder nicht, das überrascht mich sehr“, sagte Albig.

Jan-Dirk Herbermann[Genf]

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