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Klare Formen. Patrick Hellmann, der Designer und Herrenschneider, empfängt in seinem Showroom am Ku’damm.

© Doris Spiekerman-Klaas

Berliner Modeschöpfer: Patrick Hellmann soll sogar Putin ausstatten

Über Patrick Hellmann ist wenig bekannt. Zumindest in Berlin. Dabei entwirft er hier Anzüge, die weltweit gefragt sind. Ein Designer, der weiß: wahre Größe untertreibt. Eine Begegnung.

Das Treffen findet eigentlich gegen seinen Willen statt. Er möge ein bulliger Typ sein, sagt Patrick Hellmann und deutet auf sich, aber in der persönlichen Begegnung sei er dann auch wieder ziemlich scheu. Und welcher Modedesigner spreche schon gerne über seine Arbeit?

Joop.

Ja, der ist ein Könner. Alte Schule. Zeichnet selbst.

Lagerfeld.

Ja, ein Genie.

Michalsky.

Ja, der.

Tatsächlich ist fast nichts über Patrick Hellmann bekannt. Es gibt kaum Berichte über seine Kollektionen, gar keine über ihn selbst. Will er denn niemandem erklären, um was es ihm geht? Am Anfang steht also der Gedanke, dass es interessant sein müsste, diesen Mann zu treffen, dessen Name seit Jahrzehnten Inbegriff klassischer Männerausstattungen ist und sich vielfach an Berlins besten Adressen findet. Man möchte erfahren, was er dem Herrn zu bieten hat, der ja bekanntlich ein evolutionäres Auslaufmodell ist, und was dem Berliner Mann, der noch mal einen Sonderfall an schlechtem Geschmack darstellt. Muss es nicht ausgesprochen hart sein, in einer ausgeflippten Stadt wie dieser, in der eine Jeansmesse den Ton angibt, gute Ideen zu haben?

Als Erstes wäre ein Irrtum aufzuklären, die vielen Hellmann-Läden in der Stadt betreffend. Patrick Hellmann betreibt heute in Berlin drei Geschäfte unter eigenem Namen. Die anderen werden von seinem Bruder Frederick geführt. Ansonsten hat der Designer weit über Berlin hinaus Erfolg. Sogar vor allem: jenseits Berlins. Es heißt, der russische Präsident Putin Wladimir Putin trage „nichts anderes“ als seine Anzüge und Mäntel. Was bis vor Kurzem noch als Lob durchgehen konnte, ist jetzt leider keines mehr.

Wahr ist, dass es den Designer an Orte des Luxus zieht. Nach Sotchi, Dubai, Marbella oder Baku, wo er eigene Läden betreibt. Denn seine Stücke, ob für Damen oder Herren, sind teuer. Ein Anzug kostet etwa 1000 Euro. Berlin ist eine andere Nummer. Hier macht er auch gute Umsätze, wie er sagt, aber vor allem ist es der Ort, an dem er träumt.

Es sind Träume von einem neuen Klassizismus.

Als der Designer aus einem Hinterzimmer an den vier Meter langen, schwarz-spiegelnden Tisch in seinem Atelier am Kurfürstendamm tritt, trägt er Jeans und schwarzes Polo-Shirt. Fester Händedruck. Er hat die Statur eines früheren Ringers, mit einem kräftigen Brustkorb und muskulösen Armen. Das ergraute Haar trägt der 61-Jährige sehr kurz. Seine eigenen Entwürfe sähen nur an ihm selbst nicht gut aus, sagt er. Womit schon mal geklärt wäre, für wen er das alles nicht macht.

Modedesigner, zumal solche, die Männer ausstatten mit dem, was man Klasse nennt, jagen oft einem konservativen Fantasma nach. Sie sind Bewahrer einer Welt, die besser aussähe, wenn alles beim Alten bliebe. Ralph Lauren baute ein Milliardengeschäft aus dem Bedürfnis auf, den lässigen Lebensstil der Long-Island-Bohème zu imitieren - und zwar just in dem Moment, da die Hippie-Kultur ihr mit einem anderen Lässigkeitsbild den Garaus zu machen begann.

Als Kind weißrussischer Einwanderer hatte er den traditionellen Ostküstenluxus auf eine Weise glorifiziert, dass sich Menschen aus weniger begüterten Schichten mit ihr identifizierten. Auf ähnliche Weise idealisierte Giorgio Armani den Look des Mafia-Gangsters. Und Jeremy Hackett begann die als unmodern aussortierte Garderobe des englischen Gentlemans zu adaptieren, als das Königreich in der Thatcher-Ära sozial auseinanderfiel. Es geht in dieser Welt männlicher Identität um das Alte, das überdauert, indem die Designer die Zugangsbedingungen ändern.

Patrick Hellmann reanimiert den imperialen Glanz der Industriemoderne, als Häuser runde Ecken bekamen und Frauen Hosenanzüge trugen. Auch diese Epoche des Art déco ist untergegangen. Aber Hellmann leitet aus ihrer stromlinienförmigen Sachlichkeit ein Ewigkeitsgesetz ab: wahre Größe untertreibt.

Offenbar sind Körper - auch die von Sportlern - unperfekt

So sollen Frauen wieder Hosenanzüge tragen, raffinierte Extravaganzen wie Lederpatches oder bunte Innenfutter bleiben verdeckt und werden erst bei Bewegung sichtbar. Es gibt schwarze Anzüge, die das Licht schlucken. Jeder Mann brauche einen schwarzen Anzug, sagt Hellmann und nickt in Richtung eines Exemplars, das ihm gegenüber an einer Schneiderpuppe hängt. Der sei für die Profifußballer von Hertha entworfen, fügt der Designer hinzu, und nur eine ovale Gürtelschnalle mit dem Firmenlogo PHC bricht die Lichtlosigkeit des Stoffs. Schwarz, das sei über jeden Trend erhaben. Wohl auch über jeden Tabellenplatz.

„Meine Stärke“, sagt Hellmann, „ist die Balance eines Anzugs.“

Braucht ein Anzug Balance? Ist das Leben ein Schwebebalken?

Offenbar sind Körper - auch die von Sportlern - zu unperfekt, um aus sich selbst heraus Gleichgewicht zu entfalten. Doch viele Designer kümmern sich nicht um verzeihliche Makel wie Bauchansatz, breite Hüfte, kurze Beine. Sie folgen ihrer Linie, und die ist in Zeiten taillierter, bauchloser Schlankheit bedauerlich exklusiv. „Meine Entwürfe können von jedem getragen werden“, hält Hellmann dagegen. Ob untersetzt, hoch aufgeschossen oder vom Leben gebeugt, Hellmanns Schnitte gehen nachsichtig mit der Figur um. Er erklärt: „Wenn man einen Anzug baut, ist das Wichtigste die Schulter.“

Dass sich dieser Satz wie der eines Brückenbauingenieurs anhört, ist vielleicht kein Zufall. Mit ein paar kräftigen, sich vor seiner Brust kreuzenden Handbewegungen zeigt Hellmann, was er unter der Schulterpartie versteht. Das tragende Gerüst, auf dem der Stoff noch liegt, bevor er wie über eine Klippe fällt. Er habe, sagt Patrick Hellmann, so vielen Männern in Jacketts geholfen und missliche Faltenwürfe sich bilden sehen, dass er um die Geheimnisse der Schulter weiß.

Er führt das jetzt nicht näher aus, obwohl er über die gerollte sizilianische Schulter einiges zu sagen hätte, die den Ärmelansatz seiner Sakkos nach oben trimmt, so dass dieser stolz über die Schwerkraft triumphiert. Er habe vieles von frühester Kindheit an aufgesogen, „ohne darüber nachzudenken“.

Denn da war noch sein Vater, der vor dem Zweiten Weltkrieg bei Wertheim in der Herrenabteilung ausgebildet worden und aufgestiegen war. Damals waren Anzüge Maßanfertigungen. Sein Vater Alfred verstand also etwas von Kleidung. Und dieses Wissen konnte man ihm nicht nehmen, wiewohl die Heimat schon. Wie Alfred Hellmann als gebürtiger Berliner nach Casablanca gelangte, ist eine komplizierte Geschichte. Ein Rettungsboot spielt dabei eine gewisse Rolle und ein Schiff auf dem Weg nach Asien, das in Flammen aufging.

In Casablanca, erinnert sich der dort 1955 geborene Sohn, sei er oft im Maßatelier seines Vaters gewesen, in dem nur Italienisch gesprochen wurde wegen der vielen italienischen Schneider, die mit Maßbändern um den Hals herumliefen, Stoffe zuschnitten, absteckten und vernähten. Ansonsten sprachen sie Französisch zu Hause, was Hellmanns Wortmelodie bis heute prägt.

Er war neun, als seine Familie nach Amerika übersiedelte. Das politische Klima war in Marokko Mitte der sechziger Jahre ihnen gegenüber immer unfreundlicher geworden. Diesen Wechsel in die neue Welt erlebte er, ein maghrebinischer Sonnenjunge, als Bruch.

Die Hellmanns ließen sich in Cincinnati nieder, einer großen Industriestadt im Norden der USA. Patrick, nicht gut in der Schule, überstand die Zeit. Und als er sich fragte, wohin er sich wenden sollte, um seinen eigenen Weg zu gehen, da legte ihm der Vater Berlin ans Herz.

Berlin, das sei in dessen Augen immer das Größte, Beste, Feinste gewesen, sagt Hellmann. Ein Fantasia der Mode, bedeutender als Paris. Weil weit zurückreichende Verbindungen Alfred Hellmanns fortbestanden hatten, war der Sohn fürs Erste gut aufgehoben, als er 1978 in die geteilte Stadt kam. Berlin hatte natürlich nichts mehr mit dem Vorkriegsparadies der Kleiderindustrie zu tun.

Patrick Hellmann gründete sein erstes eigenes Geschäft 1983, es folgten noch ein paar weitere, in denen er die Kleidung von Avantgarde-Designern wie Givenchy, Gaultier, Dior, Celine verkaufte. Bis er dachte: Was die können, das kann ich auch.

Ihn jetzt an seinem wuchtigen Zeichentisch sitzen zu sehen, einen Arm auf die Tischplatte gelegt, umgeben von Stoffballen, Vitrinen mit Statuen, Vasenmustern, Bildbänden, einem Sammelsurium an Art-déco-Utensilien, erweckt er den Eindruck eines manischen Sammlers. Doch was ihn an Gegenständen umgibt, hat er nicht des Besitzens wegen, sondern um es zu kombinieren. Es geht bei den Leuten, an die er sich mit seinen luxuriösen Kleidungsstücken wendet, um solche, „die sich alles leisten können“, wie er sagt. Warum sollten es ausgerechnet seine Sachen sein?

In Russland geht alles ein bisschen angestrengter zu

Seine Stücke seien von exquisiter Qualität, heißt es in Fachkreisen. Aber das ist es nicht. Auf einer britischen Modeseite stand über seine Kollektion zu lesen: „Für eine Marke, die sich vom Rest absetzen möchte, aber es unterlässt, Dinge anders zu machen, gibt sie sich ein bisschen zu angestrengt.“ In Russland, wo alles ein bisschen angestrengter zugeht, schert man sich wenig um derartige Dünkel. Dort rangiert PHC als Luxusmarke vor Brioni und Tom Ford. Als Hellmann einmal ein Billett in seiner Manteltasche vergessen hatte und in der Garderobe danach suchte, merkte er beim Tasten, dass sämtliche dort hängenden Mäntel aus seiner Produktion stammten.

Mit dem Stoff geht es ja sowieso los, beginnt jede Kollektion. Die Stoffe, die von den Lieferanten auf den Markt gebracht werden, bilden den Kern der Entwurfslinie einer Saison. Stoffmessen geben deshalb die wichtigsten modischen Impulse. Doch Hellmann geht nicht mehr auf solche Messen. Die Stofffabrikanten kommen zu ihm, um an dem schwarzen Tisch Platz zu nehmen, an dem er jetzt auch sitzt. „In der Fabrik bin ich verwirrt. Es bleibt einem ja nicht verborgen, was die anderen Designer bestellt haben. Der hat Karo-Blau gemacht. Warum ich nicht?“

Zu aufregend. In Hellmann brummt die Stimme des pragmatischen Geschäftsmanns, die der Designer in sich nie ganz zurückdrängen kann. Über seine Familie spricht er gerne, aber weitertragen soll man es nicht. Dazu passt, dass er kaum Werbung macht. Keine plakatierten Häuserfassaden. Wenig Zeitschriftenstrecken. Mit Jérôme Boateng hat es ein Fotoshooting gegeben, und der Fußballstar sieht teuflisch gut aus in der edlen Abendgarderobe. Aber an die Massen, die dem Nationalspieler derzeit zujubeln und als Giganten seiner Zunft feiern, wenden sich solche Bilder nicht.

Runde Ecken - wie schon im Casablanca

Patrick Hellmann residiert an der Ecke des Kurfürstendamms, an der sich die besten Designer der Welt drängen. Trotzdem findet er: Berlin habe „nicht genug Action“. Er meint: „Man sieht zu wenig von den Entwicklungen, die sich in Modemetropolen wie Mailand abzeichnen.“ Der Berliner sei vielleicht ein bisschen bequem. Man kann es auch positiv ausdrücken. Der Berliner lässt sich sein Aussehen nicht von Marken diktieren. Er neigt zur wilden Kombination.

Kleider sind nur die erste Hülle des zivilisierten Menschen. Räume bilden die nächste Schicht. In Berlin ist man sich dieser Lebensweltschale vielleicht besonders bewusst - so viel Freiraum, auch wenn es enger wird. Viele der mit einer exklusiven Lage werbenden „Residences“ und „Townhouses“ haben auch wieder runde Ecken. Schon im Casablanca von Hellmanns Kindheit sahen Gebäude so aus. Und für Möbel hat er sich stets interessiert. So kommt es, dass mittlerweile drei Viertel der Unternehmensbereiche von PHC der Raumgestaltung vorbehalten sind.

Zuletzt hat Hellmann einen großen Schritt vollzogen und das ehrwürdige Schlosshotel Grunewald erworben, um es nun sukzessive mit individuellen Art-déco-Räumen auszustatten. Es reize ihn, sagt er, „einer Welt, die beinahe tot war, neues Leben zu geben“. Hellmann geht die Renovierung der Zimmer mit seinem Bauch an, wie er sagt. „Ich bin für schnelle Entscheidungen. Ich hasse langwierige Prozesse.“

Seine Inneneinrichtungen borden über vor Einfällen. In 15 der bereits fertig gestellten Zimmer pflastern Bilder, Fotos und Entwurfsskizzen in russischer Hängung, also üppig die Wände. Mehr soll mehr sein. „Wenn ich Sammler wäre, hätte das für mich selbst fatal Konsequenzen“, sagt er. „So kann ich mich freuen an den Details, von denen mich jedes neu inspirieren kann.“

Wie das zur reduzierten Ästhetik des Meisters klassischer Anzüge passt, ist von Hellmann nicht zu erfahren. Im einen wie im anderen Metier überrascht er mit Formen, die man kennt. Es dominieren die Farben Schwarz und Silber. Die Konturen der Einbauten sind klar und hart. Manche Sessel sind in dem Stoff bezogen, den Hellmann auch für seine Anzüge verwendet. Schlipsseide ist in Vorhängen verarbeitet.

Bis zur letzten Sekunde werde ausprobiert und verworfen. Ein wilder, kreativer Prozess des Kombinierens, sagt er. In diesem Sinne ist Patrick Hellmann ein typischer Berliner.

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