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Vor dem Nato-Gipfel: Türkischer Premier zögert beim Raketenschild

Als einziges Nato-Land in Nachbarschaft zum Iran spielt die Türkei bei den Plänen für ein Raketenabwehrsystem eine wichtige Rolle. Doch die Interessen der Türkei und der anderen Nato-Staaten stimmen nicht unbedingt überein.

Wenn bei einer Demonstration in der Türkei die islamische Solidarität beschworen wird, ist Bülent Yildirim meistens nicht weit. Ende Mai machte der Chef der islamischen Hilfsorganisation IHH als Anführer der türkischen Aktivisten der Gaza-Flottille von sich reden. Nun nahmen er und andere IHH-Mitglieder in Istanbul an einer von islamischen Verbänden organisierten Kundgebung gegen das geplante Raketenabwehrsystem der Nato teil und forderten eine Absage Ankaras an die Pläne der Allianz. „Die Regierung darf sich dem Druck nicht beugen“, sagte Yildirim. Um ihn herum hielten Kundgebungsteilnehmer Plakate in die Höhe. „Das Ziel der Nato: Angriff auf Iran – Schutz für Israel“, stand anklagend darauf.

Als einziges Nato-Land in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem „Schurkenstaat“ mit nuklearen Ambitionen – Iran – spielt die Türkei bei den Plänen der Allianz für ein Raketenabwehrsystem eine wichtige Rolle. Doch kurz vor dem Lissaboner Nato-Gipfel am Wochenende machen die Türken ihre Zustimmung zu dem Projekt von mehreren Bedingungen abhängig. Zwar wird trotz der Forderungen aus der islamischen Ecke an die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit einer Einigung beim Gipfel gerechnet. Doch die türkischen Vorbehalte zeigen, dass die Interessen der Türkei und anderer Nato-Staaten nicht unbedingt übereinstimmen.

Serdar Erdurmaz, Abrüstungsexperte der Denkfabrik Türksam in Ankara, erläuterte kürzlich, was die Türkei für Nato- Planer so bedeutsam macht: Sollte der Iran eines Tages wirklich ballistische Raketen gen Westen schicken, befänden sich die Geschosse über türkischem Territorium noch in der Beschleunigungsphase, wo sie relativ gut abgefangen werden könnten. US-Verteidigungsstaatssekretär James Townsend erklärte, die Türkei sei „an der Front“ der neuen Bedrohungen.

Solche Äußerungen gefallen der türkischen Regierung überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass kein Land gerne als Frontstaat in einer potenziell mit Atomwaffen ausgetragenen Konfrontation dient, sind es vor allem nachbarschaftspolitische Überlegungen, die Ankara zögern lassen. In den vergangenen Jahren haben sich die türkisch-iranischen Beziehungen stark verbessert, in wenigen Wochen sollen auf Vorschlag Teherans in der Türkei neue Gespräche zwischen dem Iran und den westlichen Staaten über das umstrittene iranische Atomprogramm stattfinden. Ankara will sich seine Iran-Politik nun nicht von der Nato durchkreuzen lassen. Der Führung in Teheran kommen die türkischen Bedenken gerade recht. Die iranische Regierung rief die Türkei kurz vor dem Nato-Gipfel noch einmal auf, sich gegen die Raketenpläne zu wehren.

Seit Wochen verlangt die Türkei, im neuen strategischen Konzept der Allianz dürfe der Iran nicht als Bedrohungsquelle genannt werden. Medienberichten zufolge sieht die Nato im Verzicht auf die Nennung kein großes Problem. Kniffliger ist eine andere türkische Forderung. Die Türkei müsse den Befehl über die auf ihrem Territorium stationierten Raketen haben, erklärte der Regierungschef. Dabei weiß Erdogan natürlich, dass es bei einem Nato- Projekt wie dem Raketenschild keine alleinige nationale Befehlsgewalt geben wird. Möglicherweise will der türkische Premier nur klarstellen, dass die Raketen nicht für militärische Abenteuer etwa im Iran eingesetzt werden dürfen. Laut Pressebericht möchte Erdogan zudem durchsetzen, dass die Nato-Kommandozentrale für den Raketenschild in der westtürkischen Stadt Izmir angesiedelt wird.

Erdogan schloss unterdessen selbst ein Scheitern der Verhandlungen innerhalb der Allianz nicht aus. Ein gutes halbes Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen schadet es ihm sicher nicht, wenn er seinen religiös-konservativen Wählern einen kleinen öffentlichen Streit mit der Nato und den USA bietet.

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