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Am Samstag startet der FC Carl Zeiss Jena gegen den BFC Dynamo. Auf dem Bild sind die Berliner Björn Brunnemann (r) und Denis Novacic zu sehen.

© dpa

Willmanns Kolumne: Wir sind einsam, elend, dem Tode geweiht

Sie beginnt wieder, die Herzschmerz spendende Regionalliga. Was für unseren Kolumnisten so viel bedeutet, wie sich gemeinsam zu amüsieren. Vereint, um zu kämpfen, vereint, um zu verlieren.

Am Samstag starte ich mit dem Spiel FC Carl Zeiss Jena gegen den BFC Dynamo in die Herzschmerzen spendende Regionalliga. Schon die dritte Saison in Folge knabbere ich trocken Viertligabrot in den eiskalten Wassern des Leids. Man kann auch darin versinken. Seit Wochen quälen mich unerquickliche Gedanken um das Geschick meines abgesoffenen Lieblingsvereins. Wird sich 2015 der Himmel öffnen und mich und die Meinen in die dritte Liga saugen?

Ein prüfender Blick auf die Konkurrenz in der Liga lässt mich schwindeln. Der 1. FC Magdeburg scheint mir am ehesten geeignet die Liga zu gewinnen. Die geschmeidigen Bötelbuben. Immer ein Stück Eisbein gefährlich in der Zahnlücke drapiert. Im Konzert der einbeinigen Unbegabten können Nuancen eine Partie entscheiden. Lustgewinn, Freude an herrlichem Spiel ist in der Regionalliga selten zu erwarten. Was zählt, ist der Überlebenskampf, wem fallen die angefaulten Zähne zuletzt aus?

Wir sind einsam, elend, dem Tode geweiht. Terrorisiert vom Gedanken, es könnte noch weiter abwärts gehen, lassen wir uns nun Woche für Woche martern. Was so viel bedeutet, wie sich zu amüsieren. Vereint, um zu kämpfen, vereint, um zu verlieren. Das fröhliche Element wird der gemeinschaftlich erlebte Schmerz sein.

Der fußballerische Zenit ist überschritten

UNSERE Spieler sind alt, fett, inkompetent. Sie haben ein hochentwickeltes Gespür fürs Feiern. Ihr Fußball hat als Ziel, uns in willenlose Tiere zu verwandeln. Es wäre eine Beleidigung, sie mit Worten aus der Bundesligasprache zu portraitieren. Sie haben in der Regel ihren fußballerischen Zenit hinter sich. Falls sie überhaupt jemals einen vor sich hatten. Hin und wieder gibt es Ausnahmen. Dann taucht aus dem Nichts ein baufälliges Talent auf, dessen Qualifikation allen ein Rätsel ist.

Leider sind diese Strolche verführbar und potent. So kann es passieren, dass ein Regionalligaverein während der Saison seinen besten Spieler beispielsweise an ein hübsches Mädchen verliert. Nach meinem Dafürhalten ist das die einzige Möglichkeit, dem 1. FC Magdeburg den Staffelsieg zu stibitzen. Eisbein (FCM) gegen Bratwurst (FCC). Vielleicht kugelt ein Döner (BFC Dynamo) zwischenrum?

Wir Regionalligaknechte, uns genügt eine gute Dosis halluzinogener Pflanzen, dann geht die Sache, die wir Fußball nennen, schon in Ordnung. Eine echte kollektive Benebelung. Mein narzisstischer Panzer droht zu schmoren. Zumal das massenpsychologisch gedacht bedeutet, dem großen Ganzen unsere dümmsten und aggressivsten Bestandteile an die Spitze zu stellen. Die Menschheit vereint sich in dem, was sie zutiefst gemeinsam hat. Das ist immerhin etwas, wenn auch schon alles.

Die Fata Morgana des ewigen Scheiterns

Schlaflosigkeit, ich halte mir die Beispiele der letzten Jenaer Misserfolge vor Augen, die neue Saison muss zwangsläufig misslingen. Ich akzeptiere im Voraus das Desaster und bereite mich innerlich auf die übernächste Saison vor. Die Fata Morgana des ewigen Scheiterns. Wer, wenn nicht wir. Wann, wenn nicht dann.

Letztes Wochenende versuchte ich auszubrechen. In der Moorlandschaft um Worpswede warteten geschulte Recken auf mich und die kickenden Burschen der Autorennationalmannschaft. Ich kann de facto nicht loslassen. Und erlebe im einundfünfzigsten Jahr meines Menschseins die Permafrostphase des Fußballs am eigenen Leib. Ich bin unserem Team nicht der einzige Unbegabte, neben mir hat sich ein ganzer Schock merkwürdiger Dilettanten eingefunden. Vereint, um den Fußball zu zelebrieren.

Wir lachen über Worte wie Eleganz und schönes Spiel und nehmen eine leicht blasierte Haltung ein. Trotz all ihrer dürftigen Darbietungen glauben einige meiner Mitspieler, sie könnten Fußball spielen. Sie werden regelmäßig schmerzlich ernüchtert. Unsere Muntermacher diesmal, die Gemeindeauswahl Worpswede. Höfliche Männer aus dem Teufelsmoor. Ihre Freundlichkeit war rundweg einschüchternd. Sie verstehen gleichermaßen den Bembel zu schwenken, wie den Pflug zu bedienen.

Wir sind gute Verlierer, weil wir es gewohnt sind

Nach wenigen Minuten haschte unser Captain Invisible mit der Hand nach dem Ball. Sah wunderschön aus. Leider ist das auch auf dem Lande verboten. Elfmeter Worpswede. Der Älteste trat an. Phlegmatischer Anlauf. Ein sachtes Stößchen gegen den Ball. Er kullerte und kullerte. Landete schließlich knapp hinter der Linie. Ohne jemals das Tornetz zu berühren. Unser Torwart gab sich derweil der Wissenschaft hin. Auch ich konnte im weiteren Spielverlauf mit erschütternden Kapriolen einen Beitrag leisten. Wir verloren das Spiel. Wie wir fast jedes Spiel gegen richtige Fußballer verlieren. Wir sind gute Verlierer, weil wir es gewohnt sind. Nur unser armer Trainer will nach jedem Spiel stets alles hinschmeißen.

Aber der Platz! Wir kickten auf dem herrlichen Rasenplatz des TSV Eiche Neu Sankt Jürgen. Fußball mit Herz. Gleich hinterm Beerdigungsinstitut. Wir kicken dort, wo einst das Moor Menschenopfer forderte. Der Bienenfleiß der Landbevölkerung, ach ja. Wenn erschöpfte Stadtmenschen die Natur genießen wollen, wird gern der Rasenmäher angeworfen. Die Miniaturrasenflächen auf dem Parkplatz vor der Worpsweder Volksbank schrien nach Beschnitt.

Wenn mal Ruhe war, meldete sich die einheimische Tierwelt. So was kennt man ja bei uns nicht! Was fiel uns noch ein? Ein Kopfsprung ins Moorgewässer, nur die Stechmücke als einsamen Zuschauer.  Weit entfernt von den Einfallslosigkeiten der Welt (Helen Schneider, Mord und Totschlag im Heiligen Land) stoben wir wie Elfen durch Flur und Wald.

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