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Vertrauensverlust für Europas Politik: Alle gegen alle und jeder für sich allein

Griechenland bleibt vorerst im Euro, die Eskalation ist abgewandt. Das könnte eine gute Nachricht sein. Doch in der Euro-Krise herrscht nur noch Misstrauen. Das ist ein Problem. Ein Kommentar.

Im Bundestag wird wohl eine große Mehrheit am Freitag für die Verlängerung der Griechenlandkredite stimmen. Die Griechen haben sich verpflichtet, die Zeit zu nutzen, um eigene Reformen umzusetzen. Das könnte eine gute Nachricht sein. Keine Eskalation, kein Zusammenbruch. Wer am Ende der weiteren Verhandlungen von der Einigung profitiert – oder auch nicht –, wird sich erst in den kommenden Monaten herausstellen. Doch in diesem Konflikt gibt es keine guten Nachrichten mehr. Über das „Nachgeben“ und das „Weiterzahlen“ der Bundesregierung werden sich viele Deutsche empören. Sie hätten es lieber krachen gesehen, als dass Griechenland auch nur eine Bedingung anders umsetzt, als es vereinbart war. In Griechenland dagegen fürchten die Menschen, dass sich trotz der neuen Syriza-Regierung nur wenig an ihrer Notlage ändert. Dass Europa sie hat abblitzen lassen und Deutschland es auf eine grundsätzliche Demütigung abgesehen hatte – völlig unabhängig davon, welche ökonomischen Konzepte nun die besten für das Land seien.

Wenn eine Vereinbarung getroffen wird, aber die Menschen sich auf der einen Seite ausgenommen und auf der anderen unterdrückt fühlen, läuft etwas schief in Europa. Klar ist: Die Krise schlägt inzwischen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional voll durch. Misstrauen ist das vorherrschende Gefühl in Europa. Gegenüber anderen Staaten, gegenüber Brüssel. Wenn es gemeinsam nicht läuft, dann eben lieber jeder für sich allein. Das ist keine schöne Stimmung in einer Union, die zu Recht stolz ist auf ihre Friedensgeschichte, auf die Reisefreiheit, auf den wirtschaftlichen Erfolg der Vergangenheit.

Doch es stehen nicht nur elf Millionen frustrierte Griechen gegen den Rest der 500 Millionen Europäer, wie es in Deutschland gerne dargestellt wird. Letztlich ist die Griechenlandwahl ein Wunsch nach mehr Selbst- und Mitbestimmung. Das gilt genauso für den Abspaltungsversuch Schottlands, für die Austrittsfantasien in England, für die starken Umfragewerte der Alternative für Deutschland und vielleicht sogar den Aufstieg der Rechten in Frankreich. Es geht nicht um ein mit oder ohne Griechenland. Es geht darum, dass Menschen sich nicht bevormundet fühlen wollen. In Europa wird zu viel durchregiert. Die Angst vor einem „Brüssel-Totalitarismus“ wird geschürt, wenn Beamte der "Troika" Gesetze schreiben, wenn zukünftig ein „unabhängiges Expertengremium“ über Investitionen in die Euro-Staaten entscheiden soll und „Regulierungsräte“ Absprachen bei Handelsabkommen treffen.

Man kann für all diese technokratischen Gremien pragmatische Argumente finden. Aber Europa gibt es nicht nur aus Pragmatismus, den Menschen bringt eine positive Handelsbilanz alleine nichts, wenn sie das Gefühl haben, über die Verteilung der Gewinne nicht ausreichend mitentscheiden zu können. Die EU-Kommission hat einige richtige Schritte gemacht, indem sie ihre Kompetenzen stärker auf zentrale Themen konzentriert. Gleichzeitig muss aber das Europäische Parlament in seiner Kontrollmacht gestärkt und die nationalen Parlamente stärker an Entscheidungen beteiligt werden. Das macht Prozesse langsamer. Das ist anstrengend. Doch wenn in der Dynamik der Schuldenkrise der Wunsch nach demokratischer Selbstbestimmung ignoriert wird, entwickelt er sich zu misstrauischem Nationalismus.

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