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Hildegard Hamm-Brücher (hier 1978 neben Hans Dietrich Genscher) konnte austeilen und musste einstecken. 2002 verließ sie die FDP – aus Protest gegen die antiisraelischen Töne von Jürgen Möllemann.

© Manfred Rehm/dpa

Zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher: Die Unbequeme

Überzeugte Liberale, streitbare Demokratin – Hildegard Hamm-Brücher ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Von Robert Birnbaum

Den Titel einer „Grande Dame“ des Liberalismus hat sie von der Mitwelt schon zu ziemlich frühen Lebzeiten verpasst bekommen. Er verrät in seiner Mischung aus Ehrerbietung und Feuilletonismus mehr über die Ratlosigkeit dieser Mitwelt, wie man die Frau nun einsortieren soll, als über Hildegard Hamm-Brücher selbst. Eine Dame gewiss, aber doch keine Gesellschaftslöwin – nur der Liberalismus war bei ihr ganz ohne Zweifel bestens aufgehoben. Zu dessen organisierter Version unterhielt sie ein eher gespanntes Verhältnis, 2002 trat sie aus der FDP aus. Am Mittwoch ist Hildegard Hamm-Brücher im Alter von 95 Jahren in München gestorben.

Unbequem war ihr moralischer Anspruch immer, vor allem für die Pragmatiker der Macht. Die 1921 in Essen geborene Politikerin mit dem stets wallend hochtoupierten Haarschopf konnte spitz austeilen und musste scharf einstecken. Von wegen „große Dame“ – Franz Josef Strauß schimpfte sie „Krampfhenne“, der langjährige bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel „Bissgurke“. Die Zeiten waren damals rau im Ton. Und Frauen wurden in den herrschenden Männerclubs sowieso als Eindringlinge behandelt, erst recht wenn sie den Kampf um Gleichberechtigung offensiv betrieben.

Hamm-Brücher scherte das nicht. Sie hatte schlimmere Zeiten hinter sich. Ihre Eltern starben früh, Hildegard und ihre vier Geschwister wuchsen bei der Großmutter in Dresden auf. Die Nazis stuften die alte Frau als Jüdin ein. Als 1943 der Deportationsbefehl ins KZ Theresienstadt kam, nahm sich die 80-Jährige mit Schlaftabletten das Leben. Damals, schrieb Hamm-Brücher später, habe sie sich geschworen, gegen das Unrecht zu kämpfen, falls sie die Nazi-Zeit überlebt.

Sie hatte Glück und prominente Helfer. Der Chemie-Nobelpreisträger Heinrich Wieland nutzte seine Möglichkeiten als „kriegswichtiger“ Forscher und verschaffte der als „Halbjüdin“ geächteten jungen Frau ein Chemiestudium in München. Die Erfahrungen aus der Nazi-Zeit, in der sie viele Mitbürger nur als „grässlich“ kennenlernte, ließen sie nie los. In den fremdenfeindlichen Ausfällen von Pegida und AfD sah sie das Potenzial für neuen „echten Nazismus“ wachsen.

In der FDP blieb sie mehr geduldet als geschätzt oder gar gefördert

Nach dem Krieg heiratete sie in München den CSU-Stadtrat Erwin Hamm und entschied sich für Politik als Beruf. Thomas Dehler holte sie zur FDP – keine auf den ersten Blick naheliegende Parteienwahl übrigens; die frühe FDP war in Teilen ein Sammelbecken für Ex-Nazis.

In der sozialliberalen Koalition wurde Hamm-Brücher von 1976 bis 1982 unter Hans-Dietrich Genscher Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Mit dem Koalitionssprung der FDP mitten in der Wahlperiode von der SPD zur CDU begann ihr Aufstieg zur liberalen Ikone und ihre Abwendung von der eigenen Partei. Im Bundestag stimmte sie gegen den „Machtwechsel“ und las den Putschisten kollektiv die Leviten: „Ich finde, das beide dies nicht verdient haben: Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen!“

Kohl nahm das übel und schnitt sie von da an. In der FDP blieb sie präsent, mehr geduldet als geschätzt oder gar gefördert. Nur als die Freidemokraten 1994 bei der Bundespräsidentenwahl Eigenständigkeit demonstrieren wollten, kam ihnen das prominente Mitglied noch einmal recht. Vor dem dritten Wahlgang aber zog die Parteispitze sie zurück und stimmte aus Koalitionsräson dann doch für Kohls Kandidaten Roman Herzog.

Den Anlass für den Bruch lieferte Jürgen Möllemann. Der Nordrhein-Westfale versuchte sich im Wahlkampf 2002 mit israelkritischen Tönen als Rechtspopulist. Am Wahltag warf Hamm-Brücher die Austrittserklärung in den Briefkasten. Guido Westerwelle bemühte sich vergebens, sie zur Rückkehr zu bewegen. Hamm-Brücher konnte mit dem Leistungs- und Wirtschaftsliberalismus des FDP-Chefs nichts anfangen. Sie zog sich in ihr Engagement in der evangelischen Kirche zurück. Nur manchmal kam noch ein kritischer Zwischenruf aus München. Von den körperlichen Gebrechen des hohen Alters nicht verschont, blieb sie geistig wach bis zuletzt: „Mein Leben hatte nichts zu wünschen übrig.“

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