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Schicht im Schacht. Ibo Sahin und sein Kollege führen Aslan und seinen Freund ab. Bei der Leibesvisitation fallen fünf Tüten Gras auf den Boden.

© Zinken/dpa

Kriminalität in Berlin: Ein ganz normaler Abend am Kotti

Ein Einsatz wie ein Hindernislauf: Dealer in der U-Bahn, Drogentüten auf dem Spielplatz, Schläger zwischen dem Kreisverkehr. Ein Abend auf dem berüchtigtsten Platz Berlins. Unser Blendle-Tipp.

Aslan will sich nicht ausziehen, spuckt dem Beamten vor die Füße, verschränkt die Arme vor der Brust und zischt Ibo Sahin an. „Rassist, Rassist!“

Nun ist auch Sahin wütend, zieht ihn ganz nah ran: „Von dir, Freundchen, lass’ ich mich nich’ beschimpfen, ist das klar?!“

Für zwei, drei Sekunden sieht es so aus, als würden sich die beiden gleich prügeln. Nach kaltem Rauch riecht es zwischen den fahlen Wänden des Abstellraums auf dem Bahnsteig der U8. „Rassist?“, ruft Sahin. „Ich glaub’, ich spinne!“

Dabei beginnt der Abend so friedlich. Ein Dienstag im Mai, 19.13 Uhr, Kottbusser Tor, Berlin-Kreuzberg, die Sonne scheint. Aus zwei Einsatzwagen, den „Wannen“ genannten Mercedes-Bussen, steigen zehn, elf uniformierte Polizisten. Sie stehen dort, wo sich sonst Junkies, Dealer, Touristen beargwöhnen. Am Obststand, vor dem „Kottiwood“, dem Lokal an der Westseite des Platzes.

"Ist eindeutig schlimmer geworden", sagt eine Mutter

Aslan, 1997 in Ägypten geboren, wegen Drogen polizeibekannt, sitzt in diesen Minuten vor einer Shisha-Bar. Die liegt auf der Nordseite des Halbkreisriegels, des Blocks mit den 300 Wohnungen, für den der Kotti bekannt ist. Sahin, dessen Eltern aus dem kurdischen Osten der Türkei stammen, zurrt das Funkgerät an der Uniform fest.

19.17 Uhr, Adalbertstraße. Sahin läuft mit einem Kollegen zur Bibliothek. Ein Mittvierziger, tiefe Augenringe, zittrige Hände, verschwindet um die Ecke. Zwischen Koniferen-Kübeln bleibt er stehen. „Lass absuchen“, sagt Sahin unaufgeregt. „Der könnte was versteckt haben.“ Sahin kennt ihn von früheren Einsätzen. Der Mann zieht die Aufenthaltsbescheinigung raus, auch er ist Ägypter, lässt sich geduldig die Taschen abtasten, während Sahins Kollege mit einer Taschenlampe in die Büsche schaut. Sahin funkt die Zentrale an, kein offener Haftbefehl, schönen Abend noch.

Aus dem Wohnblock eilt eine Mutter, schwarzes Kleid, tiefgrüne Augen, schwarze Haare, nach unten. „Ich wohne ewig am Kotti. Ist eindeutig schlimmer geworden. Aber letztes Jahr, da war es noch schlimmer!“ Ihre Tochter nickt. Polizist Sahin nickt. Ein Mann, der gerade aus dem Fischladen im Erdgeschoss dazukam, nickt auch.

Massive Präsenz zeigt Wirkung: Die Zahl der Delikte am Kotti ist gesunken.
Massive Präsenz zeigt Wirkung: Die Zahl der Delikte am Kotti ist gesunken.

© Zinken/dpa

Kottbusser Tor. Das sind tausende Mieter, oft zweite Einwanderergeneration, in Blöcken um den Kreisverkehr. In dessen Mitte kreuzen sich zwei viel genutzte U-Bahnlinien. Kotti sind auch Dealer, Fixer, Säufer, seit jeher im Bezirk, im Senat, in den Medien als Problemplatz bekannt. Vor zehn, zwölf Jahren kamen massenhaft Feiernde, Künstler, Touristen dazu, der Kotti wurde zum Platz gewordenen „Arm, aber sexy“. Vor zwei, drei Jahren folgten dann jene Männer aus Marokko, Algerien, Libyen, Tunesien, Ägypten, über sie wird seitdem gestritten. Von 2014 auf 2015 verdoppelte sich die Zahl der Taschendiebstähle, Raub und Schlägereien stiegen dramatisch. Die Verdächtigen – viele inzwischen verurteilt – stammen überwiegend aus Nordafrika.

Anwohner protestierten, Gastronomen drohten mit einer Kiezmiliz, der Senat musste reagieren: Mehr Präsenz, schnellere Einsätze, enger Kontakt zu Anwohnern, Wirten und Kioskbetreibern. Nun sind Sahin und seine Kollegen öfter dort. Der Einsatz scheint zu wirken. 318 Gewalt-, Eigentums- und Sexualdelikte wurden im Januar 2016 am Kotti angezeigt. Im Januar 2017 waren 213.

20, manchmal 30 Beamte sind jeden Tag dort

Innensenator Andreas Geisel, SPD, will mehr. Er kündigte an, bald eine mobile Wache einzurichten. Damit ist ein – umfangreicher ausgerüstetes – Polizeiauto samt Besatzung gemeint. Am Alexanderplatz gibt es das schon. Oft werden die Beamten dort von Touristen nach den Sehenswürdigkeiten gefragt. Ob der Einsatz wie erhofft wirkt, ist unklar. Geübte Täter wissen, wie sie sich auf den Plätzen der Stadt zu bewegen haben – trotz mobiler Wache.

„Am besten“, sagt die Mutter, bevor sie im Gewimmel verschwindet, „noch mehr Polizei!“ Dabei patrouillieren nun schon jeden Tag zehn, 20, manchmal 30 Beamte um den Platz. Eine Streife wie ein Hindernislauf: Unter- und Überführungen, Imbisse, Läden, Hauseingänge, Treppen hoch und runter, Höfe, Bahnsteige der U1, der U8, Bögen um Taubenkot, Hundekot, Menschenurin.

19.24 Uhr, am Spielplatz, hinter der Bibliothek. „’Tschuldigung, Herr Polizist ...“ Ein Mädchen, zehn Jahre ...

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