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Goldene Zeit. 1962 erfand Uli Richter Prêt-à-porter.

© Kunstgewerbemuseum

Modedesigner für Knef und Brandt: Uli Richter und der Berliner Chic

Der Designer Uli Richter hat It-Girls eingekleidet, lange bevor die in Berlin so hießen. Nun wird er bald 90 Jahre alt – und sein Jetset-Leben kommt ins Museum.

Berliner Chic, das sagt sich heute so leicht. Drei Telefone stehen in einem Grunewalder Wohnzimmer auf einem Beistelltischchen und klingeln gleichzeitig. Alle wollen etwas von ihm. Der Modeschöpfer Uli Richter wird demnächst 90 Jahre alt, doch schon wieder arbeiten Leute in seinem Namen die Nacht durch, fahren Boten durch die Stadt, die Mittelformat-Dias einscannen und Posen der bunten Sechziger durch Scanner jagen lassen.

Richter ist einer, der den Begriff des „Berliner Chic“ in den 60er und 70er Jahren mit Leben füllte, der als der „französischste unter den deutschen Designern“ galt, der eleganteste Berlins sowieso, der 1970 die Hostessen der Weltausstellung in Osaka eingekleidet hat und lange am Ku’damm seine eigene Modellkonfektion hatte. An diesen Donnerstag eröffnet im Kunstgewerbemuseum die Ausstellung: „Uli Richter Revisited“.

All die Jahre über hat er hier im Grunewald gewohnt, wo die Häuser „Domizil“ genannt werden. Dort, wo er noch privat Kundinnen empfangen hat. Findet man hier den Berliner Chic?

Uli Richter war am Telefon ausgewichen. Er habe seinerzeit schon dem „San Francisco Chronicle“ gesagt, Mode müsse international sein. Die könne man nie auf eine Stadt begrenzen. Aber jetzt ist auch Susanne Gorke hier, seine Mitarbeiterin seit den Sechzigern. Die Aufregung legt sich langsam wie fallender Staub. Die Kristallvasen funkeln in der Sonne. Nach ihrem Lauf justiert die Hausdame die Markise. Weil die Materialien kostbar sind, schonen silberne Untersetzer das Holz der Tische und Hussen die Polster der Stühle.

Uli Richter in Berlin.
Uli Richter in Berlin.

© dpa

Angefangen habe ja alles beim Modehaus Horn, wo Richter 1948 mit 22 Jahren sein Volontariat begann, da war er schon Textilkaufmann. „Horn war schon ein bisschen versnobt“, sagt Gorke und lacht. Da hätte sich nicht jede hineingetraut, ins erste Haus am Platze. Und das alles war Strategie. Die Schwellen waren hoch, die Verkäuferinnen allesamt adelig.

Wer im weißen Chiffonkleid in Norderney steht, kann kein Landei sein

Später, als Uli Richter berühmt war, hatte er ebenso beeindruckende acht Etagen am Ku’damm, die Abnahme, Ateliers, ganz oben im Salon fanden alle halbe Jahr die Modenschauen statt. Susanne Gorke arbeitete in der Stoffabteilung. Und der „Berliner Chic“, von dem damals immer alle schrieben? „Eine Erfindung des Verbandes für Damenoberbekleidung“, sagt Gorke. „Ich sehe noch den Anhänger vor mir.“ Man hat ihn als Werbemaßnahme in die Kleidung eingenäht. Hätte es nicht diese Truppe von Couturiers gegeben, von denen Heinz Oestergaard der Bekannteste war und Uli Richter der Jüngste, wäre die Aktion natürlich verpufft.

In Potsdam-Babelsberg ist Richter in eine Drogistenfamilie geboren. Er zückt eine Postkarte mit seinem Elternhaus: links die Drogerie, rechts ein Kaiser’s Kaffee, oben wohnte die Familie. Da klingelt wieder das Telefon. Uli Richter kriegt zu viel. Wie soll er denn ein Interview geben, wenn er ständig unterbrochen wird? – Da will schon wieder jemand was, und er ist erst bei seinen Kriegsschäden!

Sein Finger saust auf ein kleines Schwarz-Weiß-Foto: „Hier, meine Inspiration.“ Wer in den Dreißigern in einem weißen Chiffonkleid in Norderney so vor einem genieteten Blechflieger steht wie seine Mutter auf dem Foto, „da sieht man gleich, das kann schon mal kein Landei sein“. Neben ihr steht der Sohn, Hosenträger halten die kurzen Hosen oben. Dass die elegante Mutter ihn immer in ihren Salon zur Anprobe mitgenommen hat, zeigte Langzeitwirkung.

Mit seinen Models reiste er mehrmals nach San Francisco.
Mit seinen Models reiste er mehrmals nach San Francisco.

© Richter

Uli Richter, der im Modehaus Horn zunächst Kleidung verkaufen wollte, strebte bald nach dem Entwurf. Natürlich unter kaufmännischen Gesichtspunkten. „Da kam mein Ehrgeiz raus. Ich wollte keine extravagante Schöpfung, sondern ein Kleid, das verkauft wird.“ Richter lief also durch alle Abteilungen seines Arbeitgebers und fragte die Schneiderinnen, was verlangt wird. „Blau geht immer.“ „Nimm Wollgeorgette.“ „Mach einen weißen Kragen dran, das wirkt fröhlich.“ „Es braucht einen Ausschnitt.“ Und dann riet ihm noch eine Erfahrene, die Falten an der Seite abzusteppen. „So blieb das Plissee beim Waschen drin, sonst hätte man es nach jeder Wäsche nachbügeln müssen.“

Das erste Kleid des Modeschöpfers Uli Richter war in Wahrheit eine Zusammenstellung verschiedener Verkaufsargumente, ein Produkt der Marktforschung. Er nannte das Stück „Marcelle“, der Chef verlangte 149 Mark en gros. Dafür bekam man Stil und Handwerk, Proportion und Pragmatismus. Es wurde ein voller Erfolg und Uli Richter, der weder zeichnen noch nähen konnte, wurde Entwerfer. 1957 entwarf er sein teuerstes Kleid, ganz mit Perlen besetzt, für einen Baumwoll-Wettbewerb. Was machst du denn, das ist doch gar keine Baumwolle?, fragte man ihn. Das Kleid nicht, aber der Mantel darüber, sagte Richter. So gewann er in Venedig 1957 das „Cotton Festival International“ mit einem Kleid, das nicht aus Baumwolle war und 89 000 Mark kosten sollte. Da zeichnete sich ab, der Mann würde Maßstäbe verschieben.

1959, da war er 33 Jahre alt, gründete er das eigene Unternehmen und von da an ging alles sehr schnell. Richter machte es wie beim ersten Mal: gutes Handwerk. Edle Materialien. Präzise Schnitte. Geschäft am Ku’damm. Er merkte kaum, dass er in Berlin von einer Mauer umgeben war. Gute Mode? Ist international. Er ist immer wieder abgehoben, Richtung USA, Frankreich, in die Schweiz. Er besuchte Schauen, hielt selber welche.

Er war jedoch der Einzige, der später Einzelschauen in Amerika haben würde, in San Francisco, Las Vegas, Houston, Los Angeles und New York. Während des legendären New Yorker Blackouts 1965 setzte er seine Show im Plaza Hotel einfach mit Kerzenlicht fort. „Candle-Light-Dinner“, haha. Perfektion und Pragmatismus.

Die Presse lobt seine Farbharmonie, er stattet die It-Girls der deutschen Politik und Schauspielkunst aus: Die Kanzlergattin Rut Brandt wird für alle Staatsbesuche von ihm eingekleidet, da ist Anneliese Rothenberger, die Sängerin, Hildegard, die Knef. Und, 1975 ein späterer Coup, Fürstin Gracia Patricia von Monaco. Man muss sich ja in diese Zeit hineindenken. Auf dem Tisch liegt eine alte Anzeige aus dem Tagesspiegel: Sie wirbt für „Modenschauen täglich“, eine Stunde mitten am Tag und mit Kaffee. Ja, jetzt wo Susanne Gorke die Anzeige sieht, sieht sie auch das Modehaus Kling vor sich, bekannt für Strickwaren, 150 Meter Schaufenster am Ku’damm. Die täglichen Schauen sollten Kundinnen motivieren, sogleich zu kaufen. Das größte Lob für ein Stück: „sportlich-elegant“.

100 Prozent Seide, Kaschmir, Wolle

Richter kann die wenigen großen Berliner Modellhäuser der Zeit noch alle aufzählen: Gehringer und Glupp, Staebe-Seger, Hermann Schwichtenberg, Hans W. Claussen. Heinz Oestergaard, später der berühmteste aus der Berliner Couturier-Clique der Nachkriegszeit, wollte explizit „Mode für Millionen“ machen. Uli Richter lässt eine kurze Pause entstehen und den Begriff sacken. Richtig, Oestergaard hat die grünen Uniformen für die deutschen Polizisten geschneidert und ist aus Berlin zu „Quelle“ nach München gegangen. „Mode für Millionen“ ist per Definition inklusiv, das Gegenteil von exklusiv. Richter wollte Exklusivität.

Und die fing ja schon bei der Stoffauswahl an, erzählt Susanne Gorke. „Es war immer 100 Prozent irgendwas. Was Teures.“ Seide, Kaschmir, Wolle. Die teuren Tech-Stoffe, die edlen Mischfasergewebe kamen erst in den 80ern auf den Markt. Damals waren die Modeschöpfer die Hundertprozentigen, und Uli Richter ist bis heute einer geblieben.

Uli Richter fragt: Lehrer, ich? Ich hasste Lehrer

Aber Richter hat nie vergessen, dass er eigentlich Verkäufer hatte werden wollen. Und so war er in der Mode so präzise wie ein Banker und in wirtschaftlichen Entscheidungen so kreativ wie ein Designer. Warum nicht etwa neben seiner Couture eine günstigere Linie industriell fertigen? Damit würde er untergehen, prophezeite man ihm. Doch 1962 legte er los, „noch vor Frankreich und Italien. Vor Yves Saint Laurent“. Richter hatte soeben Prêt-à-porter erfunden. Und dazu ein fertig dekoriertes Schaufenster mit Aufstellern, Postern und seinem Schriftzug, das die Händler komplett geliefert bekamen. „Auch die Sekretärin sollte meine Mode tragen können.“

Mode war ja bis dahin auf Anlässe hin geschneidert: Uli Richter hatte schon Après-Ski- und Après-Plage-Kleidung im Programm – und für den akuten Fall einer Kreuzfahrt die „Cruising-Collection“. Und nun Kostüme für die Frau im Büro. Karriere war ja auch nur ein weiterer Anlass, bessere Kleidung zu tragen.

Vieles hat Uli Richter zum ersten Mal gemacht: Marktforschung, Vertriebskonzepte mit Aufsteller, Prêt-à-porter. Als er seinen Salon 1982 schloss, der letzte der Berliner Garde, fand man, er solle sein Wissen weitergeben. Als Professor an der Universität der Künste. „Was sollte ich werden? Lehrer? Ich hasste Lehrer“, sagt Richter. Wie alle guten Autodidakten hatte er keine Vorstellung davon, was die Didakten den Tag so tun. Er wurde dennoch Professor, Fachgebiet „experimentelle Gestaltfindung“.

Danach rief Richter wieder seine lang gediente Mitarbeiterin an. Er wolle sich der Pflege seines Archivs widmen. Und Susanne Gorke beschriftete nun die Modelle und Dias, sie kannte ja alles: „100 Prozent Kaschmir“, „reinseidenes Crêpe de Chine“, „100 Prozent Mohair“. Vor zehn Jahren kaufte das Kunstgewerbemuseum an: 661 Kleider, 650 Accessoires, Schuhe, Hüte Taschen, 3000 Modefotografien und 11000 Entwurfszeichnungen. Aber es sind noch genügend Stapel übrig, die nun im Grunewald auf dem Tisch liegen. Ein Leben verstreut in Bildern. Negativ und Positiv. Susanne Gorke muss jetzt alles beieinanderhalten.

Die Hausdame kommt herein, Herr Richter könne jetzt essen. Der Sekretär meldet, dass der angefragte Fahrer gerade nicht gestört werden wolle. Und Richter platzt wieder die Hutschnur. „Ich habe mich mein Leben lang stören lassen“, sagt er. Diese Haltung mache auch seinen Erfolg aus. Warum haben heute die Leute, wenn man sie mal braucht, privat etwas vor?

Jeder, der mit ihm arbeitet, hätte es wissen können. Er ist umgeben von Hundertprozentigem. Man muss sich hier nur umsehen. Selbst die Bouquets auf den Tischen haben nur Blüten, kein Grün. Die Sträuße – 100 Prozent Rosen.

Da geht nebenan die Tür auf: Eine Dame, die übrigens auch bei ihm gelernt habe, hat soeben ein Kleid und eine seidene Bluse für die Ausstellung nachgeschneidert. Ein angehender Mantel hängt da auf einer Schneiderpuppe. „Probieren Sie den mal an“, sagt Richter.

Was tut der da? Für einige, sehr ausgesuchte, liebe Kundinnen, deren Namen ihm jetzt unter keinen Umständen über die Lippen kommen dürfen ...

Uli Richter entwirft noch immer. Uli Richter braucht den Stoff.

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