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Eiertanz: Ersatzspieler wie Kramer (links) und Großkreutz (Mitte) bekommen gerade nur beim Rugby Spielpraxis.

© dpa

WM 2014 - Deutschland - Algerien: Joachim Löw braucht keine Ersatzspieler

Die von Bundestrainer Joachim Löw beschworene Theorie der Spezialkräfte ist von der Realität überholt. Die Nationalmannschaft ist klar geteilt zwischen fest eingeplanten Spielern und denen, die sich kaum Hoffnungen machen können.

Die Automatismen funktionierten glänzend. Als er die amerikanischen Journalisten in der Mixed Zone hinter sich gelassen hatte, zückte Kevin Großkreutz sein Mobiltelefon und blickte angestrengt auf den Bildschirm. Es war natürlich nicht zu erkennen, ob er sich der Masse an Glückwunschadressen widmete, die zum Erreichen des Achtelfinales eingegangen war. Aber darum ging es auch gar nicht. Der Handytrick ist unter Fußballern ein TÜV-geprüftes Mittel, um sich lästige Journalistenfragen vom Hals zu halten. Sprecht mich bloß nicht an, lautet die Botschaft. Als wenn Kevin Großkreutz dazu sein Handy gebraucht hätte.

Drei Spiele hat die deutsche Nationalmannschaft bisher in Brasilien bestritten – und diese Spiele haben genügt, um einen tiefen Graben durch den Kader von Bundestrainer Joachim Löw zu ziehen. Auf der guten Seite gibt es die Spieler, die verlässlich zum Stamm gehören, auf der schlechten Seite die, die irgendwie auch noch da sind und nach den Spielen unbehelligt durch die Mixed-Zone verschwinden können. Eine Durchlässigkeit ist nicht vorhanden. Es gibt nicht einmal eine rostige Fähre wie zwischen Santa Cruz Cabralia auf dem Festland und der Insel Santo André, auf der die Mannschaft ihr WM- Quartier aufgeschlagen hat.

Löw widerlegt seine eigene Grundsatzrede

Zu Beginn des Turniers hat Löw eine Art Grundsatzrede zur Situation der Ersatzspieler gehalten. Der Tenor: Es gibt weder Stamm- noch Ersatzspieler, es gibt nur WM-Teilnehmer. Jeder könne wichtig werden, jeder müsse zu jeder Zeit in Alarmbereitschaft sein, um im Notfall als Spezialkraft einzugreifen. Die gute Nachricht ist: Neun Wechseloptionen hatte der Bundestrainer bisher – von allen neun hat er Gebrauch gemacht. Die schlechte: Löw wechselt eigentlich immer dieselben Spezialkräfte ein. Spieler wie Erik Durm, Christoph Kramer, Matthias Ginter oder Kevin Großkreutz müssen allenfalls alarmiert sein, dass sie nach dem Schlusspfiff nichts auf der Ersatzbank vergessen.

„Natürlich spürt man, dass der eine oder andere enttäuscht ist“, sagt der Bundestrainer. „Trotzdem lässt keiner im Moment nach.“ Dennoch: Seine Theorie von den Spezialkräften ist durch die Realität längst überholt worden. Der Bundestrainer steht einem geteilten Kader vor.

Derzeit setzt Löw im Grunde auf 13 Spieler. Zwei Fragen sind offen: Spielt Miroslav Klose im Sturm oder Mario Götze? Und: Wer läuft im Mittelfeld auf – Sami Khedira oder Bastian Schweinsteiger? Wenn sich Löw für den einen entscheidet, wird der andere in der zweiten Hälfte eingewechselt. Oder umgekehrt. Natürlich könnten Khedira und Schweinsteiger auch zusammen spielen, sagt Löw, aber „die Aufteilung passt schon ganz gut“.

Die Leidtragenden sind Spieler, die sich vor der WM sogar Hoffnungen auf einen Stammplatz machen durften. Erik Durm zum Beispiel, der einzige erprobte Linksverteidiger im Kader. Einsätze bisher: null. Oder auch Lukas Podolski, der durch die Verletzung von Marco Reus wieder eine echte Option für die Startelf zu sein schien. Gegen die USA durfte er von Beginn ran, musste aber schon zur Pause wieder vom Feld. „Ich hatte das Gefühl, dass er nicht ganz die Bindung hatte“, sagte Löw. Im Achtelfinale gegen Algerien fehlt Podolski wegen einer Oberschenkelzerrung. Er muss zwei bis drei Tage mit dem Training aussetzen.

Weniger Spieler im Einsatz als 2010

16 Spieler hat Löw in den drei Vorrundenbegegnungen eingesetzt – das sind drei weniger als bei der WM 2010 zum gleichen Zeitpunkt. Aber es ist nicht die Zahl allein, es ist das Gefühl, das Löw seinen Reservisten vermittelt. Bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren schien der Bundestrainer bestimmte Kräfte bewusst zurückzuhalten, um sie im richtigen Moment zu bringen. So wie den damaligen Fußballer des Jahres Marco Reus und Miroslav Klose, die im Viertelfinale gegen Griechenland plötzlich in der Startelf standen und je ein Tor erzielten.

Man kann sich schwer vorstellen, dass Löw für den jungen Christoph Kramer einen besonderen Auftrag vorgesehen hat. Der Gladbacher hat vor einem Jahr noch in der Zweiten Liga gespielt und verfügt über keinerlei internationale Erfahrung. In einem K.o.-Spiel einer Weltmeisterschaft wird der Bundestrainer ganz sicher nicht ausprobieren, ob Kramer auf diesem Niveau bestehen kann. Natürlich gibt es immer die Möglichkeit, durch die Verletzung eines anderen Spielers ins Team gespült zu werden. So wie bei Shkodran Mustafi, der unverhofft zu zwei WM-Einsätzen gekommen ist.

Gegen Algerien könnte André Schürrle von Podolskis Ausfall profitieren. Schürrle bewegt sich im Zwischenreich zwischen den beiden Kaderhälften. Er ist immerhin schon zweimal eingewechselt worden. Gemessen an seinen Erwartungen vor der WM ist das eine eher dürftige Bilanz. André Schürrle musste nach dem Spiel gegen die USA nicht zum Handytrick greifen. Sein Gesichtsausdruck sagte genug.

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