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Update

Wie geht es weiter?: Stunde null in Libyen

Die Rebellen bejubeln schon ihren Sieg. Aber Gaddafi hat sich noch nicht ergeben. Dennoch richten sich die Blicke bereits auf die Zeit nach dem Diktator.

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Muammar al Gaddafi ist in Tripolis umzingelt und hat sich angeblich in seinem Palast verschanzt. Die Rebellen kontrollieren den größten Teil der Hauptstadt. Nun stellt sich bereits die Frage, wie es nach Gaddafi weitergeht.

Welche Konzepte hat die Opposition für die Nach-Gaddafi-Ära in Libyen?

Der Nationale Übergangsrat (TNC) in Bengasi hat Pläne für den Tag entworfen, an dem das Regime von Gaddafi stürzt. Mit Unterstützung westlicher Regierungen in der Libyen-Kontaktgruppe hat sie ein umfangreiches Papier erarbeitet, das bisher unveröffentlicht ist, aber der britischen Zeitung „The Times“ vorliegt. Um ein Sicherheitschaos wie im Irak nach dem offiziellen Kriegsende zu verhindern, sollen möglichst viele der vorhandenen Sicherheitsstrukturen genutzt werden. Eine in Katar ausgebildete „Tripolis Task Force“ soll strategische Punkte in der Hauptstadt sichern. Ihre Mitglieder stammen aus der Hauptstadt oder aus dem Westen des Landes, so dass der Eindruck vermieden werden soll, die Rebellen aus dem Osten übernähmen die Hauptstadt im Westen. Außerdem heißt es in dem Papier, die Rebellen hätten bereits etwa 800 Mitglieder aus Gaddafis ehemaligem Apparat rekrutiert. Daneben will der Übergangsrat Polizeieinheiten übernehmen, die ideologisch dem Regime nicht zu nahe standen. Deren Zahl wird mit 5000 Personen angegeben.

Auch der Plan für den politischen Übergang liest sich wie aus dem Lehrbuch: Der Nationale Übergangsrat will innerhalb von 30 Tagen eine Übergangsregierung ernennen. Dies berichtet AFP. Die Rebellenführer haben immer wieder erklärt, darin sollten Technokraten des Gaddafi-Regimes eingebunden werden. Eingebunden werden müssten aber auch die Stämme, darunter auch der Stamm von Gaddafi, um Kämpfe um die Verteilung von Macht und Ressourcen zu verhindern. Innerhalb von acht Monaten sollen demnach Wahlen für ein Übergangsparlament mit 200 Abgeordneten stattfinden. Die Volksvertretung soll innerhalb von 60 Tagen eine Kommission zur Ausarbeitung einer Verfassung einsetzen. Über den Entwurf soll in einem Referendum abgestimmt werden, wenn Übergangsregierung und -parlament zugestimmt haben. Außerdem sind spätestens sechs Monate nach der Wahl des Übergangsparlaments erneute Wahlen geplant.

Das ist die Theorie. In der Praxis muss sich zeigen, ob alle bewaffneten Gruppen dem Übergangsrat und der folgenden Übergangsregierung gehorchen werden; ob Racheakte vermieden werden können, ob die Rebellen sich einig sind, mit Vertretern des alten Regimes zu kooperieren.

Was UN, Nato und EU nach dem Sturz Gaddafis in Libyen leisten können, lesen Sie auf Seite 2.

Welche Rolle muss die internationale Gemeinschaft bei der Umgestaltung spielen?

Die Nato hat kein Interesse daran, nach dem Sturz Gaddafis offiziell Verantwortung für das neu entstehende libysche Staatswesen zu übernehmen. Generalsekretär Rasmussen hat schon vor Wochen die Vereinten Nationen (UN) aufgefordert, Pläne für ein Nachkriegs-Libyen auszuarbeiten. Wichtige Nato-Vertreter forderten nach Angaben von Außenpolitik-Experten ganz konkret eine UN-Peacekeeping-Truppe für die Übergangsphase nach dem Sturz Gaddafis. Denkbar ist etwa, dass der UN-Sicherheitsrat in einer neuen Resolution die Europäische Union (EU) für die Stabilisierung und den Wiederaufbau mandatiert. Wie viel Einfluss die Vereinten Nationen gewinnen, hängt entscheidend davon ab, welchen Spielraum ihnen eine neue libysche Regierung einräumt. Experten wie Annegret Bendiek und Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin warnen dringend davor, die Steuerbarkeit der neuen Machthaber zu überschätzen. „Externe Unterstützung sollte zwar angeboten werden, doch sind die Aussichten gering, damit die politischen Entwicklungen entscheidend beeinflussen zu können“, argumentieren die beiden Wissenschaftler. Nach Gaddafis Sturz werde eine neue Regierung „schnell finanziell und damit auch politisch unabhängig werden“, sobald die im Ausland eingefrorenen rund fünfzig Milliarden US-Dollar wieder freigegeben und die Erdölexporte wieder aufgenommen würden. Nur wegen ihrer Abhängigkeit von westlicher Militärhilfe sei die Übergangsregierung für Ratschläge aus diesen Staaten offen gewesen.

Welchen Beitrag kann Deutschland in Libyen leisten?

Außenminister Guido Westerwelle betonte am Montag die deutsche Kompetenz für Hilfe beim wirtschaftlichen Wiederaufbau. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes nannte als mögliche Bereiche zudem den Aufbau von Polizei und Justiz sowie die Beratung zur Organisation von Wahlen. Die Bundesregierung will auch helfen, schnell die in Deutschland eingefrorenen Gelder des alten Regimes in Höhe von 7,3 Milliarden Euro wieder freizugeben. Die kann allerdings nur der UN-Sicherheitsrat entsperren. Unabhängig davon soll bald ein deutsches Darlehen von 100 Millionen Euro an die Übergangsregierung überwiesen werden.

Die Bundesregierung signalisiert zudem, dass sie sich im Bedarfsfall auch die Entsendung deutscher Soldaten für eine Stabilisierungstruppe vorstellen kann. Ob eine solche militärische Absicherung des Übergangs gebraucht wird, kann noch niemand sagen. Die Opposition in Berlin argumentiert, nun müsse die Regierung einen hohen Preis für ihre Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zahlen. Die aber hält ihre Entscheidung weiterhin für richtig.

„Wer glaubt, dass Libyen eine Demokratie nach europäischem Muster wird, ist ein Träumer.“ Lesen Sie weiter auf Seite 3.

Welche Bedeutung haben die Stämme bei den anstehenden Umwälzungen?

Anders als in Ägypten oder Tunesien haben die Stämme in der Gesellschaft Libyens eine weitaus größere Bedeutung. Nach Ansicht des Nahostexperten Udo Steinberg werden sie beim Umbruch eine „ausschlaggebende Rolle“ spielen. „Wer glaubt, dass Libyen eine Demokratie nach europäischem Muster wird, ist ein Träumer“, sagte Steinbach. Es werde sich zwar eine offene Gesellschaft herausbilden. Aber entscheidend seien zwei Elemente der Tradition: zum einen die Religion, also der Islam, der im Osten des Landes vor allem vom Sanussi-Orden, eine Art mystischer Bruderschaft, geprägt werde. Und zum anderen eben durch die Stämme, die in das politische System eingebaut werden müssten. Sie ausschalten zu wollen, würde zu neuen Konfrontationen führen, sagte Steinberg.

Was passiert mit dem libyschen Öl?

Die Öllieferungen aus Libyen waren während der Kämpfe in den vergangenen Wochen und Monaten stark zurückgegangen. Daraufhin waren die Ölpreise gestiegen. Experten gehen davon aus, dass die Nachfolger des Gaddafi-Regimes fundamentales Interesse daran haben, die Ölausfuhren rasch wieder anzukurbeln, um die Einnahmen zu sichern. Nach Ansicht von Udo Steinberg ist die EU und die internationale Gemeinschaft den neuen Kräften „hinreichend nahe“, um eine Kontinuität des Ölflusses sicherzustellen.

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