zum Hauptinhalt
271829_0_b095726d.jpg

© Matthias Koch

Bauen an der Alten Försterei: 1. FC Union: Liebe ist unbezahlbar

Die Fans des 1. FC Union bauen ihr Stadion Alte Försterei um. Lothar Heinke, Union-Fan und Tagesspiegel-Autor, hilft mit.

Benni oder Kalle, Mulli oder Schnalle – jeder hat hier seinen Namen auf einem kleinen Anhänger, den er sich ans Hemd klemmt, wenn er überhaupt eines auf der Haut trägt. „Stadionbauer“ steht noch drauf, und das ist etwas Einmaliges: Die Anhänglichkeit zu ihrem Fußballverein, dem Drittligisten 1. FC Union, führt dazu, dass Fans selbstlos und irgendwie auch selbstverständlich das traditionsreiche, aber auch alte Stadion an der Alten Försterei erneuern und ausbauen. Dazu nehmen sie Urlaub oder kommen nach Feierabend zur zweiten Schicht – auf ihre „geilste Baustelle der Welt“.

Es ist früher Vormittag, an einem Seiteneingang steht die Gittertür offen. „Wohin des Wegs?“ fragt ein junger Mann namens Marek, der in einem gelben Leibchen steckt, was eine höhere Position verrät. „Ick wollte Stadionbauer werden“, antworte ich. „Nur zu“, spricht er, erhebt sich und schreitet zum Baubüro. Dort gibt er mir ein Formular, „füll’ doch einfach mal aus, Name und so“. Ungerührt legt Marek den Zettel weg, obwohl er gelesen hat, dass ich bei „Geburtsjahr“ 1934 eingetragen habe. „Na, junger Mann, dann woll’n wa mal“ sagt eine blonde, agile Frau, die sich im weiteren Verlauf des Abenteuers als Unions Eiserne Lady entpuppt: Sylvia Weisheit, die Oberbauleiterin. In ihrem Kopf dribbelt es ohne Pause, „die is die Seele vons Janze“, sagt einer, und so geht sie mit mir zum Materialcontainer und fragt, ob für den jungen Mann noch „was“ da ist. „Hmm, na det hier“, meint der Materialverwalter, nachdem er mit einem Blick meine Fähigkeiten erahnt, mit dem Alter multipliziert und durch meinen Bauchumfang geteilt hat. Dann holt er aus der Ecke einen breiten Besen. Mit diesem Arbeitsgerät gehen wir durchs Stadion, Sylvia, die Aktivistin, und ich, der freiwillige Feger, dem die Ehre zuteil wird, die neuen, unschuldig weißen Traversen vom Betonstaub zu befreien. Das ist wie Laubfegen im Herbst, aber man darf sagen: Auch ich bin dabeigewesen.

Es ist der 237. Wochenarbeitstag, seit sich am 2. Juni 2008 bei 40 Grad Celcius in der Mittagssonne die ersten Freiwilligen im Stadion die T-Shirts über den Kopf gezogen und losgearbeitet haben. Seither tragen 1477 Union-Fans den Titel „Stadionbauer“. Ihr selbstloses Tun für einen nicht gerade auf Rosen gebetteten Klub hat dem Verein bisher über zwei Millionen Euro gespart. Aber darüber redet hier keiner, Liebe ist unbezahlbar. Die Verbundenheit mit dem Mythos, die Anhänglichkeit zur Familie Union, ist über die Jahre gewachsen, als die Fans mit ihrem Verein durch Himmel und Hölle gingen.

Neben mir steht plötzlich Kibi, ein kräftiger Mann mit Dreitagebart, der aufzählt, wen er hier, bei „diesem Verein mit Seele“, schon getroffen hat. „Von der Gynäkologiestudentin bis zum Rechtsanwalt, vom Schweißer und Maurer bis zum Psychologen, vom Schuster bis zur Hebamme, also alle“. Es gibt gerade mal sechs Profis, die den Neubau koordinieren. Alle anderen kommen aus freien Stücken. Gerade werden händeringend Schweißer und Maler gesucht (Telefon Baubüro: 03065015027).

Neben dem Rasen steht ein mobiler Hubkran. Er hebt die lange erwarteten 30 Meter langen und 4300 Kilo schweren Dachträger von einem Lastentransporter aus Opole, der sie aus der Slowakei an die Försterei transportiert hat. Die etwa 40 Helfer dieses Tages haben zu tun: Kabelschläuche legen, Fundamente ausheben, Schotterbetten vorbereiten, Schaufeln, Fegen und Malen: Die Wellenbrecher, Zäune und Mittelgänge der Traversen werden mit knallroter Farbe gestrichen, jeder Besucher soll sich wie auf dem roten Teppich fühlen. „Etwa 75 Prozent“ sind geschafft, sagt Sylvia Weisheit, aber der Teufel steckt im Detail. Im Umfeld ist noch viel zu tun. Die Malerbrigade schätzt „vielleicht noch vier bis sechs Wochen bis zur Eröffnung“. Vielleicht kann Union am 9. Mai gegen Jahn Regensburg oder am 16. gegen Erfurt erstmals im neuen Stadion spielen. Vielleicht aber auch erst zum Start der Zweiten Bundesliga. Dass Union aufsteigt steht so gut wie fest. Der Klub kann bereits am Sonnabend gegen Unterhaching (14 Uhr, Jahnsportpark) die Rückkehr in die Zweite Liga besiegeln.

Es ist Nachmittag. Von den 10 x 30 Meter langen Stufen hab ich acht geschafft. Nun hat die Einsamkeit des Stadionfegers ein Ende, es kommen fröhliche Frauen mit Backwerk, Torte, Streuselkuchen, „alles günstig von einem Union-Fan-Bäcker“. Dirk Zingler, der Präsident, bedankt sich beim Helfer, er ist gerührt von Seele und Geist seines Kult-Klubs, „ja, hier hat jeder das Gefühl, an etwas Besonderem beteiligt zu sein“. Presse- und Stadionsprecher Christian Arbeit kann sie schon gar nicht mehr zählen, die Fernsehleute aus der Ukraine, aus Holland, Dänemark, Frankreich, die ihren Zuschauern berichten, dass es in Berlin-Köpenick Verrückte gibt, die aus Liebe zu ihrem Verein ein Stadion bauen. „Hier gibt es eine ganz andere Intensität der Anteilnahme“, sagt Christian Arbeit, „woanders pfeifen die Leute, wenn ihre Mannschaft verliert. Bei Union jubeln sie dann erst recht“.

Es ist Feierabend-Zeit. Mir tut der Rücken weh. Der Staub sitzt überall, in den Augen, in der Lunge, nur nicht mehr auf den neuen Stufen des Wuhle-Blocks. Der ist besenrein. Von dem kann man essen. Marek dankt: „Bis zum nächsten Mal“. „Okay, hat Spaß gemacht“, sage ich, „und nun steigt mal schön auf!“

Zur Startseite