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Vermögen sind unterschiedlich verteilt.

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Verteilung der Vermögen: Wie reich sind die Deutschen?

Mehr als fünf Billionen Euro haben die Deutschen insgesamt auf der hohen Kante. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik wächst immer mehr.

Bald ist es so weit. Oliver Hermes, 54, freut sich schon, wenn sich demnächst im Herbst in Stuttgart ein paar ältere Herren an einen Tisch setzen, einige Nächte verhandeln und am Ende er, Hermes, der Gewinner sein wird. „Sechs Prozent mehr wären eine schöne Zahl“, sagt der Transportarbeiter beim Berliner Messtechnik-Hersteller Hach Lange. Er hofft, dass seine Gewerkschaft, die IG Metall, bei der nächsten Tarifrunde einiges erreichen wird. „Das wäre vor allem für die Leute in den unteren Lohngruppen wichtig, die haben jeden Monat zu knapsen“, findet er. „Prämien und Sonderzahlungen sind ja bei uns längst weggefallen.“ Müller selbst würde, wenn es so kommt, um die 120 Euro im Monat mehr im Portemonnaie haben, hat er ausgerechnet.

Lohnplus ist verkraftbar, sagt die Bundesbank

Die Chancen für Hermes stehen nicht schlecht. In den vergangenen Jahren hat die IG Metall zwar nie schlecht abgeschnitten, viele Arbeiter hatten aber das Gefühl, dass mehr drin gewesen wäre. Jetzt haben sogar die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) gesagt, dass ein ordentliches Lohnplus verkraftbar, ja wünschenswert wäre. Das ist insofern erstaunlich, als die Herren des Geldes sonst stets zu den Ersten zählten, die kräftige Zuwächse als Gift für den Standort geißelten.

120 Euro zusätzlich sind für Oliver Hermes nicht wenig. Er wird damit einen Einkaufsbummel unternehmen oder etwas für das Auto zurücklegen, das weiß er noch nicht genau. Sicher ist aber: Zu bedeutendem Wohlstand, Reichtum gar, wird er es auch mit dieser Extrasumme kaum bringen. Ein großes Haus, Wertpapiere, Edelmetall – das wird schwierig. Obwohl Hermes gut ausgebildet ist, obwohl er sich anstrengt.

Keine egalitäre Gesellschaft

Längst ist Deutschland nicht mehr die egalitäre Gesellschaft, die es viele Jahrzehnte nach dem Krieg gewesen ist. Der Abstand zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich ist dramatisch gewachsen seit Anfang der neunziger Jahre. Heute ist das Vermögen hierzulande so ungleich verteilt wie in keinem anderen Land der Euro-Zone, hat die EZB errechnet. Wie es aussieht, wird sich daran so schnell nichts ändern. Wer reich ist, bleibt reich, wer arbeitet, kann nicht mehr automatisch damit rechnen, irgendwann reich zu werden. Das liegt an ungleich verteilten Startchancen für Junge, an einer Politik, die es nicht wagt, an den Verhältnissen etwas zu ändern, an der Finanzkrise und an vielem mehr.

Klaus-Michael Kühne, 76, muss das nicht kümmern. Er hat es längst geschafft, mit einem Vermögen von etwa fünf Milliarden Euro gehört der Unternehmer zu den reichsten Männern der Republik. In seinem Depot liegt das größte Aktienpaket des Spediteurs Kühne+Nagel – das hat ihm zuletzt die schöne Summe von 307 Millionen Euro eingebracht. Einfach so, als Dividende. Kühne musste nur ein paar Mal zu den Verwaltungsratssitzungen reisen, fertig.

Kapitalanlage macht reicher

Wer hat, dem wird gegeben – die Erkenntnis ist nicht neu. Der französische Ökonom Thomas Piketty hat darin indes eines der Grundprinzipien des Kapitalismus ausgemacht: Wer Kapital anlegt, gelangt schneller zu Reichtum als mit harter Arbeit. Mit dieser These hat Piketty zuletzt über die Grenzen seines Fachs hinaus Aufmerksamkeit erregt.

Die Deutschen haben bis Ende März der Bundesbank zufolge ein Vermögen von 5207 Milliarden Euro angehäuft, Immobilien oder Kunstwerke nicht eingerechnet. Finanzminister Wolfgang Schäuble könnte damit 17 Jahre lang die Ausgaben des Bundes decken.

Doch das ist nur eine Gesamtaufnahme. Tatsächlich besitzen die reichsten zehn Prozent 59 Prozent des gesamten Vermögens. Wer zu dieser Geld- Elite gehört, verfügt über mindestens 817 000 Euro. Westdeutsche haben mehr als Ostdeutsche, Männer mehr als Frauen, Kinderlose mehr als Familien, Unternehmer mehr als kleine Beamte. Als ultrareich gilt, wer mehr als 30 Millionen Dollar auf dem Konto hat. Nur in den USA ist diese Gruppe noch stärker vertreten als in der Bundesrepublik. Dagegen besitzt ein Fünftel aller Erwachsenen hierzulande überhaupt nichts.

Die soziale Herkunft eines Kindes entscheidet noch immer darüber, ob es später einmal in Armut, Wohlstand oder Reichtum lebt.

In den vergangenen Monaten dürfte sich der Trend noch verstärkt haben. „Als Hausbesitzer ist man ohnehin schon wohlhabend – die steigenden Immobilienpreise haben diese Leute noch reicher gemacht“, sagt Markus Grabka, Verteilungsforscher beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Hinzu kommt die Niedrigzinsphase. „Wer nicht viel Geld hat, kann kein großes Risiko eingehen und bekommt daher weniger Zinsen.“ Begüterte dagegen könnten auf Aktien oder Anleihen mit weitaus höheren Renditen setzen.

Ungleichheit schürt nicht nur Neid. Sie ist sogar schädlich, haben Forscher des Internationalen Währungsfonds ermittelt: Ein großer Abstand zwischen Arm und Reich schwächt das Wachstum. Gerechtere Länder entwickeln sich dynamischer.

Schon in jungen Jahren werden heute in der Bundesrepublik Lebenschancen verteilt. Die soziale Herkunft eines Kindes entscheidet noch immer darüber, ob es später einmal in Armut, Wohlstand oder Reichtum lebt. Einen „engen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Lernergebnissen“ stellte die Wirtschaftsorganisation OECD jüngst für Deutschland fest.

Globalisierung wirkt sich aus

Dass sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet hat, liegt auch an der Globalisierung. Lehrstellen und Jobs für Menschen mit mäßiger Bildung werden seltener, die Technisierung stellt immer höhere Anforderungen.

Hinzu kommt, dass die Politik mit ihren Steuerreformen der vergangenen Jahre meist den Reichen in die Karten gespielt hat. Die Vermögensteuer wurde ausgesetzt, auf Kapitalerträge fallen pauschal nur noch 25 Prozent Abgeltungsteuer an, nicht mehr der persönliche Steuersatz. Die Erbschaftsteuer wurde für viele Firmen de facto abgeschafft, die Einkommensteuer in der Spitze von 53 auf 45 Prozent gesenkt.

Auf der anderen Seite stieg die Mehrwertsteuer, die Geringverdiener überproportional belastet, von 14 auf 19 Prozent. „Die Ungleichheit hat vor allem zwischen 2000 und 2006 zugenommen – unter Rot-Grün und der ersten großen Koalition“, hat der Finanzwissenschaftler Giacomo Corneo von der Freien Universität Berlin beobachtet. „Die Steuerpolitik hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.“

Reform der Erbschaftsteuer?

Die aktuelle Koalition kommt womöglich gar nicht umhin, sich mit dem Thema bald zu beschäftigen. Denn das Bundesverfassungsgericht verhandelt gerade, ob die Reform der Erbschaftsteuer von 2008 überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wird ein Betrieb samt seiner Jobs fortgeführt, ist nun kaum oder gar keine Erbschaftsteuer mehr fällig. „Eine wirksame Erbschaftsteuer wäre das beste Instrument, um in einem überschaubaren Zeitraum zu einer gerechteren Verteilung zu kommen“, rät Peter Bofinger, Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen. Von einer einmaligen Vermögensabgabe, dem Lieblingsthema vieler Linker, rät er dagegen ab. „Das wäre schlecht für Investitionen und Standortqualität – der Flurschaden wäre am Ende größer als die Einnahmen.“ Auch von der Vermögensteuer raten Experten ab – sie könnte die Substanz vieler Firmen gefährden.

Das Thema treibt auch die SPD um – weniger Parteichef Sigmar Gabriel, der es sich mit der Wirtschaft nicht verscherzen mag. Dafür aber den linken Flügel. „Es gibt einen enormen Reichtum hierzulande, der sich abgekoppelt und verselbstständigt hat“, sagt Carsten Sieling, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion. „Darauf müssen wir als SPD reagieren.“ Wie Bofinger empfiehlt er einen Blick auf das Aufkommen der Erbschaftsteuer. „Meines Erachtens wäre angesichts der Super-Erbschaften der nächsten Jahre sogar eine Steigerung notwendig.“ Außerdem könne man die Abgeltungsteuer abschaffen: „Vermögenserträge müssten dann wieder mit dem persönlichen Einkommensteuersatz belegt werden.“

Lesen Sie hier auch das Interview mit dem Reichen-Forscher Wolfgang Lauterbach.

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