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Sport: Die Geschichte eines Alarms

Vor dem Regionalligaspiel Regensburg gegen Hoffenheim schlug das neue Wettradarsystem vor knapp einem Jahr erstmals an

Berlin - Hans Scheuerer hatte noch zwei Stunden bis zum Feierabend, als der Anruf kam. Bis dahin war es ein normaler Arbeitstag für den Geschäftsführer des Süddeutschen Fußballverbands. Aber als er den Hörer abnahm, war er plötzlich Teil eines Frühwarnsystems. Am Telefon war Markus Stenger, Funktionär des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt, zuständig für die Regionalligen. „Wir haben eine Warnung von Betradar bekommen. Auf das Regionalliga-Spiel Jahn Regensburg gegen TSG Hoffenheim gab es unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze“, sagte er. Es war Freitag, 15. April 2005, 17.30 Uhr. Erstmals hatte das Alarmsystem des DFB angeschlagen.

Zehn Wochen zuvor war der Hoyzer-Skandal aufgeflogen, die Affäre um den bestochenen Schiedsrichter und die verschobenen Spiele. Betradar ist seither eine Abwehrwaffe des DFB gegen weitere Manipulationen. Buchmacher berichten der Firma, die weltweit Wettquoten registriert, von ungewöhnlichen Wetteinsätzen, die nach Betrug riechen. Betradar informiert dann sofort den DFB. Bis zu diesem Freitag war es nur Theorie. Jetzt gab es den Ernstfall. Angeblich sollen hohe Beträge auf einen Sieg Hoffenheims gesetzt worden sein. In 90 Minuten sollte das Spiel beginnen. Aber Scheuerer blieb gelassen. „Die Nachricht war nicht so sensationell“, sagt er. Hoyzer hatte auch Regionalliga-Spiele verpfiffen, „es war klar, dass diese Liga weiter betroffen sein könnte“, sagt Scheuerer.

Aber jetzt gab es Gegenmaßnahmen gegen mutmaßlichen Betrug. Stenger wollte die Handynummer des Schiedsrichters der Partie. Der Unparteiische war der 23-jährige Medizinstudent Robert Kampka, er musste über die Betradar-Warnung informiert werden. Der Schiedsrichter ist die nächste Station der Alarmkette. Scheuerer rief auch Manfred Amerell an, den Schiedsrichter-Obmann der Regionalliga. Amerell übernahm schließlich, nach Absprachen, die Aufgabe, Kampka und Schiedsrichterbeobachter Siegbert Rubel zu informieren.

Der Schiedsrichter saß in seiner Kabine im Regensburger Stadion, als sich auf seinem Handy Amerell meldete. Es war etwa 18 Uhr 45, die Mannschaften hatten sich warm gemacht, jetzt warteten sie in ihren Kabinen auf den Anpfiff. Irgendwo in der Nähe der Kabinen war Klaus Sturm, der Regensburger Mannschaftsbetreuer. Plötzlich kam Kampka auf ihn zu. „Kommen Sie bitte in meine Kabine“, sagte der Schiedsrichter, „und bringen Sie den Mannschaftsleiter von Hoffenheim mit.“ Der Mannschaftsleiter von Hoffenheim heißt Dirk Rittmüller, und er wusste ebenso wenig wie Sturm, was er in der Schiedsrichterkabine sollte. Kampka reichte sein Handy erst an Sturm, dann an Rittmüller. Amerell war immer noch dran, und er sagte jedesmal das Gleiche: „Ich möchte Sie darüber informieren, dass auf dieses Spiel unverhältnismäßig hohe Einsätze getätigt wurden. Bitte informieren Sie Ihren Trainer darüber. „Damit waren die letzten Stationen der Alarmkette erreicht. Die entscheidende Botschaft war angekommen: Dieses Spiel wird besonders überwacht, wenn es ungewöhnliche Szenen gibt, wird die Partie genau analysiert. Die Trainer allerdings können allein entscheiden, ob sie ihre Mannschaft informieren. „Das können wir nicht befehlen“, sagt Amerell. Details über die Wetten erfuhren Rittmüller und Sturm allerdings nicht. Aus einem einfachen Grund. „Ich wusste doch selber keine Einzelheiten“, sagt Amerell. Sie sollen ruhig bleiben, teilte er den Teambetreuern aber noch mit.

Aber Sturm blieb nicht ruhig. Er war mal Beamter und 27 Jahre Trainer, er besteht auf Fairness, „da kommt mir gar nichts in die Tüte“. Eine seltsame Wette? Bei einem Spiel seines Klubs? „Ich war empört“, sagt er. „Und total überrascht, dass so etwas im deutschen Fußball möglich ist.“ Auch Rittmüller war „geschockt“. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: „Warum ausgerechnet dieses Spiel?“. Hoffenheim hatte lange Zeit Aufstiegsambitionen, lag jetzt aber auf Platz acht, neun Punkte hinter einem Aufstiegsplatz. Regensburg war Zehnter, der Abstand zu einem Abstiegsplatz betrug zehn Punkte. Auf- oder Abstieg war in dieser Partie kein großes Thema. Fabricio Hayer, der 36-jährige Spielmacher von Regensburg, sagt zwar: „Wir wollten das Spiel auf Biegen und Brechen gewinnen.“ Aber da ging es ums Prestige. Das Hinspiel hatte Regensburg 1:5 verloren.

Der empörte Sturm informierte umgehend Hansi Flick, den Hoffenheimer Trainer. „Der war genauso überrascht und empört wie ich“, sagt Sturm. Mit Kampka zusammen tauchten Sturm, Flick und Rittmüller in der Regensburger Trainerkabine auf. Dort saß Jahn-Trainer Mario Basler und blickte überrascht zu seinen Besuchern. Die Nachricht von den hohen Einsätzen nahm er ziemlich gelassen auf. „Ich habe in Gedanken mehr an meine Mannschaft gedacht, es war schließlich kurz vor dem Anpfiff.“ Er sagte seinen Spielern auch nichts von der Warnung. Die sollten sich auf die Partie konzentrieren. Auch Flick sagte nichts.

„Wettbetrug“, Basler spuckt das Wort fast aus. „Ich kann nicht nachvollziehen, dass sich ein Spieler bestechen lässt, vor allem, wenn er in der Bundesliga spielen sollte. Da verdient einer viel Geld und riskiert vielleicht wegen 20 000 Euro seine Karriere.“ 20 000 Euro, bitte schön, was ist das für einen Bundesliga-Profi. „So viel habe ich an einem Tag rausgeworfen, als ich bei Bayern München spielte.“ Er redet sich in Rage, es wird nicht klar, wie ernst er diesen Satz jetzt meint. „Wenn ein Spieler noch drei oder vier Jahre vor sich hat, dann ist er doch völlig bescheuert, wenn er sich auf so etwas einlässt.“ Gut, er wirbt jetzt selber für Wetten, „aber daran ist ja nichts Schlimmes. Halb Deutschland wettet.“ Wettbetrug sei etwas völlig anderes.

Aber damals, während des Spiels gegen Hoffenheim, dachte er nicht mehr an die Warnung und an möglichen Betrug. „Ich habe mir keine großen Gedanken gemacht, mir ist auch nichts Ungewöhnliches aufgefallen.“ Auf der Tribüne saß Rittmüller, und er machte sich ein paar Gedanken. „Ich habe mich nicht so richtig wohl gefühlt.“ Es gab ein paar Szenen, da hat er sich leise gefragt: „Warum ist der jetzt nicht zum Kopfball hoch? Warum hat der jetzt dieses Foul begangen?“ Andererseits: „Da war nichts Auffälliges.“ Gut, Regensburg vergab in der Anfangsphase mehrere Chancen, „aber das waren ganz normale Szenen“. Jan Hoffmann, der Regensburger Stürmer, traf einmal nur den Innenpfosten, das nächste Mal schoss er knapp vorbei. „Wenn er das absichtlich gemacht hätte, wäre der Ball viel weiter neben das Tor gegangen“, sagt Rittmüller. Auch Sturm, der Regensburger Betreuer, stellte „nichts Auffälliges fest“. Regensburg war drückend überlegen, schoss durch George Mbwando das 1:0, musste aber noch das 1:1 hinnehmen (Marcel Throm, 68.). Fabricio Hayer, Jahns Regisseur, „kann die Hand dafür ins Feuer legen, dass da nichts Betrügerisches passiert ist“. Er hat sich nur geärgert, „dass wir noch das Gegentor erhalten haben“.

Robert Kampka, der Schiedsrichter, wirkte souverän. „Der war völlig unaufgeregt“, sagt Rittmüller, „der hat die Partie sehr gut geleitet.“ Kampka darf offiziell nichts sagen, aber mit Scheuerer hat er nach dem Spiel geredet. Der Fußball-Funktionär hat ihn noch angerufen am Abend. Er wollte von Kampka wissen, ob sich der Verdacht auf Betrug verstärkt hatte. „Nichts Auffälliges“, habe Kampka erwidert, berichtet Scheuerer. Ein paar Tage später erhielten Jahn Regensburg und die TSG Hoffenheim Post vom DFB. Die Nachricht war kurz: „Der Verdacht auf Manipulationen hat sich nicht bestätigt.“ Thema beendet.

Ob Betradar seither noch mal Alarm geschlagen hat, ist nicht bekannt. Der DFB sagt nichts dazu. Und Scheuerer kann nichts mehr sagen. Er ist aus der Alarmkette ausgeklinkt, eine Reaktion auf das Spiel von Regensburg. „Seither faxen wir vor einem Spieltag alle Handynummern von eingesetzten Schiedsrichtern automatisch an den DFB“, sagt der 56-Jährige. „Die rufen jetzt nicht mehr bei uns an.“

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