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Strahlender Sieger: David Cameron gewinnt überraschend deutlich.

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Update

Wahl in Großbritannien: David Cameron schafft mit Konservativen absolute Mehrheit

David Cameron kann zukünftig alleine regieren: Die Konservativen erreichen die absolute Mehrheit. Bei den Verlierern rollen die Köpfe: Der Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, und der Labour-Vorsitzende Ed Miliband treten zurück. Auch Ukip-Chef Nigel Farage gibt seinen Parteivorsitz auf.

Politisches Erdbeben nach der Parlamentswahl in Großbritannien: Während sich Ministerpräsident David Cameron und die Konservativen über die abolute Mehrheit freuen können, erklären die Chefs der Verlierer-Parteien nacheinander ihren Rücktritt: Nach den herben Verlusten hat der Chef der Liberaldemokraten und Vize-Regierungschef Nick Clegg sein Amt abgegeben. Zudem ist Ed Miliband ist als Vorsitzender der britischen Labour-Partei zurückgetreten. Er übernahm am Freitag die Verantwortung für die Wahlniederlage der Sozialdemokraten.

Auch Nigel Farage zieht offenbar Konsequenzen aus der Wahl: Der Chef der EU-feindlichen United Kingdom Independence Party (Ukip) hat es nicht ins neue britische Parlament geschafft. Laut den am Freitag veröffentlichten Ergebnissen scheiterte er in dem Versuch, den südenglischen Wahlkreis South Thanet zu erobern. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP räumt Farage seinen Posten.

David Cameron und die britischen Konservativen haben derweil einen der überraschendsten Wahlsiege der Nachkriegsgeschichte erzielt. Camerons Konservative Partei gewann die für eine Alleinregierung nötige absolute Mehrheit im Unterhaus. Die Tories erreichten nach Auszählung von 643 der 650 Wahlkreise am Mittag 326 Mandate; vier Sitze aus Nordirland bleiben traditionell unbesetzt. Herausforderer Ed Miliband käme danach mit seiner sozialdemokratischen Labour-Partei auf 232 Sitze. Bei der letzten Unterhauswahl vor fünf Jahren waren es noch 258 Sitze gewesen. Damit zeichnete sich nicht nur ein Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft, sondern auch über ein unabhängiges Schottland ab.

„Jede Regierung in Westminster muss in Betracht ziehen, was in Schottland passiert“

Das Ergebnis widerspricht sämtlichen Umfragen der vergangenen Monate, die dauerhaft von einem Kopf- an Kopf-Rennen der beiden Hauptparteien Labour und Tories und einem komplexen Patt im Unterhaus ausgegangen war. Eine Erklärung: Viele konservative Wähler scheuten sich, sich in Umfragen zu den Tories zu bekennen, die wegen ihrer harten Sparpolitik umstritten sind. Der Professor Tony Travers von der London School of Economics sagte am Freitag, entweder handele es sich um einen späten Umschwung in der Wählermeinung, oder die konservative Wählerschaft habe auf die Frage nach ihrer Wahlabsicht "schüchtern" geantwortet. Bereits 1992 war der überraschende Wahlsieg der Konservativen unter John Major auf die "Schüchternheit" der Tory-Wähler in den Umfragen zurückgeführt worden. Damals war ein Wahlsieg für Labour vorausgesagt worden.

Eigentliche Siegerin der Unterhauswahl war die schottische Nationalistenpartei SNP unter ihrer Parteichefin Nicola Sturgeon. Die SNP war in den frühen Morgenstunden auf Kurs, 56 der 59 schottischen Sitze zu gewinnen und die Labourpartei in Schottland fast auszuradieren. Das Wahlergebnis ist ein politisches Erdbeben. „Jede Regierung in Westminster muss in Betracht ziehen, was in Schottland passiert“, warnte Sturgeon.

Ihr Amtsvorgänger Alex Salmond, der nun wieder als Abgeordneter ins Unterhaus einzieht, sagte: „Der schottische Löwe hat gebrüllt. Wer immer in London regiert, es ist ausgeschlossen, dass eine solche Demonstration der schottischen Einheit ignoriert wird“. Politisch ist das Land völlig gespalten. Einem von den Separatisten übernommenen Schottland steht nun England gegenüber, das mehr denn je von den Torys dominiert wird.

Premier David Cameron machte in seiner Siegesansprache nach der Wahlkreisauszählung klar, dass er die versprochenen begonnenen weiteren Autonomieangebote für Schottland nun schnell umsetzen will. „Ich möchte unsere Länder zusammenbringen, unser Vereinigtes Königreich“. Er bestätigte auch seinen Plan eines EU-Referendums. „Wir sollten in der Politik den großen Fragen nie aus dem Weg gehen“. Damit steht Großbritannien vor einer Serie möglicherweise einschneidender Umbauarbeiten. 

Röttgen warnt Tories vor allzu weit gehenden Forderungen bei EU-Neugestaltung

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), warnte die konservative Regierungspartei in London vor allzu weit gehenden Forderungen bei einer Neuordnung der EU. „Es wird keine Vertragssänderung in Europa geben. Das wissen die Briten auch“, sagte Röttgen dem Tagesspiegel. Wie Röttgen weiter sagte, könne die von Cameron angekündigte Debatte über eine Neuordnung der EU auch einen Anstoß dazu geben, „wie wir Europa gestalten wollen“. Als Punkte nannte er dabei Herausforderungen wie den Ukraine-Konflikt und den Flüchtlingsdruck im Norden Afrikas, die nach europäischen Antworten verlangten. „Wenn es nach Deutschland geht, dann soll Großbritannien dabeisein“, sagte Röttgen weiter.

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EU-Parlamentschef Martin Schulz erwartet von Großbritannien angesichts des geplanten EU-Referendums eine Klärung des Verhältnisses zur Europäischen Union. „Großbritannien muss jetzt die Zeit nutzen, um das Verhältnis zu Europa zu klären“, sagte Schulz dem Tagesspiegel. Dabei hoffe er „auf eine sachliche Diskussion ohne Polemik“, sagte der SPD-Politiker weiter. „Die EU ist stärker mit Großbritannien“, fügte Schulz hinzu.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Axel Schäfer sagte, wenn Cameron ein Referendum wolle, dann solle er dies so schnell wie möglich abhalten. Es dürfte "keine Hängepartie" in der EU geben, sagte er weiter. "Wir dürfen uns nicht von Cameron die Agenda diktieren lassen", so Schäfer. Zu den Forderungen der britischen Konservativen gehört eine Beschränkung des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen für Einwanderer aus EU-Staaten. Im vergangenen November hatte Cameron angekündigt, er werde sich im Fall einer Wiederwahl dafür einsetzen, dass Einwanderer aus dem europäischen Ausland erst nach vier Jahren Arbeitslosengeld in Großbritannien beziehen könnten. Eine derartige Regelung ist mit dem bestehenden EU-Vertrag nicht vereinbar.

Labour wurde nicht nur in Schottland fast ausradiert. Die Partei konnte auch in England keine wesentlichen Zugewinne gegenüber ihrem miserablen Wahlergebnis von 2010 machen. “Die nächste Regierung hat eine riesige Verantwortung unser Land zusammenzuhalten“, sagte Labourchef Ed Miliband, nachdem er seinen Wahlkreis Doncaster gewann. Aschengrau sprach von einer „enttäuschenden und schwierigen Wahlnacht“.

Dutzende von langen politischen Karrieren wurden in einer der brutalsten britischen Wahlnächte der Geschichte beendet. Unter den Labourabgeordneten, die ihre Sitze verloren, waren der schottische Labourchef Jim Murphy, der frühere Labourminister und Schattenaußenminister Douglas Alexander,  bei den Liberaldemokraten verlor Wirtschaftsminister Vince Cable seinen Wahlkreis. Zu den prominenten Opfern in den Reihen der Liberaldemokraten gehört auch der frühere Parteivorsitzende Charles Kennedy, der seinen Sitz im schottischen Ross, Skye and Lochaber an die SNP verlor.

Einen riesigen Zuwachs konnte die Schottische Nationalpartei (SNP) für sich verbuchen, die sich von bisher sechs auf nun 58 der 59 in Schottland zu vergebenden Sitze steigerte. Die Partei trat nur in der bisherigen Labour-Hochburg Schottland an. Der EU-feindlichen United Kingdom Independence Party (Ukip) wurden nur zwei Mandate vorausgesagt.

"Wenn die Prognosen stimmen, heißt das, dass die Konservativen klar gewonnen haben", sagte Michael Gove, ein enger Vertrauter Camerons, im BBC-Fernsehen. Labour-Schattenfinanzminister Ed Balls wollte eine Regierung unter Führung seiner Partei trotz der Prognosen nicht ausschließen. "Die Frage wird sein, ob die SNP und die Liberaldemokraten eine fortschrittliche (Mitte-links-)Agenda unterstützen oder nicht", sagte er der BBC. Die Liberaldemokraten hatten sich vorab sowohl für eine Koalition mit den Tories als auch mit Labour offen gezeigt. (mit AFP/Reuters/dpa)

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