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Gabriele Baring ist seit 30 Jahren mit dem Historiker Arnulf Baring verheiratet.

© DAVIDS/ Sven Darmer

Schicksalsschläge und die Folgen: „Deutschland ist voller traumatisierter Menschen“

Ihren Mitmenschen gehe es nicht gut, sagt Gabriele Baring. Flucht, Vertreibung, Vergewaltigung: Die Traumata der Kriegsgenerationen vererben sich bis heute an die Nachfahren. Die Familientherapeutin will das ändern – mit ungewöhnlichen Mitteln. Unser Blendle-Tipp.

Für einen Moment umweht sie ein Hauch von Strenge. „Ich möchte nicht, dass gesprochen wird. Nur das, was ich vorgebe“, sagt Gabriele Baring. Um sie herum stehen mehrere Teilnehmer ihres Seminars, angeordnet nach einem unsichtbaren Muster, wie eine lebende Skulptur, die jederzeit ihre Form verändern kann. Baring zögert kurz, verschränkt die Arme. „Da gibt es ein Familiengeheimnis“, sagt sie zu einem der Männer, der am Rand sitzt. „Deshalb ist deine Mutter für dich emotional nicht erreichbar.“

Es ist ein Stück deutsche Vergangenheit, das die 62-Jährige hier bewältigen will. Im Erdgeschoss eines mit Efeu bewachsenen Hauses in Charlottenburg, ihrer Praxis, versucht die Familientherapeutin das zu lösen, was sich ihrer Meinung nach seit dem Zweiten Weltkrieg wie ein dunkler Schleier über die Deutschen legt. Nicht nur die Schuldgefühle, sondern auch das Leid der Kriegsgeneration und ihrer Kinder. „Wir können nur glücklich werden, wenn wir uns mit unseren Wurzeln auseinandersetzen“, sagt sie.

"Dieses Land ist voller traumatisierter Menschen"

Gabriele Baring leitet sogenannte Familienaufstellungen – eine therapeutische Methode, bei der Personen stellvertretend für die Angehörigen eines Klienten stehen. Durch ihre Position im Raum sollen sie Ordnungen, Verbindungen und Verstrickungen in dieser Familie sichtbar machen, sodass Probleme bearbeitet werden können. Eine umstrittene Praktik zwar, aber auch eine, die großen Zulauf erfährt. Vor allem Kriegsenkel kommen in Barings Praxis – die Nachkommen derer, die den Krieg als Kinder oder Jugendliche miterlebten.

Einige Tage vor dem Seminar empfängt Baring – blondiertes Haar, braun gebrannt von ihrem jüngsten Mallorca-Aufenthalt – in ihrer Berliner Altbauwohnung. Das Wohnzimmer ist eingerichtet mit Gemälden, Ohrensesseln und frischen Blumen. Baring nimmt auf einem weißen Sofa Platz, die Arme zu beiden Seiten über die Rückenlehne gelegt, die Beine übereinandergeschlagen. Ihr Blick ist fest. Sie sagt: „Den Deutschen geht es nicht gut. Dieses Land ist voller traumatisierter Menschen.“ Depressionen, Ängste, Bindungsprobleme, Kinderlosigkeit und Selbsthass – das seien die Symptome.

Barings Familie war vom Krieg gezeichnet

Dass Baring meint, das ändern zu können, ja sogar glaubt, dieses Trauma lösen zu können, liegt nicht nur an ihrer eigenen Betroffenheit, an ihrer eigenen, vom Krieg gezeichneten Familie. Es liegt auch an ihrem Mann. „Ohne ihn“, sagt Baring, „wäre meine Arbeit so nicht denkbar.“ Seit 30 Jahren ist sie nun mit Arnulf Baring verheiratet, einem der bekanntesten deutschen Historiker, der sich jahrzehntelang mit dem Schicksal seines Landes auseinandersetzte. Einem, der selbst als Kind den Krieg erlebte und in Dresden dem Feuersturm nur knapp entkam. „Die Einsichten, die ich in dieser langen Ehe gewonnen habe, prägen natürlich das, was ich tue“, sagt Baring. Nichts, was ihr ihre Klienten erzählten, könne sie ohne den historischen Kontext betrachten.

Der Trauerstau macht krank, sagt Baring

Wer die ganze Arbeit, das ganze Streben der Gabriele Baring kennenlernen will, bekommt von ihr zunächst einen Auftrag: „Lesen Sie mein Buch!“ Nur dann könne man ja auf Augenhöhe diskutieren. In „Die geheimen Ängste der Deutschen“ beschreibt sie etwa, dass die Deutschen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Leid der eigenen – nicht-jüdischen – Vorfahren lange abgelehnt hätten. „Wir Deutschen haben verinnerlicht, dass wir uns nur als Täter und nicht auch als Opfer der NS-Diktatur sehen und deshalb nicht trauern dürfen“, sagt sie. Die Deutschen litten unter einem kollektiven „Trauerstau“. Das führe zu Angst, mache krank.

An einem kalten Novembertag sitzen 14 Personen in Barings Praxis auf Holzstühlen, in ihren Händen große Teetassen. Sie blicken gespannt auf Baring, die in der Mitte des sanft beleuchteten Raumes Platz genommen hat. Die meisten von ihnen sind hier, weil sie ihre Familie aufstellen lassen und dabei persönliche Probleme in den Griff bekommen wollen. Ängste, Beziehungsstörungen, berufliche Schwierigkeiten – all das, was Baring als Symptome der deutschen Traumatisierung sieht...

Den vollständigen Text lesen Sie hier für nur 45 Cent im digitalen Kiosk Blendle.

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