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Sport: Ein Besuch bei alten Kameraden Der Nazi Rudel kam 1978

ins WM-Quartier des DFB

Berlin - Vor den Toren patrouillierten argentinische Soldaten mit geschulterten Maschinenpistolen, drinnen beschützten Beamte der GSG-9 Spieler und Funktionären. Während die anderen Teams bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Hotels logierten, bezog der DFB-Tross 1978 in Argentinien ein hermetisch abgeschottetes Erholungsheim der argentinischen Luftwaffe. Einer fand trotzdem Einlass: Hans-Ulrich Rudel, Idol alter wie junger Nazis, als einziger deutscher Soldat im Zweiten Weltkrieg mit dem Goldenen Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten ausgezeichnet. Auch durch seinen Besuch bei der Nationalmannschaft bleibt die WM 1978 wohl auf ewig mit dem Namen Ascochinga verbunden: Dem Ort des Quartiers der deutschen Nationalelf, der auf Deutsch „Toter Hund“ heißt und zum Schauplatz des vielleicht größten politischen Skandals der Nachkriegsgeschichte des DFB geriet.

Im Jahr vor der WM war Rudel als Starredner der rechtsradikalen DVU durch die Republik getourt. So wie viele Nazi- und Kriegsverbrecher hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien Unterschlupf gefunden. Gelockt wurden sie vom Staatschef Juan Domingo Perón, der die Nürnberger Prozesse als „die größte Ungeheuerlichkeit, welche die Geschichte niemals vergessen wird“, geißelte. 1948 engagierte Perón Rudel als Luftwaffenberater. Mit der Unterstützung des argentinischen Staatschefs wurde Rudel zu einem wohlhabenden Mann. Im argentinischen Exil gründete Rudel ein NS-Hilfswerk. Das so genannte „Kameradenwerk“, schickte Lebensmittelpakete an in Europa inhaftierten Nazi- und Kriegsverbrechern und übernahm in einigen Fällen auch deren Anwaltskosten.

Bereits in der NS-Zeit hatte Rudel die Nähe zum deutschen Sport gesucht. Guido von Mengden, Generalreferent des Reichssportführers, schon zu Weimarer Zeiten ein rabiater Antisemit und Chefredakteur von „Fußball und Leichtathletik“, schrieb 1943 im „Sportdienst“: „Wenn alle Weltrekordtabellen längst vergessen sind, werden in den Heldenliedern unseres Volkes die Taten eines so einzigartigen Mannes, wie Oberst Rudel es ist, weiterleben.“ Rudel blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein in der deutschen Sportszene gern gesehener Gast. Kein Wunder: Auch viele Funktionäre des deutschen Sports blieben nach 1945 im Amt. So brachte es sein Bewunderer Guido von Mengden in der Bundesrepublik zum Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes.

Bereits bei der WM 1958 war Rudel im DFB-Quartier aufgetaucht, um Sepp Herberger zum 3:1-Sieg über Argentinien zu gratulieren. Nach eigenem Bekunden verband Rudel mit dem Bundestrainer „eine jahrzehntelange Freundschaft“. In Ascochinga erklärte Rudel nun, er sei gekommen, um „alte Kameraden“ zu besuchen. Daheim in Deutschland könne man „nicht mehr die Wahrheit sagen“, weshalb er anschließend nach Südafrika gehen würde, „bevor das kommunistisch wird, wie die Bundesrepublik“. Als Rudels Visite publik wurde, war der Skandal perfekt. Der DFB erklärte, Rudel sei als Gast der argentinischen Luftwaffe erschienen. DFB-Vizepräsident Otto Andres sagte: „Wir haben mit der Sache nichts zu tun. Den hat der Kommandant hier reingelassen.“ DFB-Pressesprecher Wilfried Gerhardt lieferte eine andere Version: Rudel sei als „persönlicher Bekannter“ des Bundestrainers ins deutsche Quartier gekommen.

Auch DFB-Präsident Hermann Neuberger offenbarte eine stramm rechte Gesinnung: „Ich hoffe doch nicht, dass man ihm seine Kampffliegertätigkeit während des Zweiten Weltkriegs vorwerfen will.“ Die Kritik am Besuch des Nazis käme „einer Beleidigung aller deutschen Soldaten gleich“. Applaus kassierte Neuberger nur seitens der neonazistischen Presse. Die „Nationalzeitung“ sprach von einer „Ehrung der deutschen Nationalmannschaft durch Oberst Rudel“. Die NPD-Postille „Deutsche Wochenzeitung“ jubelte: „Schmähung Oberst Rudels zurückgewiesen. Mannhafte Haltung des Deutschen Fußballbundes.“

Dietrich Schulze-Marmeling ist mit Lorenz Peiffer Herausgeber des Buches „Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball im Nationalsozialismus“, das in den nächsten Tagen im Verlag Die Werkstatt erscheint.

Dietrich Schulze-Marmeling

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