zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spricht im Parlament in Ankara.

© Burhan Ozbilici/dpa

Verschwörungstheorie in der Türkei: Geheimbotschaften in der Jeanshose

Eine türkische Zeitung behauptet, feindliche Botschaften an den Löchern in Jeanshosen zu erkennen.

Der Feind lauert überall. Seit dem Putschversuch in der Türkei vor anderthalb Jahren jagt die Regierung mutmaßliche Aufrührer überall im Land und auch außerhalb der türkischen Grenzen – doch nach Ansicht einiger Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan sind die Staatsfeinde nach wie vor höchst aktiv. So berichtete die islamistische Zeitung „Yeni Akit“ jetzt über angebliche Geheimbotschaften von Regierungsgegnern und feindlichen Agenten, die in Jeanshosen versteckt sein sollen: Der „Ripped Denim“-Trend mit seinen zerrissenen Beinkleidern ist demnach keine Modeerscheinung, sondern ein Werkzeug staatsfeindlicher Aktivitäten.

Löcher in Jeans sind angeblich geheime Botschaften

Wie im Westen gehören die sorgfältig auf alt getrimmten „Ripped Denim“-Jeans mit ihren Schlitzen, Rissen und klaffenden Löchern auch in der Türkei seit einigen Jahren zum Straßenbild. Bisher hat sich niemand groß daran gestört, doch das ist laut „Yeni Akit“ ein Fehler. Unter Berufung auf „Geheimdienstquellen“ meldete das Blatt, die Löcher in den zerrissenen Jeans bestimmter Modelle dienten westlichen Spionen und ihren türkischen Kollaborateuren als Mittel der Nachrichtenübertragung.

Demnach handelt es sich bei den modischen Löchern um subversive textile Morsezeichen. Mit ihnen würden Informationen weitergegeben, die wegen der stärkeren staatlichen Überwachung seit dem Putschversuch anders nicht mehr übertragen werden könnten, berichtete „Yeni Akit“. Glücklicherweise habe der türkische Geheimdienst aufgepasst und behalte die Verschwörer im Auge.

Verfolgungswahn erschwert internationale Beziehungen

Die absurde Jeans-Panik von „Yeni Akit“ ist nicht der einzige Auswuchs eines wachsenden Verfolgungswahns seit dem Putschversuch, für den die Regierung den islamischen Prediger Fethullah Gülen verantwortlich macht. Gülens Bewegung, deren Mitglieder vor dem Putsch in vielen staatlichen Institutionen zu finden waren, lauert der Regierung zufolge ständig auf neue Gelegenheiten zur Destabilisierung der Türkei und kooperiere dabei mit dem westlichen Ausland.

In der Außenpolitik hat diese Befürchtung schwere Krisen in den Beziehungen zu Deutschland und den USA ausgelöst. Innenpolitisch bildet sie den Hintergrund für die Verhaftung von 50.000 Verdächtigen und der Entlassung von 150.000 Menschen aus dem Staatsdienst. Zudem lässt die Angst vor Gülen die Verschwörungstheorien ins Kraut schießen – mit merkwürdigen, aber für die Betroffenen mitunter durchaus ernsten Folgen.

Nichtsahnende Bürger werden festgenommen

So nahm die türkische Polizei im Sommer in mehreren Landesteilen nichts ahnende Bürger fest, weil diese ein bestimmtes T-Shirt trugen, mit dem ein Angeklagter in einem Gülenisten-Prozess aufgefallen war. Der beschuldigte Ex-Offizier trug ein T-Shirt mit der englischen Aufschrift „Hero“ (Held), was als Provokation aufgefasst wurde. Das T-Shirt, das von einer großen türkischen Textilmarke vertrieben wurde, verschwand zwar sofort aus dem Sortiment, doch viele Türken hatten es bereits gekauft – und sahen sich plötzlich dem Vorwurf staatsfeindlicher Umtriebe ausgesetzt. In einem Fall wurde ein Mann laut Medienberichten drei Stunden von der Antiterrorpolizei verhört, weil er ein Batman-Hemd mit der Aufschrift „Hero“ trug.

Auch der US-Dollar wird gemieden

Angebliche Geheimbotschaften erblickten türkische Ermittler auch in US- Banknoten. Mutmaßliche Gülen-Anhänger benutzten amerikanische Ein-Dollar-Scheine laut Polizei als eine Art Mitgliedsausweis ihrer Bewegung. Seitdem wollen viele Türken keinen Ein-Dollar-Schein mehr anrühren.

Der Hosen-Alarm bildet nun den vorläufigen Höhepunkt des Verfolgungswahns. „Rein zufällig habe ich heute eine zerrissene Jeans an“, schrieb ein türkischer Twitter-Nutzer in einem Kommentar neben einem Foto seiner löchrigen Hose. „Hoffentlich werde ich jetzt nicht festgenommen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false