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Ein Bolzplatz in Brandenburg

© Imago

Niedergang einer Fußball-Region: Im Osten geht der Fußball unter

Cottbus und Dresden treffen am Freitag aufeinander, beiden droht der Abstieg aus der Zweiten Liga. Verschwindet eine Region bald von der Fußball-Landkarte? Eine Spurensuche.

Trotzig schaut Marco Stiepermann den Fragesteller an. „Ganz einfach“, sagt der Fußballer von Energie Cottbus. „Wir bleiben in der Liga, weil wir ab jetzt mehr Spiele gewinnen werden als die anderen.“

Wer Stiepermann und seine Mannschaftskameraden am vergangenen Montag gegen den 1. FC Union spielen gesehen hat, glaubt ihm kein Wort. Wie, um Himmels willen, soll dieser Haufen, mehr Ansammlung von Individualisten als Mannschaft, den Abstieg aus der Zweiten Liga noch verhindern?

Am Freitagabend beginnt für Cottbus „eine Reihe von Endspielen“, wie Stiepermann sagt. Im eigenen Stadion geht es gegen Dynamo Dresden.

Ein Derby. Zwei Städte, getrennt durch 100 Kilometer, verbunden durch die gleiche Angst: auf Jahre aus den oberen zwei Ligen zu verschwinden. Cottbus ist sechs Spiele vor dem Saisonende Letzter in der Zweiten Liga, Dresden steht auf Platz 16. Gut möglich, dass am Ende beide in die Dritte Liga absteigen müssen. Dort wären sie in bester Gesellschaft – geografisch betrachtet. Hansa Rostock, Rot-Weiß Erfurt, der Hallesche FC und der Chemnitzer FC spielen mehr oder weniger erfolgreich in der dritthöchsten deutschen Spielklasse. Das ist immer noch eine Liga höher als der 1. FC Magdeburg, Lok Leipzig oder Carl Zeiss Jena, drei andere Traditionsvereine aus der ehemaligen DDR. Steigen Cottbus und Dresden am Saisonende ab, verschwindet der Osten fast gänzlich von der Landkarte des Profifußballs. Abgesehen von den Berliner Vereinen Hertha und Union sowie dem mit Brausemillionen gepäppelten, vermutlichen Aufsteiger RB Leipzig würde dann aller Voraussicht nach nur Erzgebirge Aue übrig bleiben. Ein Verein, der im Fußball der DDR vor allem dadurch auffiel, dass er keine Rolle spielte.

Was ist schiefgelaufen in den mehr als zwei Jahrenzehnten, die seit der Einstellung der DDR-Oberliga vergangen sind? Liegt das Scheitern wirklich nur daran, dass der Osten wirtschaftlich noch immer dem Westen, Süden oder Norden hinterherhinkt? Dass die finanzkräftigen Sponsoren einen Bogen um das Gebiet zwischen Ostsee und Harz machen? Oder hat es auch andere Gründe, dass sich von den vielen Vereinen der DDR keiner dauerhaft im gesamtdeutschen Profigeschäft etablieren konnte?

"Zu wenig Fußballverstand, zu viel Narzissmis", beklagt Eduard Geyer

Eduard Geyer glaubt an einen Dualismus aus fehlender wirtschaftlicher Potenz und mangelnder Fachkenntnis. „Ich denke, viele Vereine haben ein Defizit im Verständnis, wie Fußball betrieben werden muss. Natürlich sind die Klubs auch Wirtschaftsunternehmen, aber sie funktionieren anders.“ Geyer meint die besonderen Befindlichkeiten bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Dazu Probleme in den Führungsgremien. „Zu wenig Fußballverstand, zu viel Narzissmus“, glaubt Geyer bei vielen Vereinen aus dem Osten ausmachen zu können.

Er wird am Freitagabend nach Cottbus fahren und sich das Spiel gegen Dresden ansehen. Beide Vereine hat Geyer viele Jahre lang trainiert, beiden fühlt er sich verbunden. Sein Urteil fällt doppelt vernichtend aus. Bei Energie habe er gegen Union „weder vorne noch hinten was Brauchbares erkannt“. Und in Dresden, nun ja, dort hätten sie viel zu spät begriffen, in welche Regionen die Mannschaft driftet. Es ist eines der wenigen Male, dass sich Cottbus und Dresden auf annähernd gleichem Niveau begegnen. In der DDR trennten beide Vereine Welten. Dresden spielte um die Meisterschaft, Cottbus meist in der Zweiten Liga. Nach der Wende versank Dynamo im Chaos. Ein ganzer Verein, reingelegt vom zwielichtigen Unternehmer Rolf-Jürgen Otto aus Frankfurt am Main. Dazu Lizenzprobleme. Um die Jahrtausendwende stürzte Dresden bis in die vierte Liga ab.

Zu dieser Zeit erlebte Cottbus ein nie dagewesenes Hochgefühl. Energie spielte in der Bundesliga und hielt sich dort drei Jahre, ehe von 2006 bis 2009 noch mal ein dreijähriger Aufenthalt mit Spielen gegen Bayern München und Borussia Dortmund folgte. Die Spieler kamen meist aus Osteuropa, waren billig, aber auch nicht ganz leicht zu entdecken. Die Sichtungsabteilung leistete hervorragende Arbeit und Cottbus galt als Musterbeispiel, was Vereine trotz geringer Mittel erreichen können. Auch jene aus der ehemaligen DDR.

Steigt Cottbus ab, verschwindet auch eine Idee. Und der Glaube, dass es im modernen, durchkommerzialisierten Fußball immer noch jeder schaffen kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der 1. FC Union im Gegensatz zu Rostock oder Dresden ein Konzept entwickelt hat.

Nostalgie schwingt immer mit, wenn vom Ostfußball die Rede ist. Dabei geht es viel weniger um das Verschwinden einer geografischen Himmelsrichtung auf der Landkarte als um die vermeintliche Benachteiligung von Vereinen aus einem vormals anderen System.

Dirk Zingler hat dafür wenig Verständnis. Der Präsident des 1. FC Union steht für eine andere, erfolgreichere Geschichte, als sie in Jena, Magdeburg oder auch Dresden geschrieben wurde. Dafür, dass auch im Osten Deutschlands erfolgreicher Profifußball möglich ist. Als Zingler den Berliner Klub 2004 übernahm, spielte Union in der vierten Liga und war von Schulden geplagt. Die werden mittlerweile kontinuierlich abgebaut, längst schreibt der Verein schwarze Zahlen. Union ist gegenwärtig zum erfolgreichsten Klub der ehemaligen DDR geworden, obwohl man zu dieser Zeit sportlich keine Rolle spielte und deutlich schlechtere Voraussetzungen hatte als Jena, Magdeburg oder Dresden.

Zinglers Philosophie weicht von Geyers ab. Er glaubt sehr wohl, dass die freie Wirtschaft und das Fußballgeschäft sich ähneln. „Weil die Mechanismen die gleichen sind. Wenn du vorn mitspielen willst, musst du dir permanent Gedanken machen, innovativ sein.“ Beim 1. FC Union haben sie sich Gedanken gemacht. Im aus wirtschaftlicher Sicht schwierigen Standort Berlin haben sie ein Konzept entwickelt. Geld bringt ein Sponsorenpool aus vielen kleineren Unternehmen. Um die 280 sind es inzwischen. Vor zehn Jahren waren es 30. Abseits von Hertha BSC hat sich Union zur Marke entwickelt, eine Identität geschaffen. Ins Stadion An der Alten Försterei geht, wer „Fußball pur“ erleben will. Ohne viel Schnickschnack, also ohne Tombolaverlosung in der Halbzeitpause und Großraumdiskomusik.

Gewaltprobleme machen es schwer, Sponsoren zu finden

Wofür steht Dynamo Dresden? Wofür steht Hansa Rostock, der Verein, der sich von 1995 an zehn Jahre in Folge in der Bundesliga halten konnte und lange als Vorzeige-Ostklub galt?

Fragt man zehn Menschen auf der Straße nach ihren Assoziationen zu Dresden und Rostock, sagen wohl mindestens sieben: Gewaltprobleme. Immer wieder machten die Anhänger beider Klubs negativ auf sich aufmerksam. Auch in Magdeburg ist das ein Thema. Das negative Image macht es den Vereinen schwer, Sponsoren zu finden.

So war es lange auch in Leipzig, wo Lok und Chemie sich gegenseitig bei der Suche nach Geldgebern im Weg standen. Chemie gibt es inzwischen nicht mehr, Lok droht der Abstieg aus der vierten Liga. Der Traditionsverein spielt im Leipziger Fußball nur noch eine Nebenrolle. Gelb und Blau als Trikotfarben sind Relikte der Vergangenheit. Die Gegenwart trägt Rot-Weiß, seit sich der Brausehersteller Red Bull in der Stadt eingenistet hat. In naher Zukunft wird RB Leipzig in der Bundesliga aufschlagen, daran gibt es kaum Zweifel.

Dann wäre der Osten fußballerisch wieder erstklassig.

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