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Im Zwiespalt

© dapd

Sport: Rumoren im eigenen Saft

Nach dem Absturz ins Mittelmaß muss sich Werder Bremen unter schwierigen Umständen neu erfinden.

Jörg Wontorra steht nicht im Verdacht, ein Gegner des SV Werder Bremen zu sein. Jahrelang hat der Fernsehjournalist wohlwollend über den Fußball-Bundesligisten berichtet, kürzlich allerdings machte der 63-Jährige dem Ärger über seinen Lieblingsklub in einer Bremer Tageszeitung Luft. Wontorra wetterte in einer Kolumne vor allem gegen die Klubverantwortlichen: „Sie schmoren im eigenen Saft, und sie merken nicht, dass die Welt sich weiterdreht.“ Viele Bremer, die zuvor in hanseatischer Zurückhaltung geschwiegen oder in Nibelungentreue zum Verein gestanden hatten, nahmen Wontorras Frontalangriff dankbar auf.

Die Stimmung in der Stadt ist gekippt. Sogar Trainer Thomas Schaaf, seit 1999 im Amt und eine Art Denkmal in der Hansestadt, könnte von seinem Sockel kippen. In einer Umfrage sprach sich jüngst noch nicht einmal die Hälfte der Fans für ihn als Trainer aus. Wontorra schlug vor, Schaaf zum Sportdirektor zu befördern. Der Pragmatiker Thomas Schaaf würde hinter einem Schreibtisch allerdings eingehen wie eine Primel.

Wontorras Text war eine Generalabrechnung mit dem SV Werder, der so gar nicht mehr an einst so glorreiche Zeiten erinnert. Zeiten, in denen Werder Bremen Stammgast in der Champions League war. Schon 2011 wäre Werder beinahe abgestiegen. Und hätten die Bremer in der abgelaufenen Saison die ganze Zeit über so gespielt wie in der Rückrunde, dann wären sie jetzt ein Zweitligist. Zwei Siege schaffte der Klub seit der Winterpause, es grenzte an ein Wunder, dass Werder bis zum Ende um die Europa-League-Plätze mitspielte – und diese letztendlich verpasste.

Unlängst hat Radio Bremen zur Talkshow „3nach9“ geladen, unter den Gästen waren der Musiker Jan Delay und Wontorra. Jan Delay, ebenfalls langjähriger Werder-Fan, fühlte sich in der Sendung dazu berufen, Trainer Schaaf einen Tipp zu geben: „Thomas, wenn du jetzt auf deinem Sofa sitzt und diese Show guckst: Du bist der Allergrößte. Aber du hast so viele neue Jungs. Du musst die mal in den Arm nehmen. Du musst dich mit denen freuen, die sind 18.“ In Delays Worten steckt mehr als nur ein Funke Wahrheit: Schaaf kann viel besser Grummeln und Grübeln, als gute Laune zu versprühen. Er verstand es früher, seine Spieler zu Höchstleistungen anzutreiben, aber inzwischen wirkt er oft distanziert und schlecht gelaunt.

Aufgrund zahlreicher Verletzungen setzte Werder bereits in der vergangenen Saison auf eigene Talente. Florian Hartherz ist sicher nicht so talentiert wie der Dortmunder Mario Götze, Tom Trybull winkt keine so große Zukunft wie Schalkes Julian Draxler. Aber der Verdacht liegt nahe, dass Schaaf den Nachwuchs nicht so motivieren kann, wie es anderen Trainern gelingt. Zudem hielt er mit an Sturheit grenzender Konsequenz an der Idee fest, Werder könne anderen Teams sein Spiel aufzwingen, was allzu oft in krampfhaften Angriffsbemühungen und Kontertoren des Gegners resultierte.

Nun kann ein Trainer nur mit den Spielern arbeiten, die sein Vorgesetzter Klaus Allofs unter Vertrag genommen hat. Einst hatte der Johan Micoud, Diego und Mesut Özil an die Weser gelotst. In den vergangenen beiden Jahren kaufte er Denni Avdic, der fast nur in der Reserve kickte, teure Profis wie Marko Marin und Marko Arnautovic, die stagnierten. Einzig mit dem griechischen Nationalverteidiger Sokratis lag Allofs goldrichtig.

Werder muss sich im Jahr 2012 erneuern, ohne die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb muss der Verein aber sparen. Und ohne Claudio Pizarro auskommen, der an immerhin der Hälfte aller Bremer Treffer beteiligt war. „Einen Weltklasse-Stürmer wie Claudio kann man nicht eins zu eins ersetzen“, sagte Allofs, nachdem der Peruaner den Klub Mitte Mai von seinem Abschied in Kenntnis gesetzt hatte. Es sei ein trauriger Tag, erklärte der Werder-Manager – einerseits. Andererseits sagte er: „Durch Claudios Weggang stehen uns bestimmte Mittel zur Verfügung.“ Der andere Topverdiener, der nach Hoffenheim abgewanderte Tim Wiese, erhielt noch nicht einmal ein neues Angebot, sechs weitere Spieler ließ man ziehen. „Ich bin darüber nicht traurig. Es ist der richtige Zeitpunkt, um Veränderungen einzuleiten. Und das bietet immer auch eine Chance“, erklärte Allofs. Er kann sie nur nutzen, wenn er Spieler holt, die den Kader wirklich verstärken. Kein einfaches Unterfangen: Einem Klub, der vom Meisterschaftskandidaten zum Mittelklasseverein mutiert ist, rennen erstklassige Profis nicht gerade die Bude ein. Immerhin soll Bayerns Reservist Nils Petersen ein Kandidat für den Sturm sein, am gestrigen Dienstag gab Werder die Verpflichtung des 23 Jahre alten Torwarts Raphael Wolf vom österreichischen Erstligisten SV Kapfenberg bekannt.

Werder muss nichts weiter als die Quadratur des Kreises hinbekommen: sich erneuern und dennoch an Bewährtem festhalten. Wurde Bremen doch einst nicht nur für schönen Fußball, sondern auch für die Kontinuität im Verein gelobt. Jan Delay hatte seine Klub vor der Saison eine neue Hymne versprochen. Unter einer Voraussetzung: Achter, sagte Delay, sollten die Bremer bitteschön mindestens werden. Werder wurde Neunter. Und so wird im Stadion zunächst wohl weiterhin der Gassenhauer „Wo die Weser einen großen Bogen macht“ aus den Lautsprechern scheppern.

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