zum Hauptinhalt

Willmanns Kolumne: Kicken, wenn die Stasi wegkuckt

Weil sie die falsche Musik hörten und die falschen Sachen trugen, wurden Punks von der DDR-Staatsmacht überwacht. Doch manchmal versagte der sonst so zuverlässige Überwachungsapparat, wie bei einem legendären Fußballspiel 1983 in Weimar.

Das  kleine, aber tüchtige Völkchen der Thüringer war ein ausgesprochenes Volk des Sports. So ist nicht verwunderlich, dass sich der Fußball auch in der grundlangweiligen Arbeiter- und Bauerndiktatur Geltung verschaffte. Der Fußballsport mit der ganzen Fülle seiner unaufhaltsamen Energie. Ich habe mal irgendwo gelesen, es gibt Leute, die nichts mit Ernst bestreiten, ausgenommen das Spiel.

Es war einmal. Wir befinden uns in der DDR im Jahr 1983, als Mauer und Grenzanlagen beide deutschen Staaten trennten. Wurde man beim so genannten illegalen Grenzübertritt erwischt, war einem in der DDR mindestens Gefängnis sicher, nicht selten endete das Leben der Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze. Für die Vollstrecker gab es als Belohnung Sonderurlaub, eine Geldprämie oder eine Beförderung.

Doch es regte sich Widerstand. Der Wind of Punkrock zog durchs Land und erwischte die aufmüpfige Jugend heiß. In einer kleinen Stadt namens Weimar versuchten drei Dutzend junge Menschen ihr Anderssein zu leben. Sie hatten eine ziemlich geile Jugend, auch wenn ihnen die Sicherheitsorgane mächtig zusetzten. Die jungen Leute waren für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) angehende Staatsfeinde. Eine feindlich-negative, ja dekadente Jugend. Weil sie die falsche Musik hörten, weil sie die falschen Sachen sagten, weil ihnen der DDR-Staat Gurkensalat war. Und wenn ein potenzieller Staatsfeind aus dem Fenster lugte, wurde sofort die dicke Berta klargemacht. Der Friede muss bewaffnet sein. Bewaffnet genug, um freche Spatzen zu erlegen.

Was war der Jungpunks schreckliches Vergehen? Sie waren wie alle nachdenklichen Jugendlichen. Wach und auf der Suche. Nach sich, nach dem Sinn des Lebens, nach dem Bild hinter dem Vorhang. Sie spähten nach Alternativen im biederen DDR-Einheitsjugendbrei und wollten nicht über Wachregimenter eine DDR-Karriere begründen. Sie wollten Spaß, sie suchten und fanden ihn. Zum Beispiel beim unorganisierten Fußball.

An die Weimarer Ackerstraße grenzt der Goethepark. Dort gab es eine schöne, ebene Wiese. Ein beliebter, wilder Bolzplatz. Eines Tages trafen sich dort zwei ganz besondere Teams. Punks gegen Kunden. Die achtzehnjährigen gegen die fünfundzwanzigjährigen. Ein Kick der Weltauffassungen im lauen Hauch eines Frühlingstages. Das Evangelium des Fußballs verband sie. Sie rechneten mit Festnahmen, doch die Staatsmacht saß wohl beim Mittag. Sonntag 12 Uhr. Jede Fraktion spielte in Kluft. Punks mit Arbeitsschuhen, Militärstiefeln oder tschechischen Turnschuhen. Kunden in weiten Batikhemden und engen Jeans, mit Jesuslatschen, oder barfuß. Die ästhetische Seite schöner Körperstellungen spielte keine Rolle. Es ging um den wilden Kick.

Dann lag es vor ihnen, das Meistwerk der Spielschöpfung

Die Kunden tanzten elastisch wie Elfen durch den Goethepark. Sie hatten das Tummeln draußen an der frischen Luft nicht verlernt. Die Punks trampelten sanft wie eine Herde Wildschweine. Dunkel, düster und mit regem Pulsschlag.

Dann lag es vor ihnen, das Meistwerk der Spielschöpfung –  der Ball. Zwei Parteien, ein Spielgerät, zwei provisorische Tore auf dem Schachbrett des grünen Rasens. Und nun die Musterstücke der Kampftechnik, der Zweckmäßigkeit, der Intelligenz! Die 22 Spieler! Der zuverlässigste schirmte das Tor, die kräftigsten formten das Abwehrbollwerk, drei ranke und schlanke bildeten das Rückgrat, vorn querten die Brecher, die jeden Augenblick zum Schuss nutzten.

Die Punks bestimmten sofort das Spielgeschehen. Die bunte Mannigfaltigkeit ihrer Spielformationen lässt sich schwer schildern, dieses scheinbare Wirrwarr in der Einmütigkeit des Wollens. Denn wo der flüchtige Spielbeobachter das Chaos sieht, erkennt der Sachkundige den taktischen Gedanken, der über dem Ganzen schwebt und der jeder einzelnen Spielphase sein Gepräge gibt. Ficker-Gerd und Kumpeltod zauberten im Mittelfeld, sie sahen und fühlten die Angriffslinie, sie tasteten den Gegner nach Schwächen ab. Immer klar und unzweideutig, immer neu und trotzdem unwandelbar trat ihr spielerisches Leitmotiv zu Tage. In komplizierter Einfachheit, von grenzenloser Spielintelligenz durchleuchtet, stoben die Punker übers Feld. Ihr Ballverständnis war keine Geheimwissenschaft, es kam aus der Mitte ihres Herzens und ließ die Kunden vor Schauer erstarren.

Kunde Emma, im weiten Hemde und mit Sonnenblümlein im Haar, wurde aus Versehen von der Punk-Ramme Rotten außer Gefecht gesetzt. Wildsau Rotten war einfach stehen geblieben, als Emma auf ihn zulief. Emmas Aufprall war Schmerz. Man kann getrost davon ausgehen, dass das Wort Fußball bei einer sehr großen Menge von Menschen sofort die Vorstellung von Knochenbrüchen auslöst, besonders empfindsame Seelen sehen Blut fließen und Tote vom Platz tragen.

Kunde Emma raffte die Kleider. Alles Zaghafte und Ängstliche lag ihm fern. Er war nicht roh oder gefährlich, trotzdem war ein kein Freund mädchenhaften Fangeballs. Er nahm sich den Fußball, umkurvte den braven Rotten setzte zum Schuss an. Im Tor der Punker stand der eitle Sacklaus. Sehr interessiert an der öffentlichen Meinung. Diese stand ums Spielfeld und war weiblich. Emma zog ab, Sacklaus war ganz Sonnenseite und hielt den Ball in den Tatzen. Nun ging alles sehr schnell. Die Punker enterten das Mittelfeld und passten zu den Sturmrammen Uli, die Spitzhacke und Kipp-weg-den-Scheiß.

Kunde Tilli, die anmutige Blumenfee, Kunde Rotkäppchen-Wolfram und Kunde Micha-der-seidige-Schal in der Abwehr hatten den Punkrockern Uli, die Spitzhacke und Kipp-weg-den-Scheiß wenig entgegenzusetzen, als diese mit ihren Knobelbechern auf sie zustürmten. Sie sprangen einfach zur Seite. Uli, die Spitzhacke dengelte mit sattem Tritt den Ball in Richtung des von Kunde Fetentod gehüteten Tores. Fetentod bekam den Ball geradewegs in die Magengrube und flog samt Pille ins Tor.

Aus, aus! Das Spiel ist aus! – brüllte nun Punkmutti Grit und schleifte sensationell zwei Kisten Ehringsdorfer Helles auf die Wiese. Das war Dialektik. Und Wirklichkeitswert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false