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Aiman Mazyek ist Vorsitzender des Zentralrats der Muslime.

© Thilo Rückeis

Interview mit Aiman Mazyek: „Auf dem Weg zum deutschen Islam haben wir noch ein Stück“

Der Chef des Zentralrats der Muslime über Gott und Karneval, das Verhältnis zu jüdischen Kollegen und Koransuren am Brandenburger Tor.

Herr Mazyek, Sie sind Rheinländer. Sehen Sie den Rosenmontagszügen morgen eher mit Sorge entgegen?
Gar nicht. Ich war sehr irritiert, dass in Köln ein Motivwagen gestrichen wurde, der sich kritisch mit den Anschlägen von Paris auseinandersetzt. Ich kann nicht nachvollziehen, auf wen da Rücksicht genommen wird. Als Muslim kann ich nur sagen: Das wird eher islamfeindliche Ressentiments bedienen der Art: Schaut mal, sie „knicken vor den Muslimen ein“. Ich finde, gerade jetzt, nach den Morden von Paris, den Massakern in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ und im jüdischen Supermarkt, sollten sich Karikaturisten und Karnevalisten mit Extremismus auseinandersetzen.

Eignet sich der gewaltsame Tod von Menschen dafür?
Das Wie überlasse ich den Karnevalisten selbst. Ich wette aber, dass die Ukraine, wo ebenfalls Menschen sterben, ein Thema der Züge wird.

Und Sie meinen, Muslime würden das verstehen, ohne ihre Religion beleidigt zu sehen?
Wir sind Teil dieser Gesellschaft, unser Sinn für Humor unterscheidet sich nicht gravierend von dem der nichtmuslimischen Deutschen. Außerdem ging es bei dem Motivwagen nicht um Religion, sondern um Terror. Da wünsche ich mir, ich sage es noch einmal, mehr Auseinandersetzung.

Auch dann, wenn der Prophet Mohammed dargestellt wird?
Es kommt doch ganz darauf an, wie man das macht. Habe ich den Mut, mich mit den Mächtigen anzulegen, eine der vornehmsten Aufgaben von Satire übrigens, oder will ich nur das, was Gläubigen heilig ist, in den Dreck ziehen?

Cartoons, die Mohammed zeigen, sind für Sie also nicht generell beleidigend?
In einer Witzfigur erkenne ich meinen Propheten nicht, wie sollte ich da beleidigt sein?

Die Aufzüge der letzten Monate waren weniger bunt als die der nächsten Woche. Gehört Pegida auch zu Deutschland, wie der SPD-Chef sagte?
Offenkundig ja, und wenn man die ausländischen Medienberichte über Deutschland in den letzten Wochen verfolgt, offenbar mehr, als es uns lieb ist. Wir sagen immer, Politik dürfe die Ängste der Bevölkerung nicht ignorieren. Eine grundsätzliche Dialogverweigerung hätte die Rädelsführer, die kruden, islamophoben und rassistischen Weltbilder anhängen, noch weiter gestärkt in ihrem Populismus. Mit denen würde ich auch ein Gespräch strikt ablehnen. Aber einige sind unter diesem Schirm mitgelaufen, die Ängste auf die Straße trieben, vielleicht auch Wut auf „die da oben“. Wenn „die da oben“ dann mit ihnen reden, kann das opportun sein.

Pardon, nehmen Sie den Mitläufern das ab? Wer läuft denn unter einem Schirm „gegen die Islamisierung des Abendlands“, obwohl es ihm um anderes geht?
Ich kenne diese Vermischung von sozialen Problemen und „der Islam ist an allem schuld“ seit vielen Jahren, durch die täglichen Hassmails, die mich erreichen und dies so ausdrücken. Ich würde aber zumindest versuchen, den Mitläufern ein Gespräch anzubieten. Vielleicht ist der ein oder andere noch für Argumente erreichbar.

"Dresden ist für mich kein anderer Stern"

Sie waren kürzlich als in Dresden, um in der Semperoper die Laudatio auf den senegalesischen Staatspräsidenten zu halten, der einen Preis bekam. Der Besuch auf einem andern Stern?
Dresden ist auch die Stadt, in der Marwa el-Sherbini aus islamfeindlichen Motiven in einem Gerichtssaal ermordet wurde, da ist es schon ein verstörendes Gefühl, nun dort die Pegida-Aufmärsche zu sehen. Aber ein anderer Stern ist die Stadt für mich nicht. Ich bin regelmäßig in Dresden, wir haben dort auch eine Gemeinde. Am vergangenen Freitag habe ich an der beeindruckenden Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag des Bombardements von Dresden teilgenommen. Und die Veranstaltung in der Oper war ein herzliches Bekenntnis zur Weltoffenheit und Toleranz Dresdens und hat meiner Frau und mir sehr gut gefallen.

Haben die Pegida-Aufmärsche den Alltag von Muslimen verändert?
Natürlich. Es gab signifikante Veränderungen in der Wahrnehmung von Muslimen. Die Blicke sind wieder ängstlicher geworden, es wird wieder öfter und offener gepöbelt. Ich fürchte, durch die starke Aufmerksamkeit für Pegida hat sich die eine oder der andere einfach wieder mehr getraut. Die Zahl der Übergriffe auf Muslime ist erschreckend hoch. Politik muss auch diese Ängste ernst nehmen.

Sehen Sie eine breite Islamfeindlichkeit, die nur auf einen Anlass wartet?
Das ist nicht nur gegen den Islam gerichtet. Islamhasser sind nach allem, was wir wissen, auch antisemitisch eingestellt oder gegen Sinti und Roma. Gegen Antisemitismus gibt es zum Glück aber ein öffentliches Tabu, das Ergebnis von bitteren Erfahrungen und langen Kämpfen, das für Islamfeindlichkeit erst entwickelt werden muss. Das heißt aber nicht, dass Antisemitismus besiegt ist. Anschläge gegen jüdische Einrichtungen haben ja leider ebenso zugenommen.

Nun fühlen sich Juden in Deutschland inzwischen eher durch muslimische Angriffe bedroht.
Ich wäre mit solchen Behauptungen vorsichtig, weil sie von manchen gern als Entlastungsversuche instrumentalisiert werden können. Richtig ist, es gibt Antisemitismus auch unter Muslimen, und das macht uns besonders betroffen, weil der Islam Rassismus gleich welcher Art als Sünde begreift und weil besonders Juden und Christen uns im Glauben nahe stehen. Dies habe ich auch bei meinem Besuch im letzten Jahr kurz nach dem Anschlag auf die Wuppertaler Synagoge der jüdischen Gemeinde direkt sagen können.

Sie können aber nicht bestreiten, dass das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen abgekühlt ist.
Es gibt solche und solche Momente. Ich beobachte in den Gemeinden, den jüdischen wie den muslimischen, eine starke Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Es war im letzten Jahr ein besonderes Erlebnis, als der jüdische Zentralratsvorsitzende uns erstmals einen Besuch in unserer Gemeinde in Frankfurt abstattete und kurz nach dem Freitagsgebet im Rahmen des Aktionstages „Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht“ direkt zur Gemeinde sprach und dafür viel Beifall bekam.

Der Zentralrat der Juden hat sich aber des Öfteren beklagt, es geschehe auf Ihrer Seite zu wenig.
Man kann immer noch mehr machen, das habe ich auch am Rande unserer Teilnahme an der Kundgebung des Zentralrates der Juden am Brandenburger Tor gegen Antisemitismus im letzten Jahr gesagt. Dort haben übrigens Vertreter der Kirchen gesprochen. Ich konnte mir das schon im letzen Jahr gut vorstellen und hoffe, dass bei einer nächsten ähnlichen Gelegenheit dann auch nach einer muslimischen Stimme gefragt wird. Wir können und sollten aber in Zukunft noch mehr tun. Gemeinsame Sportveranstaltungen von Juden und Muslimen wären zum Beispiel eine Möglichkeit.

Was wenig daran ändert, dass Juden mehr Distanzierung von Antisemitismus in Ihren Reihen erwarten.

Das mit der Distanzierung ist so eine Sache, und was heißt eigentlich „Ihre Reihen"? Bin ich tatsächlich verantwortlich für Mörder und Terroristen, die behaupten Muslime zu sein? Eine reine Distanzierung und keine Verurteilung und Auseinandersetzung mit diesem Phänomen könnte dieses falsche Bild eher festigen. Wenn ein ausgewiesener Atheist, der sich als Feind der Religion im Netz deutlich zu erkennen gibt, wie jetzt in den USA, drei Muslime quasi hinrichtet, werden doch auch nicht alle Atheisten aufgefordert, sich von der Tat zu distanzieren? Dennoch ist mir natürlich klar, dass wir starke Bekenntnisse und Aussagen für ein Zusammenstehen und für Toleranz in unserer Gesellschaft gerade in diesen schweren Zeiten immer wieder brauchen. Deshalb haben wir auch die Mahnwache am Brandenburger Tor im Januar organisiert.

Was hat die Mahnwache nach den Morden von Paris am Brandenburger Tor bedeutet? Es war wohl das erste Mal, dass ein Imam vor dem Brandenburger Tor Koransuren rezitierte – und Vertreter von Staat, Kirchen und Juden waren dabei.
Kirchen und Juden waren nicht nur dabei, sie hielten Ansprachen, so wie auch der Bundespräsident. Das war ein unglaublich wichtiges Zeichen, das hat stark auch nach innen gewirkt. Erneut, aber in der medialen Wirkung vielleicht so deutlich wie noch nie, haben Muslime sich zu diesem Land und den Werten bekannt, und erstmalig in dieser Deutlichkeit hat die gesamte Spitze des Staates und der Zivilgesellschaft sich schützend vor die Muslime gestellt. Wir haben danach Tausende Mails und Anrufe von Muslimen bekommen. Der Tenor war: Das hätten wir nicht mehr für möglich gehalten nach NSU und anderem mehr. Da ist in der Vergangenheit viel Grundvertrauen kaputtgegangen.

"Es gibt immer noch Grundreflexe, die sich ändern müssen"

Sind aus dem Fall NSU die nötigen Lehren gezogen worden?

Schwer zu sagen. In Bielefeld gab es Brandschläge auf Moscheen. Der Polizeibericht wusste schon eine Stunde später, dass der Grund nicht Islamhass war, denn die Kasse der Moschee war aufgebrochen worden. Nur der Ärger darüber, dass sie fast leer war, habe angeblich den Täter dazu gebracht, mehrere Korane zusammen mit der Imamkutte an Ort und Stelle zu verbrennen. Der Täter wurde gefasst, tatsächlich ein stadtbekannter Krimineller. Dass er in einer weiteren Moschee eine Woche später schon gar nicht mehr in die Kasse greifen wollte, sondern direkt Feuer legte, änderte nichts an der Interpretation: Ein einfacher Krimineller, folglich kein Islamhasser. Als in derselben Woche Salafisten im Kölner Dom Kerzen klauten, stand das politische Motiv sofort fest. Oder denken Sie an die Berliner Mevlana-Moschee. Da wurden die Brandbeschleuniger erst in einer Nachuntersuchung des Tatorts gefunden, weil man im ersten Moment sicher von einem technischen Grund ausging.

Also gab es keine Lehren aus NSU?

Ich würde nicht sagen, wir haben nichts aus dem Fall NSU gelernt. Aber es gibt immer noch Grundreflexe, die sich ändern müssen. Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Wenn auf einem US-Campus, wie diese Woche, drei muslimische Studenten erschossen werden, von einem einschlägig bekannten Religionshasser, bringt die dpa einen Dreizeiler, die „Tagesschau“ am Tag darauf eine kleine Meldung. Man stelle sich vor, ein mutmaßlicher Muslim hätte diese Tat verübt, was dann los wäre.

Noch einmal zur Mahnwache. Warum eigentlich war das keine Aktion des Koordinationsrats der Muslime (KRM), warum hat Ihr Verband das organisiert?
Alle vier Verbände des Koordinationsrats haben zur Teilnahme aufgerufen und trugen zum Gelingen der Aktion bei. Wir haben im Vorfeld die Initiative ergriffen, weil es sehr schnell gehen musste und weil angesichts von drei Tagen Vorbereitung ein Abstimmungsprozess kaum möglich war. Dennoch haben wir das auch nicht unversucht gelassen.

Wo liegen Ihre Probleme?
Wenn es nach dem ZMD alleine gegangen wäre, hätten sich die vier Verbände im KRM strukturell zu einer gemeinsamen neuen deutschen Religionsgemeinschaft, insbesondere auf Länderebene, zusammengetan. Jetzt haben wir immerhin eine gemeinsame Repräsentation, um zum Beispiel bei Neujahrsempfängen mit einer Adresse aufzuwarten. Es gibt aber schon unterschiedliche politische Kulturen unserer Verbände. Mein Zentralrat der Muslime in Deutschland ist sehr heterogen, wir haben türkisch-albanische Mitgliedsverbände, afrikanische, deutsche, arabische – wir konnten und wollten uns keinen ethnischen Islam leisten, wir sehen unsere Erdung in Deutschland, das hat stets unsere Agenda bestimmt. Andere sind ethnisch homogener …

Sie meinen die türkische Ditib?
… Sagen wir so: Theologisch sind wir uns in vielen Fragen zum Glück grün. Auf dem Weg zum deutschen Islam haben wir noch ein Stück Weg zu gehen.

Nach theologischer Harmonie sieht es in Münster nicht aus. Dort haben die Verbände massive Probleme mit der Lehre von Professor Muhammad Khorchide haben.

Da geht es aber nicht um theologische Unterschiede zwischen den Verbänden, sondern darum, dass die theologische Ausbildung nicht völlig abgekoppelt wird von den Wünschen der Gemeinden, die die Geistlichen ja später einstellen müssen. Wir stehen bei der Ausbildung zum Beispiel von Imamen ganz am Anfang, da ist es wichtig, zunächst Theologen auszubilden, die eine Grundversorgung sicherstellen. Das Vertrauen der Gemeinde in die staatlichen universitären Ausbildungsbereiche ist sehr wichtig. Ohne die funktioniert es kaum. Über theologische Schulen und unterschiedliche Richtungen können wir später debattieren, und die soll es selbstverständlich in den Universitäten auch geben .

Was sagen Sie Kritikern, die meinen, durch den staatlich organisierten muslimischen Religionsunterricht hat man nicht etwa die Koranschulen abgeschafft, sondern sie jetzt in die Schule geholt?
Ich verstehe das Misstrauen gegenüber allem, was in unseren Gemeinden stattfindet, nicht. Wir wollten den Koranunterricht in den Gemeinden nie abschaffen. Auch die Kirchen haben weiter eigenen Kommunion- oder Konfirmationsunterricht, obwohl Religion Schulfach ist. Beides ergänzt und befruchtet sich und soll zu Integration verhelfen.

Wenn Sie bilanzieren müssten: Wo steht der Islam heute, fast zehn Jahre nach Einberufung der Deutschen Islamkonferenz? Täuscht der Eindruck, dass Sie heute politisch weniger kämpferisch sind?
Gut möglich. Ich glaube aber, das hat mit mehr Wissen zu tun, und das ist auch ein Erfolg der Islamkonferenz. Als wir uns vor einem Jahrzehnt auf dieser Ebene trafen, dachten wir noch, wir fahren jetzt nach Berlin, die Anerkennung als Religionsgemeinschaft haben wir damit praktisch in der Tasche. Wir holen uns nur noch am Schalter das Formular ab, füllen es aus, und das war es dann. Was natürlich Unsinn war. Das Motiv des Innenministeriums – nicht des Ministers Schäuble – war, uns unter dem Eindruck von 9/11 sicherheitspolitisch in Beschlag zu nehmen. Das ging so auch nicht. In diesem Prozess haben beide Seiten gelernt.

Aiman Mazyek wurde 1969 in Aachen geboren, sein Vater stammt aus Syrien, die Mutter aus dem Schwarzwald. Mayzek, Vater von – demnächst – vier Kindern, studierte Arabistik in Kairo und Politik, Volkswirtschaft und Philosophie in Aachen. Mazyek war bis 2010 Sprecher des Zentralrats der Muslime, seither ist er Vorsitzender des Verbands. Mit Rupert Neudeck gründete Mazyek 2003 die Hilfsorganisation „Grünhelme“ zur Nothilfe in Krisenländern. Derzeit ist sie auch in Syrien und im Irak aktiv und kümmert sich unter anderem um jesidische Flüchtlinge.

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