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 Jüdische Athleten bei der Makkabiade in Berlin

© dpa

Jüdisches Sportfest in Berlin: Die Angst spielt mit bei der Makkabiade

Zum ersten Mal gastieren die Makkabi-Spiele in Deutschland. Doch es ist nicht das Olympiastadion, der Schauplatz von Hitlers Spielen 1936, das die jüdischen Athleten irritiert. Sondern eher die Warnungen davor, in Neukölln eine Kippa zu tragen.

Debora Rosenthal lässt sich erschöpft in einen Stuhl an der Bar fallen. Es ist 22 Uhr, auf den Gängen des Hotels Estrel hibbeln noch immer hunderte Sportler herum. Auch Rosenthal, 22 Jahre alt, trägt Jogginghosen und Turnschuhe, im Gesicht Sommersprossen und um ihren Hals eine goldene Kette. Darauf ihr Name in hebräischer Schrift. „Mit Davidstern würde ich aber nicht die Straße runterlaufen“, sagt sie. „Man muss ja nicht provozieren. Nicht hier.“

Die Sonnenallee nennen sie: Gazastreifen

Hier, das ist Neukölln, die Sonnenallee. Eine Straße, die mal Gazastreifen genannt wurde, weil dort jedes zweite Geschäft einen arabischen Schriftzug trägt. Eine Straße, in der sich viele Palästinenser niedergelassen haben und Flaggen über ihre Läden hängen. Eine Straße, die fünf Kilometer lang, aber nie, nie langweilig ist. Hier also liegt das Estrel, Deutschlands größtes Hotel. Hier sind derzeit 2300 jüdische Sportler untergebracht. Knapp zwei Wochen lang dient das Estrel als Hauptquartier der 14. Europäischen Makkabi-Spiele.

Zwei Tage vor Beginn der Spiele warnte Alon Meyer, der Präsident des Dachverbands Makkabi Deutschland, die Sportler öffentlich davor, in der Nähe des Hotels Kippa oder Davidstern zu tragen. Auch Rabbi Daniel Alter von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin riet den Athleten, sich nicht als Juden erkennbar zu geben: „Das wäre nicht besonders schlau!“

Deutschland hat die jüdische Sportwelt eingeladen, und gleichzeitig werden die Athleten davor gewarnt, sich auf der Straße als Juden erkennen zu geben? Ist das ratsam, weil in der kleinen Sonnenallee zuweilen die großen Konflikte aus dem Nahen Osten ausgetragen werden? Oder sind solche Warnungen Panikmache? „Wir haben in der Mannschaft darüber gesprochen, ob Berlin und speziell Neukölln für Juden sicher ist“, sagt Debora Rosenthal. Sie ist in Berlin aufgewachsen und konnte ihren Teamkollegen doch keine klare Antwort geben. Niemand kann das.

Die Spannung ist im Estrel zu spüren

Es ist bereits die vierte Makkabiade für Debora Rosenthal. Natürlich eine besondere. In der Heimat. Die Makkabiade gastiert zum ersten Mal überhaupt in Deutschland. Dort, wo jüdische Sportler unter der Nazi-Herrschaft von Wettkämpfen ausgeschlossen, verfolgt und ermordet wurden. Und dann finden die Wettbewerbe auch noch rund um das Olympiastadion statt, auf dem Gelände, das die Nazis Reichssportfeld nannten. Welch gewaltige Symbolkraft, dass an diesem Ort nun die größte jüdische Veranstaltung in Deutschland aller Zeiten stattfindet.

Ein jüdisches Sportfest in Berlin – das kann auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keine ganz normale Veranstaltung sein. Wer sich in diesen Tagen mit Sportlern unterhält, der spürt die Spannung – aber sie speist sich weniger aus der Vergangenheit denn aus der Gegenwart. Das Estrel und seine Lage beschäftigt die Sportler offenbar viel mehr als das Olympiastadion. Der eine Ort scheint Theorie zu sein, der andere Lebensrealität.

Wenn Debora Rosenthal mit Freunden unterwegs ist, ist sie fast immer die einzige Jüdin. Sie wurde von ihren Eltern nicht streng religiös erzogen. Ab und zu seien sie zusammen in die Synagoge gegangen. An den hohen Feiertagen, manchmal auch am Schabatt. „Aber dann kommt man in ein Alter, wo man freitagabends lieber unterwegs ist“, sagt sie. Die Makkabiade fühle sich besonders an. Alle Sportler an einem Ort, der Zusammenhalt sei riesig. „Es sind die Tage, an denen ich mich am jüdischsten fühle“, sagt Debora Rosenthal.

Die Zahl antisemitischer Straftaten hat zuletzt zugenommen

Debora Rosenthal ist die Enkelin des Talkmasters Hans Rosenthal.
Am Ball. Debora Rosenthal ist die Enkelin des Talkmasters Hans Rosenthal.

© Hermsmeier

Die Studentin wohnt in Köln, in Bonn spielte sie Hockey, Zweite Bundesliga. Deboras Großvater, der mit der Fernsehsendung Dalli Dalli berühmt wurde, hatte den Holocaust nur mit sehr viel Glück überlebt. Hans Rosenthal war zwei Jahre lang von zwei Frauen in einer Berliner Kleingartenkolonie versteckt worden. Er starb 1987, fünf Jahre vor der Geburt seiner Enkelin. „Er wäre bestimmt stolz, wenn er sehen würde, dass ich jetzt hier an der Makkabiade teilnehme.“.

Am Montagabend versammeln sie sich alle zum ersten Mal im Convention Center des Estrel. Franziska Giffey, die Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, heißt die Athleten, die aus 35 Ländern dieser Welt angereist sind, willkommen. Sie sagt ein paar nette Dinge, tritt dann von der Bühne ab, und als sie sich zum Ausgang bewegt, lächelt sie zufrieden.

Die Bürgermeisterin weiß, dass ihr Bezirk gefährlich sein kann

„Ist doch ein tolles Zeichen, dass sich die Veranstalter ausgerechnet das Estrel in Neukölln ausgesucht haben“, sagt Franziska Giffey. Sie weiß natürlich, dass ihr Bezirk für Juden ein gefährliches Pflaster sein kann. Doch kein anderes deutsches Hotel kann so viele Sportler gleichzeitig beherbergen, und da man alle Teilnehmer an einem Ort unterbringen wollte, nach Vorbild eines Olympischen Dorfes, blieb eben nur der riesige Bau am Neuköllner Schifffahrtskandal. Eine pragmatische Entscheidung. Aber in letzter Konsequenz auch eine problematische. „Die Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen“, sagt die Bürgermeisterin. „An der Sonnenallee kann man Sicherheit eben nicht zu 100 Prozent garantieren.“

Stéphane Ribette ist einer der wenigen Sportler, die an diesem ersten Abend im Estrel eine Kippa tragen. Der 35-Jährige kommt aus Creteil, einer kleinen Stadt südöstlich von Paris. Bei der Makkabiade tritt er für das französische Tennisteam an. „Wir haben vor ein paar Tagen eine E-Mail von unseren Trainern bekommen, dass wir außerhalb des Hotels keine Kippa tragen sollen. Daran werde ich mich halten.“ Die Warnung könne er verstehen, Sicherheitsmaßnahmen seien notwendig. „In Frankreich gibt es großen Antisemitismus. Wie ist es in Deutschland?“, fragt Stéphane Ribette.

Ja, wie ist es eigentlich in Deutschland?

Die Zahl antisemitischer Straftaten hat zuletzt zugenommen. 2013 wurden 788 Fälle registriert. 2014 waren es 1076. Laut Experten ist die Dunkelziffer groß – Drohungen der Täter würden Opfer oftmals vom Gang zur Polizei abhalten. Als der Rabbiner Daniel Alter in Friedenau im August 2012 von vier Jugendlichen verprügelt wurde, sprach der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit von einer „Attacke auf das friedliche Miteinander aller Menschen in der Hauptstadt“. Der Vorfall schockierte die Jüdische Gemeinde – und auch Debora Rosenthal. „Das hat mich traurig gemacht. Man realisiert in solchen Momenten, wie real Antisemitismus noch ist.“ Auch Rosenthal selbst hat solche Erfahrungen gemacht. „Es gab in meiner Oberschule einen Jungen mit arabischem Hintergrund, der mich ganz offensichtlich gemieden hat, weil ich Jüdin bin. Aber sonst ist mir nie etwas passiert. Man sieht mir ja nicht an, dass ich jüdisch bin.“

Rund 10 000 Mitglieder hat die Jüdische Gemeinde in Berlin. Viele leben in Charlottenburg oder in der Spandauer Vorstadt in Mitte. Billig und bunt, spannend und entspannt – Berlins Mischung zieht auch immer mehr junge Israelis an. Zwischen 20 000 und 30 000 leben mittlerweile hier. In Tel Aviv wird von Berlin geschwärmt. Und andersrum.

Aber dann machen wieder Geschichten die Runde über die Fußballer von TuS Makkabi, die bei Auswärtsspielen schon Sätze wie „Baut Auschwitz wieder auf“ gehört haben. Auch auf Pausenhöfen wird Jude als Schimpfwort benutzt. Und die Sonnenallee – eine No-Go-Area? Die muslimische Gemeinde wehrt sich zu Recht gegen eine Stigmatisierung. Und wenn man die Shisha rauchenden Großväter vor den Cafés beobachtet, fühlt sich die Sonnenallee sehr friedlich an, und das ist sie ja auch. Fast immer.

Die Ausnahmen bleiben im Gedächtnis

Es sind eben die Ausnahmen, die eher im Gedächtnis bleiben. Im Juli 2014 wurde ein Video veröffentlicht, das den Prediger Abu Bilal Ismail bei einer Predigt in der Al-Nur-Moschee zeigt. „O Allah, destroy the Zionist Jews“, ruft Ismail. Er wurde zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Deborah Rosenthal und ihre Mannschaft sind in dieser Woche mit dem Shuttlebus auf dem Weg zum Olympiapark an der Moschee vorbeigefahren. „Das war schon ein komisches Gefühl. Weil wir ja die Geschichten gehört haben“, sagt sie.

Ein 28-jähriger Palästinenser stellte sich pöbelnd vors Hotel

Ben Lesegeld spielt bei der Makkabiade Fußball
Kicker. Ben Lesegeld ist Berliner. Während der Spiele wohnt er im Hotel.

© Hermsmeier

Von der Moschee zum Hotel ist es nur ein kurzer Fußweg, vorbei am Jobcenter, an McDonald’s und ein paar Baustellen. Zwischen dem Hotelkomplex und dem Schifffahrtskanal liegt die Ziegrastraße, sie ist während der Makkabiade gesperrt, und das haben auch langjährige Hotelangestellte noch nie erlebt. Polizei und ein Sicherheitsdienst wachen rund um die Uhr an der Ecke. Ein Metallscanner wurde aufgebaut, die Leute von der Security lassen kein Auto passieren, ohne die Personalien zu kontrollieren und die Unterseite des Fahrzeuges mit Spiegeln zu checken.

Die Vorsicht scheint angebracht. Laut Polizei kam es Freitag innerhalb von 24 Stunden zu zwei antisemitischen Vorfällen. Erst hatten mehrere Jugendliche Donnerstagabend im S-Bahnhof Sonnenallee sechs erkennbar jüdische Männer angepöbelt, am nächsten Morgen stellte sich dann ein 28-jähriger Palästinenser vors Hotel und beleidigte die Wachleute antisemitisch. Er wurde festgenommen.

Die Warnungen sind umstritten

Trotzdem waren die Veranstalter der Makkabiade nicht glücklich über die Warnungen aus der Jüdischen Gemeinde. Man solle nicht mehr Alarm schlagen als nötig. Der Sport dürfe nicht in den Hintergrund geraten. So sieht das auch Ben Lesegeld. Der 1,90 Meter große Hüne wäre in Israel fast Profifußballer geworden. „Der Tod meines Vaters hat mich aus der Bahn geworfen“, sagt Lesegeld. Er wurde in Frankfurt geboren und lebt seit vier Jahren in Berlin, wo er Kommunikationsdesign studiert hat. Seine Uni liegt in Neukölln. „Für mich ist das komplett normal, Jude in Deutschland zu sein.“ In Prenzlauer Berg höre er oft Israelis auf der Straße hebräisch sprechen. „Ich habe arabische Freunde. Wir streiten manchmal politisch. Und vertragen uns wieder.“

Doch wenn es um die Kippa-Warnung geht, dann sagt auch er wie die Hockeyspielerin Debora Rosenthal, „dass man gewisse Dinge nicht machen sollte. Das provoziert“. Die Kippa als Provokation? Zumindest in Neukölln – da sind sich beide Sportler einig.

Im Westen der Stadt, im weitläufigen Olympiapark, stehen fast an jeder Ecke Polizisten. Das Gelände ist abgeriegelt. Insgesamt sind rund 600 Beamte im Einsatz. Ein Aufgebot wie bei einem Staatsempfang. Berlin will ein guter Gastgeber sein. Und gut bedeutet in diesem Kontext vor allem: sicher. „Die Polizei ist schon auffällig, aber ich finde es nicht bedrohlich. Es vermittelt mehr ein Gefühl: Das wird ernst genommen“, sagt Rosenthal nach ihrem ersten Spiel. Ihre Hockeymannschaft hat gerade die USA mit 4:1 besiegt. Ein schwarz-rot-goldener Sieg. Jahrzehntelang hatte die deutschen Delegation auf diese Farben bei der Makkabiade verzichtet.

Viele Zuschauer haben sich zumindest in den ersten Wettkampftagen nicht zum Olympiapark aufgemacht. An den Spielfeldrändern stehen meist die Athleten, die eine Pause zwischen ihren eigenen Wettkämpfen überbrücken müssen. Bis zum Mittwoch laufen die Spiele. Viele Sportler besuchten diese Woche die Gedenkstätte Sachsenhausen. Abgesehen von der Eröffnungsfeier in der Waldbühne haben die meisten Athleten in Berlin noch nicht viel gesehen. Das Programm ist dicht. Den freien Sonnabend will Debora Rosenthal lieber im Garten ihrer Eltern in Lankwitz verbringen, statt sich ins Nachtleben zu stürzen.

Ben Lesegeld ist Berliner – während der Makkabiade wohnt auch er im Estrel. Dass sich manche der jüdischen Sportler in Berlin jetzt tatsächlich bedroht fühlen, liege wohl vor allem an den Warnungen aus der jüdischen Gemeinde. Die Sonnenallee sei den Nicht-Berlinern eher durch den gleichnamigen Kinofilm bekannt. Und viele Briten, Schweizer und Holländer wären wohl nicht von alleine auf die Idee gekommen, dass sich Kippa und Neukölln nicht vertragen sollen.

Lesegeld wohnt mit seiner Freundin in Prenzlauer Berg, aber die beiden wollen demnächst umziehen. Vielleicht nach Neukölln. Ob das denn ein sicherer Bezirk sei für einen Juden? Lesegeld antwortet spontan und beinahe trotzig: „Ja, definitiv!“

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