zum Hauptinhalt
Schwere Entscheidungen. Schiedsrichter müssen sich vor allem im Amateurbereich einiges anhören.

© Imago

Angegriffener Berliner Fußball-Schiedsrichter: „Mit dem Anpfiff setzt eine Wesensveränderung ein“

Vor drei Jahren wurde der Berliner Amateur-Schiedsrichter Gerald Bothe auf dem Fußballplatz bewusstlos geschlagen. Im Interview spricht der Unparteiische darüber, was sich seither geändert hat, sowie über den schwindenden Respekt, falsche Vorbilder und die Frage, warum er trotzdem weiterpfeift.

Herr Bothe, warum wurden Sie als Schiedsrichter 2011 bei einem Spiel der Senioren-Landesliga zusammengeschlagen?

Kurz vor Spielende habe ich den Stürmer der Gästemannschaft vom Platz gestellt. Er wollte sich partout nicht beruhigen und nach einer abfälligen Geste mir gegenüber blieb mir keine andere Wahl. Als ich die Karten einstecken wollte, bekam ich unvermittelt einen Schlag gegen den Kopf. Von da an fehlt mir eine halbe Stunde meines Lebens.

Sie waren bewusstlos …

… ja, was aber viel gefährlicher war: Ich hatte durch den Schlag meine Zunge verschluckt. Ich wäre erstickt, wenn die gastgebende Mannschaft, Medizin Friedrichshain, nicht einen Rettungsassistenten in der Mannschaft gehabt hätte. Er hat das Problem erkannt und wusste, was zu tun ist. Ich bin erst in der Kabine wieder zu mir gekommen und war dann insgesamt zwölf Tage im Krankenhaus. Meine Frau war damals hochschwanger und das hat sie natürlich sehr beunruhigt.

Was wurde festgestellt?

Eine Gehirnerschütterung und zwei Blutgerinnsel. Ich hatte Sprachstörungen und Schwindelgefühle, außerdem Sehstörungen, die etwa ein Vierteljahr anhielten.

Wie lange haben Sie Pause gemacht?

Keine zwei Wochen. Das nächste Spiel war wieder bei den Friedrichshainer Medizinern, da war ich ja gut aufgehoben.

Haben Sie den Täter wieder gesehen?

Nein.

Aber es gab doch Verhandlungen?

Bei der Sportgerichtsverhandlung war er nicht anwesend. Er wurde lebenslänglich gesperrt, kann aber nach fünf Jahren einen Antrag stellen, eventuell wieder spielen zu dürfen. Strafrechtlich gab es einen Deal der Anwälte des Täters mit der Staatsanwaltschaft: vier Monate auf Bewährung. Und bei der zivilrechtlichen Verhandlung hat er sich anwaltlich vertreten lassen. Es ist schließlich ein Versäumnisurteil ergangen. Er hat bis zum Schluss nicht eingesehen, dass es falsch war, was er getan hat.

Gerald Bothe, 54, ist seit 1998 als Schiedsrichter innerbalb des Berliner Fußball-Verbandes aktiv. Vor drei Jahren verlor er nach einem Schlag das Bewusstsein.
Gerald Bothe, 54, ist seit 1998 als Schiedsrichter innerbalb des Berliner Fußball-Verbandes aktiv. Vor drei Jahren verlor er nach einem Schlag das Bewusstsein.

© Soukup

Pfeifen Sie seither anders?

Eigentlich nicht. Ich war schon immer recht konsequent, mache aber jetzt noch klarer Grenzen meiner Wohlfühlzone deutlich und versuche, noch mehr zu kommunizieren. Das ist ab einer gewissen Altersstufe schwierig. Ältere Spieler sind oft nicht bereit, eine Entscheidung zu akzeptieren, schon gar nicht von einem Schiedsrichter, der von Fußball sowieso keine Ahnung hat.

Gibt es für Sie Problemspiele?

Ja, aber es sind meistens die, bei denen man nicht damit rechnet. Wenn man es erwartet, unterbindet man alles, was zur Eskalation führen könnte. Am besten mit persönlichen Strafen.

Meinen Sie Zeitstrafen?

Leider nicht, die sind ja abgeschafft worden. Aber seit die Mannschaften – erstmals in dieser Saison – in den unteren und den Seniorenbereichen bis zu fünf Spieler aus- und wieder einwechseln können, gebe ich den Trainern schon mal einen Wink, dass ein übermotivierter Spieler vielleicht etwas Abkühlung braucht.

Gibt es Problemvereine?

Es gibt Vereine, in denen die Rolle des Schiedsrichters nicht klar genug vermittelt wird. Aber Fußball ohne Schiedsrichter funktioniert nicht, höchstens auf dem Bolzplatz oder im Park. Oft sind gerade die Spieler das Problem, die sich vor dem Spiel besonders exponieren und zeigen wollen, wie nett, höflich und eloquent sie sind. Smalltalk ohne Ende. Aber sobald Sie anpfeifen, setzt eine Wesensveränderung ein. Und dann mit dem Schlusspfiff: „Schiri, alles toll. Super gepfiffen.“ Aber vorher hätte er mich am liebsten totgeschlagen. Gerade diese Spieler würden hinterher nicht glauben, wie sie sich auf dem Platz benommen haben.

Gibt es ein Problem-Alter?

Ich pfeife Spiele in allen Bereichen, außer im Kinder- und Jugendbereich. Ganz schwierig sind Spieler ab 50, die vielleicht im Berufsleben eine leitende Position haben oder selbständig sind. Die können oft nicht akzeptieren, dass auf dem Platz die Regeln des Berliner Fußballverbandes gelten. Hinzu kommen die natürlich nachlassenden körperlichen Fähigkeiten. Was früher noch klappte, geht irgendwann nicht mehr. Ganz, ganz schwierig.

Warum meiden Sie den Jugendbereich?

Da sind mir die Eltern zu anstrengend. Die nehmen das zu persönlich. Fußball ist ein Kontaktsport, das kann schon mal weh tun. Wird das eigene Kind gerempelt, gefoult oder gar verletzt, setzen die Beschützerinstinkte der Eltern reflexhaft ein. Ich soll das dann unterbinden, das ist eine falsche Erwartung an den Schiedsrichter, übrigens in jeder Altersklasse. Ich kann keine Fouls unterbinden, ich kann sie nur ahnden. Der Ehrgeiz der Eltern und oft auch der Trainer ist fast immer zu groß.

Hat sich das Leben eines Schiedsrichters im Berliner Amateurfußball verändert?

Eindeutig. Allein seit 1998, als ich als Schiedsrichter anfing, hat der Respekt uns gegenüber gelitten. Fatal sind die Vorbilder im Fernsehen. Was die in der Bundesliga veranstalten, erleben wir auf dem Platz, und zwar eins zu eins. Was ganz schlimm ist, sind solche Trainer wie Klopp, Streich, Tuchel oder wie sie alle heißen oder Völler – warum der noch keine Strafe oder Sperre bekommen hat, ist mir unerklärlich. Einfach mal 10 000 Euro – es juckt ihn ja gar nicht. Aber es würde als Strafe wahrgenommen.

Gibt es Parallelen für Sie zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, die Sie sehen, und Dingen, die auf dem Platz passieren?

Ja, ganz klar. Sehen Sie, der soziale Abstieg vieler Menschen führt dazu, dass das Fußballspiel zum wichtigsten Ereignis der Woche wird. Wo man den privaten, sozialen und wirtschaftlichen Frust der Woche vergessen kann. Und dann kommt da so ein Schiedsrichter daher und versaut einem das ganze Wochenende. Das ist für viele wirklich ein Drama. Deshalb versuche ich auch immer, die Spiele mit kompletten Mannschaften zu Ende zu bringen. Ich weiß doch aus eigener Erfahrung, dass Fußballspielen hilft, Frust abzubauen.

Und warum machen Sie das? Wohl kaum wegen der Aufwandsentschädigung.

Nein, das sind 15 Euro plus fünf Euro Fahrgeld. Aber ich habe trotz des Vorfalls nicht das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Wir Schiedsrichter haben ja genauso Spaß und Freude am Spiel. Man erfreut sich an Zweikämpfen, schönen Toren … Das ist doch das Tollste, was es gibt. Man kann das Spiel genießen. Natürlich gehen wir emotionsloser an die Sache ran als die Spieler – man muss ein gewisses Gemüt haben, um Schiedsrichter zu sein. Es gibt immer eine Seite, der eine Entscheidung nicht passt. Aber man kennt ja das Regelwerk mit allen Auslegungen, die wichtig sind. Es ist nicht leicht, zumal ohne Assistenten. Allein die Abseitsproblematik. Ich kann ja nur in eine Richtung schauen. Aber es macht Spaß und Freude, man bewegt sich.

Haben Sie mal ans Aufhören gedacht?

Nach dem Vorkommnis 2011 hat mich meine Frau gefragt, ob ich nicht lieber mit der Schiedsrichterei aufhören will, weil sie Angst um mich hat. Aber es macht mir einfach zu viel Spaß. Und was wäre das für ein Signal an meine 75 000 Schiedsrichter-Kollegen in Deutschland?

Das Gespräch führte Uwe Soukup.

Uwe Soukup

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false