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Undercover. Shams Ul Haq flüchtete als Junge von Pakistan nach Deutschland, wo sein Onkel auf ihn wartete. Er ist im Westerwald aufgewachsen.

© Georg Moritz

Prügeleien, Kälte, Bürokratie: Der Mann, der sich als Flüchtling ausgab

Kaputte Jacke, Viertagebart, ein bisschen weinen – Shams Ul Haq weiß, wie man hierzulande als Flüchtling durchgeht.

Shams Ul Haq ist dann einfach zum Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem Lageso, in die Turmstraße, hat sich angestellt, und als er drankam, gesagt: „I need asylum.“

Eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge steht naturgemäß allen offen, aber nicht jeder schafft es, als Flüchtling durchzugehen wie Haq: „Du musst dich ein bisschen ärmlich kleiden, die Kleider am besten irgendwo vom Roten Kreuz oder aus dem Keller, kaputte Jacke, Viertagebart, du darfst nicht gut riechen. Ein bisschen weinen, ein bisschen Acting, sonst geht das gar nicht.“

So wurde aus Shams Ul Haq, deutscher Staatsbürger, wohnhaft in Offenbach am Main, der Asylbewerber Ahmad Wakar aus Pakistan, dann Ahmad Raja aus Indien, dann Jamal Ahmad, Flüchtling Nummer 54117443881.

Shams Ul Haq: der Mann, der in Tempelhof Ahmad Wakar war. Der Flüchtlingswallraff. Der vor 26 Jahren selbst als Asylbewerber aus Pakistan nach Bad Marienberg im Westerwald kam, als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling, zu Fuß, per Bus, 7993 Kilometer über den Landweg. Haq und zwei Cousins wurden damals von Schleuser zu Schleuser weitergereicht, „ein großes Abenteuer“, von Jhelum bis Frankfurt am Main, wo sein Onkel wartete. „Mein Vorteil war, dass ich minderjährig und alleine war“, sagt Haq, also durfte er bleiben. Für Haq, jetzt Anfang 40, mit moselfränkischem R, Urdu-R, ist manches ein Vorteil, was für andere ein Hindernis wäre.

Er spricht mit Ministern, interviewt Präsidenten

Er trägt Schiebermütze, Sakko, bequeme Schuhe, Typ reisender Journalist. Tatsächlich ist er ständig unterwegs, spricht mit Ministern, interviewt fürs pakistanische Fernsehen, aber auch für deutschsprachige Zeitungen Präsidenten, von jedem Treffen ein Foto, Benazir Bhutto, Hamid Karzai, Karl-Theodor zu Guttenberg. Haq redet mit Taliban, mit Militanten, mit Kämpfern und Soldaten, er macht keinen Unterschied. Hält den Leuten das Mikro vor die Nase, Frage, Antwort, Frage, Antwort, alles im Kasten, fällt kein Urteil, weiter geht es, auf zum nächsten Termin. Tagsüber begleitet er einen deutsch-pakistanischen Geschäftsmann zum FDP-Parteitag, abends schmuggelt er sich am Flughafen Tempelhof bei den Flüchtlingen rein.

Er ist der, der auf Fotos den anderen die Arme um die Schultern legt. Wer ihn kennenlernt, dem bietet er nach 30 Sekunden das Du an, nach zwei Minuten gesteht er einen peinlichen Fehler ein, nach drei ist die Facebookfreundschaft besiegelt. Klar, dass er das in Flüchtlingsheimen genauso macht: „Hallo, ich bin Ahmad, was geht ab?“

Haq kommt arglos rüber, jovial, er ist einer, der ziemlich gut über die Runden kommt. Sohn eines Straßenhändlers aus Kaschmir, Wassermelonenverkäufer. Schon als Kind hat er gelernt, den Leuten Sachen anzudrehen, um seine Familie zu ernähren. Verständlich, dass man ihm den Flüchtling so leicht abnimmt, noch dazu, wenn er sich recht unausgeschlafen und verhärmt gibt. Jedenfalls hat es Haq mühelos geschafft, unerkannt in die große deutsche Asylmaschinerie einzudringen: Er war in mehr als zehn Flüchtlingsheimen undercover unterwegs, erwischt wurde er nie. Erst wenn seine Artikel gedruckt werden, wenn er die Zustände anprangert, merken sie, wer da Tage und Wochen ein- und ausging, erst dann hängt sein Foto am Eingang, für die Pförtner als Steckbrief.

Nach 9/11 wird er Journalist - weil er sich ärgert

Warum macht er das? „Am Anfang, letztes Jahr im Sommer, als die Flüchtlinge angekommen sind“, erzählt Haq, „habe ich mich an den Frankfurter Hauptbahnhof gestellt und die Leute begrüßt, Pakistaner, Syrer, Afghanen, ganz egal, meine Karte ausgegeben, Kontakte geknüpft. Aus Menschlichkeit, aus Dankbarkeit für den deutschen Staat. Weil ich selbst mal Flüchtling war. Und weil ich immer gewusst habe, dass es, wenn so viele Menschen kommen, Probleme geben wird.“

Haq wollte sich dann die Zustände im Flüchtlingsheim in seiner Heimatstadt Offenbach mit eigenen Augen ansehen: „Ohne reinzugehen, kannst du nicht schreiben. Manche Journalisten berichten nur vom Hörensagen, nur mit Agenturmeldungen, das geht nicht. Du musst ein, zwei Wochen drin sein, dann weißt du erst, was wirklich abgeht.“ Zum Journalismus kommt Haq als Quereinsteiger, er hat jede Menge Talente und ist sich für nichts zu schade: Nach dem Hauptschulabschluss macht er eine Schweißerlehre, dann wird er Kaufhausdetektiv, Autohändler. Eine Zeit lang führt er zwei Postfilialen, er organisiert Partys, Hochzeiten. Journalist wird er erst nach dem 11. September: weil er sich ärgert, wie verkürzt, wie einseitig und klischeebehaftet sein Herkunftsland und seine Religion dargestellt werden. Und weil er vermitteln kann, Journalistenreisen organisieren, bei denen er deutsche Medienvertreter durch Pakistan führt, Iran, Afghanistan, mit den Leuten redet, übersetzt, auf Menschen zugeht.

"Gib mir dein Band!"

Das Gleiche macht er auch in seinem ersten Heim, in Offenbach, einem Übergangswohnheim, in das nur reinkann, wer aus einer Erstaufnahmeeinrichtung geschickt wird. „Eine Woche habe ich mir das von außen angeguckt, mit Leuten gequatscht. Viele Pakistaner kennengelernt. Die hatten keine Ausweise, sondern nur ein rotes Band am Handgelenk, da hab ich zu einem gesagt, gib mir dein Band, tu so, als hättest du es verloren.“

Damit kommt er ohne Probleme rein. Die Sicherheitsleute gucken nur aufs Band, immer abends. „Ich hab mich mit den Leuten angefreundet, wir sind untertags raus, essen gegangen, weil das Essen drin einfach ungenießbar war.“

Haq ist ein Meister der Verbrüderung, schnell findet er Leidensgenossen, Landsmänner, Kumpels, sobald er in einem Heim ankommt. Er trifft Flüchtlinge, die ihm Sachen erzählen, die sie selbst gehört oder gesehen haben; er findet Quellen, die er mit Schnaps, Zigaretten und mal auch ein bisschen Gras bei Laune hält. Blödelt sich durch, biedert sich an, saugt alles auf, was die anderen berichten. Und macht Schnappschüsse, Flüchtlingsalltag, abseits der Pressetermine, des geschönten Blicks. Selfies der Unbehaustheit. Haq hockend, auf Bierbänken, aus Plastikschalen schales Essen löffelnd, in Winterjacke mit Mütze und Schal. Vor unverputzten Wänden, in ungeheizten Räumen, dicht an dicht mit fremden Menschen, die nur das eine teilen: dass sie sich hier Schutz versprechen, ein besseres Leben. Und dass sie im großen Wartesaal der Asylbürokratie feststecken.

Die schlimmste Unterkunft fand er in Berlin

Die Wände hinter den Stockbetten sind vollgekritzelt von denen, die vor ihm hier waren und dann weitergezogen, Strichmännchen, Herzen, gekrakelte Träume, ihre Versuche, sich die Zeit zu vertreiben, ihre schlechten Witze, ihr Heimweh.

Immer im Wartemodus: „Der Aufenthalt ist bis zu einer anderen Entscheidung auf den Bezirk der zuständigen Aufnahmeeinrichtung beschränkt. Der Asylsuchende hat sich unverzüglich zu der für ihn zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu begeben.“

Die beste Unterkunft, die Haq besucht hat, war die in einem Landschulheim in Herschbach in Rheinland-Pfalz. Weniger als 200 Flüchtlinge seien dort untergebracht, „richtig vorbildlich“. Das Essen schmecke, es gebe einen Gebetsraum, die Sicherheitsmänner spielten mit den Kids Fußball und die Nachbarn und Anwohner kämen vorbei und träfen sich mit den Flüchtlingen.

Die schlimmste Unterkunft ist für Haq die im Tempelhofer Flughafengebäude. In der Notunterkunft in den Hangars sei die Stimmung unterirdisch, Menschen nicht würdig, sagt er. Keine Privatsphäre, zu acht in einer kleinen Box mit Stockbetten. Es ist laut, und weil das Licht die ganze Nacht brennt, können viele nicht schlafen.

"Überall wirst du beobachtet wie in einer Diktatur"

„In so einer Box hat man weniger Platz als im Knast“, erzählt Haq. Einer der Flüchtlinge dort habe ihm erzählt, er lebe wie ein Hund. Gassi gehen, essen, Gassi gehen. Sonst nichts, wie ein Hund eben. Einige Syrer seien deswegen schon in ihre zerstörte Heimat zurückgegangen, tausende blieben, fertig mit den Nerven und auf der Suche nach einer Beschäftigung. Der Geschäftsführer der Betreiberfirma weist darauf hin, dass es sich um eine Notunterkunft handelt, die „nicht unbedingt dafür geeignet ist, dass Leute hier länger als vier bis sechs Wochen untergebracht sind“. Manche Flüchtlinge seien jedoch „jetzt schon im siebten und achten Monat bei uns. Die lange Verweildauer verbunden mit einer unklaren Perspektive führt zu Unmut, Frustration und Depression.“ Shams Ul Haq sagt, der Ton der Sicherheitsleute in Tempelhof sei besonders aggressiv, auch die Kinder würden angeschrien. „Beim Essen gibt es Sicherheitsleute, wenn du duschen gehst, gibt es Sicherheitsleute, am Klo, bei der Kleiderkammer, überall wirst du beobachtet wie in einer Diktatur.“

Die Betreiberfirma entgegnet dem, die Securitys hätten eine „Extra-Schulung zum Thema interkulturelle Kompetenzen in der Flüchtlingsarbeit“ durchlaufen.

Nach seinem ersten Coup, dem Heim in Offenbach, veröffentlicht Shams Ul Haq seinen Bericht in der „Offenbach-Post“. Er will kein Geld dafür.

Plötzlich melden sich die großen Zeitungen bei ihm

Doch Haq merkt bald, dass er etwas kann, was den meisten deutschen Journalisten unmöglich ist: sich als Flüchtling auszugeben. Fingerabdrücke, Armband, das ganze Programm, Essensausgabe, Kleiderkammer, Taschengeld. Auf einmal melden sich die großen Zeitungen bei ihm, und er beginnt, als verdeckter Reporter Flüchtlingsheime in Deutschland und der Schweiz abzuklappern.

Im Erstaufnahmelager Stegskopf im Westerwald klettert er über den Zaun, um rein- und rauszukommen. Im Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen, in der Schweiz, macht er Videoaufnahmen, die zeigen sollen, wie ein Sicherheitsmann einen kranken Flüchtling tritt. Aus dem Erstaufnahmelager Eisenhüttenstadt in Brandenburg berichtet er über sexuellen Missbrauch. Und schließlich steht er auch im Berliner Lageso, in einer Turnhalle in Prenzlauer Berg und eben in dem Hangar von Tempelhof. In der Schweiz hat er eine Strafanzeige bekommen wegen mutmaßlich erschlichener staatlicher Leistungen. In Deutschland bisher nicht.

Flüchtlinge würden zu Terroristen gemacht, behauptet er

Haq hat sich auch mit den Falschen eingelassen. Er bereue beispielsweise die Zusammenarbeit mit der Jungen Freiheit. Die rechte Wochenzeitung hatte eine Undercover-Reportage aus Tempelhof von ihm veröffentlicht. Damals habe er nicht gewusst, wie rechts diese Zeitung sei. Über seinen Artikel habe er immer nur mit einem Redakteur gesprochen, der offenkundig aus Indien oder Bangladesh stamme. „Das war ein Fehler“, sagt Haq. Heute erkundige er sich genauer über seine Auftraggeber.

Mit der Zeit ändert sich auch Haqs Fokus. Immer weniger geht es ihm um Alltagsaspekte und immer mehr darum, dass sich unter die Flüchtlinge Islamisten gemischt haben könnten. Dass der Frust der Flüchtlinge von Islamisten ausgenützt zu werden drohe. Haqs Verdacht gipfelt in der These, in den Heimen würden aus Flüchtlingen Terroristen gemacht.

Anders als die Missstände bei Unterbringung und Verwaltung kann Haq seinen Terrorverdacht aber bislang nicht belegen, er stützt sich auf Berichte aus dritter Hand, aufs Hörensagen. Ein Syrer in Tempelhof habe ihm erzählt, es gebe dort Schläfer des IS; ein anderer am Lageso habe gesagt, es seien IS-Kämpfer als Flüchtlinge nach Berlin gekommen. Und er bemüht den Chef des Bundeskriminalamts Holger Münch als Zeugen: „BKA-Chef Münch“, erzählt Haq, „hat gesagt, dass er davon ausgeht, dass es 500 Schläfer in Flüchtlingsheimen gibt. Ich sage nicht 500, ich sage 5000.“

Tatsächlich haben Münch und das BKA nicht von Schläfern gesprochen, sondern von „Einzelhinweisen“ auf mutmaßliche Kämpfer oder Unterstützer terroristischer Organisationen im Ausland, die als Flüchtlinge nach Deutschland gelangt sein könnten. 373 solche Hinweise sind seit 2015 eingegangen. In den meisten Fällen konnte sich der Verdacht aber nicht bestätigen, nur in 41 Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Warum warnt Haq dann davor, dass es in Deutschland einen „Bürgerkrieg“ geben wird? Reichen verdreckte Dixie-Klos, das Fehlen von Privatsphäre, das sinnlose Warten im Flüchtlingsalltag für Skandalschlagzeilen nicht mehr aus? „Jetzt nicht mehr“, sagt Haq, „am Anfang ja, aber jetzt nicht mehr.“ Er hat jetzt einen Verlag gefunden und schreibt an einem Buch über Flüchtlingsheime. Arbeitstitel: „Die Brutstätte des Terrors“.

Pepe Egger

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