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Unter Deck. 350 Flüchtlinge waren an Bord des Viehfrachters Ezadeen, als ihn die italienische Küstenwache im Januar 2015 in den Hafen schleppte.

© AFP

Millionen Daten ausgewertet: Auf der Spur der Menschenhändler des Mittelmeeres

Giftmüll, Waffen, Haschisch, Flüchtlinge – auf dem Mittelmeer kreuzt eine verborgene Flotte. Monatelang wurden Daten und Funksignale ausgewertet. Die Spur der Schlepper führt nach Griechenland und Syrien. Lesen Sie hier einen Auszug und den ganzen Text im digitalen Kiosk-Blendle.

Gegen Mitternacht erreichen sie ihr Ziel: eine abgelegene Bucht in der Nähe des Hafens von Mersin, Türkei. Im Wasser liegen drei kleine alte Motorboote. Darin sollen sie hinausfahren aufs Meer, hinaus zu dem großen Frachter Ezadeen. Er wartet in internationalen Gewässern. In der Dunkelheit können sie ihn nicht sehen.

Da klingelt Amrs Handy. Sein ältester Sohn ist dran.

„Wo bist du?“, fragt Amr.

„In unserer Wohnung.“

Amr wird wütend.

„Das ist nicht der richtige Moment für Witze!“

Doch es ist kein Witz.

Auf der Fahrt zur Ablegestelle sind sie getrennt worden: Amr, seine Frau Rania und zwei ihrer Kinder wurden in einen Minibus verfrachtet. Ihre älteren Kinder, beide Anfang 20, mussten in einem anderen Bus Platz nehmen. Der geriet, das erzählt der Sohn am Telefon, in eine Polizeikontrolle – und wurde zurückgeschickt.

Amr erzählt davon heute, als hätte er es gestern erlebt. Wie er mit seiner Familie aus Syrien floh. Wie sie sich Schleppern anvertrauten und zur Ware wurden in einem Millionengeschäft.

Vor mehr als einem Jahr hat die Familie Syrien verlassen, als anderthalb Kilometer von ihrem Haus entfernt ein Massaker verübt wurde. Amr war wohlhabend, er besaß einen Handel für Baumaschinen. Seine Frau Rania ist gebildet, spricht mehrere Sprachen. Sie redet auf die Schlepper ein, will sie dazu bringen, auf die beiden Kinder zu warten. Doch die Schlepper drängen. Ihre Chance sei jetzt. In dieser Nacht. Sie sollen auf der Ezadeen auf ihre Kinder warten. Das Schiff werde noch mehrere Tage vor Anker liegen.

Es ist einen Tag vor Heiligabend. Das Jahr 2014 ist fast vorbei. Sie lassen sich überreden, steigen in eines der kleinen Boote und fahren hinaus in die Dunkelheit. Ob sie ihre Kinder wiedersehen, wissen sie nicht.

Schon immer sind Schmuggler auf dem Mittelmeer unterwegs. Doch seit einigen Jahren ändern sich die Routen und Spielregeln. Libyen zerfällt, in Syrien wollen Kämpfer mit Waffen beliefert werden, Drogenschmuggler suchen neue Wege. Und hunderttausende Menschen haben nur einen Gedanken: fort vom Krieg, ins sichere Europa. Seit dem vergangenen Sommer tauchen plötzlich große Flüchtlingsschiffe vor Europas Küsten auf:

– Drei Tage vor Weihnachten 2014 wird die Merkur 1 mit etwa 600 Flüchtlingen von der italienischen Küstenwache vor der sizilianischen Küste gestellt.

– Silvester wird die Blue Sky M im Hafen von Gallipoli vertäut. An Bord: mehr als 800 Flüchtlinge.

– Am 3. Januar 2015, gegen 23 Uhr, bringt die italienische Küstenwache den Frachter Ezadeen in den Hafen von Corigliano Calabro in Süditalien. An Bord des Schiffes sind 350 Flüchtlinge, auch Amr und seine Familie.

Die Merkur 1, die Blue Sky M, die Ezadeen sind keine Schlauchboote. Es sind Schiffe, die zum Fuhrpark großer Reedereien gehören, mit Buchhaltern, Kapitänen und Mechanikern. Frachter, zwischen 60 und 100 Meter lang, die alles zwischen Gibraltar, dem Schwarzen Meer und dem Indischen Ozean transportieren: Holz, Vieh. Oder Flüchtlinge. „Die Schmuggler-Netzwerke haben aus dem Mittelmeer eine Autobahn für jede Art von illegaler Ware gemacht“, sagt Oberst Pino Colone, der von Rom aus die internationalen Einsätze der italienischen Drogenfahnder koordiniert. „Sie transportieren Drogen, Waffen oder Flüchtlinge. Aber es könnte auch Giftmüll oder sonst etwas sein.“

Die Spur zu den Schmuggelnetzwerken des Mittelmeers führt über Millionen Datensätze. Funksignale, die sekundengenau den Standort der Schiffe anzeigen, ausgesendet von Transpondern an Bord der Frachter ...

Die ganze Recherche von Correctiv.org lesen Sie für 25 Cent im digitalen Kiosk Blendle

Cecilia Anesi[Giulio Rubino], Frederik Richter[Giulio Rubino], David Schraven

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