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Sport: Randale auf der Zickenwiese

Das Walter-Ulbricht-Stadion in Berlin wurde für einen Tag zum Objekt des Zorns

Die erste Meldung aus dem Lagebericht der Volkspolizei klingt dramatisch. Es ist 11.30 Uhr, als es heißt: „Im Walter-Ulbricht-Stadion wird die Schrift abgerissen und Mauer und Bänke des WU-Stadions zerstört.“ Die Demonstranten, die am 17. Juni 1953 kurz zuvor schon drei nahe gelegene Zeitungskioske geplündert und angezündet haben, finden in der Arena an der Berliner Chausseestraße ein Symbol für die verhasste DDR-Regierung. Tausende Menschen, die meisten sind mit den protestierenden Arbeitern aus Hennigsdorf nach Berlin marschiert, besetzen die Arena, die viele wegen Ulbrichts Spitzbart auch „Zickenwiese“ nennen. Sie zerstören die Insignien der Macht: Schriftzüge und Embleme.

Drei Jahre zuvor, im Mai 1950, hatte SED-Chef Walter Ulbricht persönlich das Stadion eröffnet, anlässlich des 1. Deutschlandtreffens der Jugend. In der Rekordzeit von 120 Tagen war die Arena von Werktätigen und FDJ-Mitgliedern aus Schuttbergen errichtet worden – natürlich sozialistisch korrekt. Die Tribüne bestand zu Teilen aus Resten des von der DDR-Führung gesprengten Berliner Stadtschlosses. Am Eingang wurde eine Gedenktafel für drei Novemberrevolutionäre angebracht, die 1918 erschossen wurden, als auf dem Gelände noch die so genannte „Maikäferkaserne“ stand.

17. Juni 1953, der Aufstand am Stadion setzt sich fort. Um 12.57 Uhr wird gemeldet, dass „Demonstranten die Fensterscheiben der Unterkünfte und das Mobiliar zerstören“, um 13.30 Uhr „besteht keine telefonische Verbindung mehr“. Erst eine Stunde später ist in den Aufzeichnungen der Polizei die nächste Meldung zu finden, das „Sporthaus im Walter-Ulbricht-Stadion wird gestürmt. Es wird dringend um Hilfe gebeten“. Die meisten Teilnehmer des großen Demonstrationszuges aus Hennigsdorf sind weiter in Richtung Potsdamer Platz gezogen. Doch ein paar Hundert Arbeiter und andere Protestierende halten das Stadion den ganzen Nachmittag über besetzt. Noch um 17.40 Uhr werden brennende Baracken und Kioske am Lieferanteneingang protokolliert.

In diesen Stunden hat wohl keiner der Aufständischen geglaubt, dass die DDR hier im darauf folgenden Jahr vor 70 000 Zuschauern ein Fußball-Länderspiel austragen würde. Die multifunktionale Arena wurde gleich nach der Niederschlagung des Protests wieder aufgebaut und genutzt – für Leichtathletik-Wettkämpfe und politische Großveranstaltungen. Nach und nach sank das Fassungsvermögen durch den Einbau von Sitzplätzen auf 50 000 Plätze, für die X. Weltfestspiele der Jugend 1973 wurde das Stadion umfassend rekonstruiert. In jener Zeit verlor es auch seinen alten Namen. Zu den Festspielen wurde die Umbenennung der größten Sportstätte Ost-Berlins in „Stadion der Weltjugend“ angeordnet. 20 Jahre nach dem Aufstand wurden alle Schilder mit dem Namen Ulbrichts entfernt, diesmal auf Weisung von höchster Stelle. Als Ulbricht, seit zwei Jahren als Parteichef entmachtet, während der Festspiele stirbt, wird nur kurz über einen Abbruch diskutiert. Die Spiele werden fortgesetzt, im runderneuerten Stadion direkt an der Berliner Mauer finden auch in den folgenden Jahren viele Großveranstaltungen wie das jährliche FDGB-Pokalfinale statt.

Nach der Wende bewarb sich Berlin vergebens um Olympia 2000, die umstrittenen Planungen sahen auf dem Gelände eine neue Mehrzweckhalle vor. 1992 wurde das Stadion abgerissen, die Halle aber nicht gebaut. An die Arbeiter vom 17. Juni erinnert auf dem riesigen Gelände heute nichts mehr. Nur einer der getöteten Revolutionäre von 1918 hat hier noch sein Schild. Nach Erich Habersaath ist eine Straße benannt.

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