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Die SPD zu Gast. Bei "Maybrit Illner" trafen der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert (links), der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil und auch Politologe Albrecht von Lucke (re.) aufeinander.

© Tsp

Sachverständige im Fernsehen: In der Expertokratie

Ob zu Groko, Syrien oder Pflege – kein TV-Talk, kein „heute-journal“ ohne Sachverständigen. Wer sind die Experten? Wo kommen sie her? Und: Wie steht es um Transparenz und Glaubwürdigkeit?

Kaum ein anderer deutschsprachiger Journalist kenne Syrien so gut wie Kristin Helberg. Mit diesen Worten leitete Moderator Claus Kleber im ZDF- „heute-journal“ Ende 2015 ein Gespräch mit der Syrien-Expertin ein, die aus Berlin zugeschaltet war. Sie habe zuletzt acht Jahre in Syrien gelebt, Land und Leute schätzen gelernt und weiter Kontakt gehalten. Nach der Sendung wurde mittels einer Anfrage an das ZDF deutlich: Helbergs aktive Zeit als offiziell akkreditierte westliche Korrespondentin in Syrien beschränkte sich auf die Jahre von 2001 bis 2008, bis 2011 war sie regelmäßig im Land, seitdem wird ihr die Einreise verwehrt. Da fällt die aktuelle Einordnung der Lage in Syrien im Dezember 2015 vielleicht doch etwas schwerer.

Klar, es lässt sich darüber streiten, ob ein „Experte“ für ein Land, ein Thema aktuell vor Ort sein muss. Kristin Helberg beschäftigt sich seit Jahren mit fast nichts anderem als Syrien, hat sieben Jahre dort gelebt und gearbeitet, spricht die Sprache. Es geht vielmehr um die Frage, wie schnell sich bei der Auswahl eines Experten eine Diskussion entzünden kann, wie schnell Transparenz und Objektivität in Zweifel gezogen werden. Dabei legen TV-Sender und Zuschauer so viel Wert auf eine objektive, wissenschaftlich- fundierte Meinung von außen. Groko, Syrien, Trump-Rede zur Lage der Nation, MeToo-Debatte, Zukunft der Pflege – keine „Tagesthemen“, kein „heute-journal“ und keine „Phoenix-Runde“ ohne Experten. Ganz zu schweigen von den TV- Talks. Es braucht immer jemanden, der mit Expertise zur Seite steht.

Wie setzen sich diese Runden eigentlich zusammen? Welchen Regeln folgt die Experten-Akquise im Fernsehen? Manche Experten werden mit einer gewissen Erwartung verbunden. Manche Gesichter sieht man auffallend oft. So oft, dass sich der Zuschauer fragt, ob die Experten nicht manchmal Mühe haben, zu ihrer eigentlichen Arbeit zu kommen. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, Professor an der Uni Duisburg, ist durch seine Analysen in Tageszeitungen, Magazinen und Fernsehen bekannt wie kaum ein zweiter Politologe.

Als Wahlexperte 2017 war er sichtbar vor allem bei ZDF, Phoenix oder WDR. Bei Korte im Sekretariat steht das Telefon auch in diesen Tagen nicht still: zig Anfragen vom Fernsehen. Der Professor befinde sich nun in einem mehrmonatigen Forschungssemester, heißt es dort. Er müsse extrem restriktiv mit Anfragen egal welcher Art umgehen.

Anders Albrecht von Lucke, ein äußerst temperamentvoller, schwer berechenbarer Talk-Gast. So uneindeutig wie bei Korte ist das bei ihm mit der politischen Zuordnung nicht. Lucke gilt als dezidiert links, aber völlig undogmatisch. Er kritisiert gern vor allem die Fehler der linken Kräfte in Deutschland. Der Jurist und Politologe, Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“, hat 2017 nach eigenen Angaben rund 120 TV-Anfragen bekommen. „Mit der anhaltenden Diskussion um die Groko haben die Anfragen eher noch zugenommen“, sagt er, „vor allem von den reinen Nachrichtensendern n-tv und N24, jetzt: Welt.“

Es sei schon erstaunlich, wie viel sogenannter Content ständig produziert werden müsse, wie viele aktuelle Wasserstände und Expertenmeinungen gefragt seien. Was ihm dabei zugutekomme, sei seine Redegeschwindigkeit sowie eine gewisse Schlagfertigkeit und Meinungsstärke. Als Journalist und Politologe halte er sich im Fernsehen nicht mit seiner links-liberalen Einstellung zurück. „Aber deswegen werde ich wohl auch eingeladen.“

Das saß. Die Talk-Runde nahm Fahrt auf.

Ein gutes Beispiel: die „Maybrit Illner“-Ausgabe im ZDF vor dem entscheidenden SPD-Parteitag. Lucke verglich Juso-Chef Kevin Kühnert im Hinblick auf das mögliche Auseinanderdriften der SPD mit Brexit-Mann Boris Johnson. Im Grunde seines Herzens, so Lucke, könne Kühnert ein SPD-Nein zur Groko gar nicht wollen. Er sage das nur nicht laut. Das saß. Die Talk-Runde nahm Fahrt auf.

Ganz im Sinne der perfekten Dramaturgie, die Produzent Friedrich Küppersbusch für eine Talkshow konstatiert. Voraussetzung sei da die alte Faustformel „Talk = Kasperletheater“. Es brauche „Hänsel (Volkspartei eins) und Gretel (Volkspartei zwei), den Schutzmann (Moderator), die Großmutter (unvergessen: Hildegard Hamm-Brücher oder sonst ein Elder Statesman) und das Krokodil (Sarrazin, Schwarzer, Ditfurth) und natürlich auch den Zauberer“. Der Experte, der Wissenschaftler, der Mensch mit dem unbestechlichen Lot in der Tasche. Es gebe ja bei den Deutschen eine besondere Neigung zur Expertokratie. „In einer Traumregierung säßen lauter Experten, und die Welt wäre damit ein schönerer Ort. Er erdet, er lotet, er bringt messbare „Wahrheit“ in ein Gewaber von „Meinung“.

Bei Phoenix beispielsweise wirkten 2017 an den tagesaktuellen Sendungen sowie den täglichen Talk-Runden 1700 Gesprächspartner mit. „Der Pool, aus dem wir Gäste und Experten akquirieren, umfasst mehr als 9000 Personen“, sagt ein Sendersprecher. Bei länger anhaltenden Themen wie der Regierungsbildung oder der Katalonien- Frage könne es vorkommen, dass manche Experten häufiger zu sehen seien.

Albrecht von Lucke
Albrecht von Lucke

© picture alliance / Dietmar Gust/

Das ZDF verweist auf eine gut 50-seitige Liste von Sachverständigen. Von A wie Georg Abel (Verbraucherschutz) über K wie Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor (Islam, Syrien) bis zu Z wie Albert Zink (Kriminologie). Merke: In der Expertokratie gibt’s immer einen Job. Bei der Auswahl der Fachleute, erklärt ein ZDF-Sprecher, achten die Redaktionen darauf, dass Vertreter unterschiedlicher Denkrichtungen zu Wort kommen. Besonders in Nachrichtensendungen sei es wegen der Kürze der Zeit und des geringen Platzes bei Namenseinblendungen nicht möglich, mehr als den Namen und die Institution zu nennen. „Vielen Zuschauern reicht dies nicht aus. Sie wollen mehr über die Experten erfahren, um deren Aussage besser einordnen zu können.“

Um die Auswahl transparenter zu gestalten, bietet das ZDF diese Expertenliste an, mit Links zu Webseiten und jeweiligen Institutionen. „Wir verstehen dieses Angebot zu unserer Arbeitsweise als Beitrag zur Offenheit gegenüber dem Beitragszahler.“ Dieser wird ja, Stichwort Fake News, gerne misstrauisch, wenn ihm in den Medien allzu nachdrücklich gesagt wird, was er zu denken habe. Und manchmal sind die Grenzen zwischen Expertise und Aktivismus, Parteinahme oder gar Propaganda fließend. Die Experten der Institute, sagt Küppersbusch, sind in der Regel politisch verortet, etwa „gewerkschaftsnah“, „Unternehmerverband“ oder „kirchlich“.

Wen kriegen wir beim Sender durch? Wer funktioniert?

Transparenz seitens der Sender bei ihrer Expertenauswahl schadet da nicht. Die Redaktionen müssen sich fragen: Wie unabhängig ist der Experte? Wer hat anderswo überzeugt? Wen kriegen wir beim Sender durch? Wer funktioniert? Ein Politologe, der seinen Job als Wissenschaftler ernst nimmt, wird eher selten deckungsgleich mit Partei X oder Y sein. Das macht ihn dann schwerer ausrechenbar.

Vielleicht sieht man doch immer die gleichen Experten. Es liege in der Natur der Sache, dass bei Spezialthemen, die einschlägiges Expertenwissen erfordern, der Kreis der infrage kommenden Personen kleiner sei, heißt es bei „Anne Will“. „Die Gefahr immer gleicher Diskutanten besteht aus unserer Sicht nicht, Ranga Yogeshwar, zum Beispiel, war das letzte Mal 2012 bei uns zu Gast, Gisela Friedrichsen 2015.“ Eloquenz und Bekanntheit spielten beim Auswahlprozess eine Rolle. Fundierte Sachkenntnis sei aber das wichtigste Kriterium. Ex-„Spiegel“-Gerichtsreporterin Friedrichsen tauchte zur Sexismus-Debatte zuletzt bei Sandra Maischberger auf.

Gisela Friedrichsen
Gisela Friedrichsen

© picture alliance / dpa

Zu spüren ist: Die Kritik, die sich das ZDF 2015 nach diesem „heute-journal“-Interview zu Syrien anhören musste, möchte sich so schnell kein Sender einhandeln. Zu wünschen ist den TV-Sendern aber auch: Mut, Unbeirrbarkeit und Transparenz, was die Vorstellung ihrer Experten betrifft. Damals, 2015, wurde sogar die Neutralität der Syrien-Expertin bezweifelt, seitens der „Ständigen Publikumskonferenz der Öffentlich-Rechtlichen Medien“, eines Vereins aus Leipzig, der es sich zum Ziel gesetzt hat, vermeintliche "Fehler" im TV-Programm zu bemängeln. Dieser Verein hat das auch an anderer Stelle schon öfters getan, auffälligerweise vor allem dann, wenn es um Russland-Themen geht, zum Beispiel beim Ukraine-Konflikt. Kristin Helbergs Glaubwürdigkeit in Sachen Syrien anzuzweifeln, ist nicht angebracht. Im Juli erscheint ihr drittes Buch zum Thema, "Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts". Syriensendungen mit Leuten zu bestreiten, die (anders als Helberg) Syrien noch nie betreten haben - das kann es auch nicht sein.

Es bleibt also ein von außen und innen beleuchtetes Phänomen, was gerade vor dem Hintergrund von komplexen Konfliktpotenzialen, Fake-News-Debatten sowie dem dauernden Kampf um Deutungshoheiten und Einflussnahmen eine Aufwertung erfahren hat: die Garde von Fachleuten und Experten, die täglich in den TV-Studios aufläuft. Die den Deutschen sagt, wo’s langgeht – da es doch eine neue (nicht nur geschäftsführende) Regierung immer noch nicht gibt. Zu diesem Phänomen gehört wohl auch, dass es da immer etwas zu meckern gibt. Michael Wolffsohn bringt es auf den Punkt. Der Historiker wird häufig zu Rate gezogen, wenn es um den Nahost- Konflikt geht – ein gutes Beispiel für die Schublade „Prominente Wissenschaftler in populären Massenmedien“. Er sagt: „Wer nichts weiß, nur gut redet oder von seinem Renommee zehrt, ist ein Schwätzer.“ Von denen gebe es ein Übermaß. Nicht nur in den Medien.

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