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Frank Henkel will seit der Wahl den Berliner CDU-Vorsitz abgeben. Die CDU-Bezirksverordnete Jenna Behrends wirft ihm Sexismus vor. CDU-Bundesgeneralsekretär Peter Tauber kennt Behrends gut.

© dpa/AFP

Sexismus-Debatte in der CDU: Jenna Behrends - die Anstößige

Fassungslos schaut sie auf das, was sie ausgelöst hat: Seit Jenna Behrends öffentlichkeitswirksam Sexismus in der Berliner CDU angeprangerte, ist die Partei in Aufruhr. Um die Rolle der Frauen geht es nur noch am Rande.

Sie lässt sich auf die Bank fallen. Kaum hat das Gespräch in einem Park nahe der Auguststraße in Mitte begonnen, bricht ihre Stimme, die Hände zittern, die Augen werden feucht. Und doch weiß Jenna Behrends, 26 Jahre, und seit Freitag in ganz Deutschland bekannt, genau, was sie zu sagen hat. Selbst in dieser Situation, unter Druck von Feinden und Freunden, formuliert sie druckreif.

Ja, sagt sie, sie hätte es wissen müssen. Und doch habe sie die Wucht nicht kommen sehen. Es gehe doch längst nicht mehr um sie als Politikerin, sondern um viel mehr. Es geht jetzt um ihre Ehre, ihr Ansehen. Das ganze Land diskutiert ihr Intimleben. Obwohl sie doch nichts anderes getan habe, als Missstände anzuprangern. Fassungslos schaut Jenna Behrends auf das, was sie angestoßen hat. Manche werden sagen: angerichtet.

Eine bisher unbekannte Jurastudentin, alleinerziehend, im April 2015 in die Partei eingetreten und im November schon aussichtsreich für die Bezirksverordnetenversammlung Mitte nominiert und sogar gewählt, reißt die eigene Partei aus der Schockstarre einer schweren Niederlage hinein in eine schmutzige Debatte. Von der Parteibasis bis hin zum Regierungssprecher, von der neuen-alten Hoffnungsträgerin der Berliner CDU, Monika Grütters, bis hin zur Frauen-Union Mitte äußern sich alle. Selbst der Generalsekretär auf Bundesebene, Peter Tauber, ist Teil der Geschichte. Jener Tauber, der sich derzeit schon wegen Mobbing-Vorwürfen rechtfertigen muss.

Kein Wunder, Sexismusvorwürfe sind ein Stoff, der für unzählige Gerüchte taugt – aber vielleicht auch, um damit Politik zu machen.

"Warum mache ich das eigentlich?"

Dabei ist der erste Entwurf ihres Textes aus einem privaten Moment heraus entstanden. Sie kam spätabends von einer Parteisitzung heim, verabschiedete die Babysitterin, gab ihrer schlafenden Tochter noch einen Kuss. Dann fiel sie erschöpft auf die Couch, frustriert, verzweifelt. Nach einem Abend, an dem sie zotige Sprüche zu hören bekommen hatte. Wieder einmal. Sie fragte sich: Warum mache ich das eigentlich? Warum habe ich heute nicht einfach meine Tochter selbst ins Bett gebracht? Sie griff zum Laptop, schrieb ihre Gedanken auf, ihre Wut. Erst dann konnte sie ins Bett gehen, sagt sie.

Der Gag ist ja, dass sie wegen eines alten Rollenmodells vorverurteilt wird: Sie hat gegen die Benimmregel verstoßen, die Klappe halten zu sollen, wenn sie sich sexuell getönte Sprüche anhören muss. Allein dafür, dass sie das öffentlich gemacht hat, gibt es jetzt die Peitsche und gleich noch Kommentare zu ihrem "Ruf".

schreibt NutzerIn LesedieinternationalePresse

Jenna Behrends schrieb, dass ihr ständig der Vorwurf gemacht worden sei, sie habe sich nur hochgeschlafen. In diesem Zusammenhang soll Berlins Landeschef Frank Henkel einen Parteifreund gefragt haben: „Fickst du die?“ Außerdem soll Henkel, was dieser nicht dementiert, sie als „große süße Maus“ bezeichnet haben, nachdem er ihre Tochter zuerst mit den Worten „kleine süße Maus“ begrüßt habe. Rasant hat der Text, der im feministischen Online-Magazin „Edition F“ erschien, sich im Netz verbreitet – und als Nebeneffekt die Spaltlinien der Berliner CDU offenbart.

Ein wunder Punkt der CDU

Genau deshalb muss man an dieser Stelle einmal zurücktreten und sich fragen: Worum geht es hier? Vielleicht sind einfach nur die alten Machtkämpfe innerhalb der Berliner CDU aufgebrochen. Dann wäre es kein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet kurz nach dem desaströsen Abschneiden bei der Abgeordnetenhauswahl ihr gescheiterter Landeschef in eine Sexismusdebatte verwickelt wird.

Frank Henkel wäre dann nochmals eine Art Symbolfigur, und es ginge gar nicht um das, was er gesagt haben soll, sondern darum, wofür er steht: Für das Abschotten gegen Neuankömmlinge in der Partei, für das Verweigern einer Modernisierungsstrategie und für das Festhalten an alten Seilschaften. Nirgendwo besser als in der CDU Mitte kann man diesen Machtkampf schon seit vielen Jahren verfolgen. Und natürlich steht er auch stellvertretend für die gesamte Berliner CDU. Auf jeden Fall ist dieser Konflikt ein wunder Punkt – und er ist der Bundespartei bekannt.

Alle warten sie nun auf Henkels finalen Fall. Auch wenn es Behrends gar nicht allein um Henkel ging, wie sie sagt. Sondern um Strukturen, in denen sie sich als junge, gut aussehende Frau oft nicht ernstgenommen fühlte. Doch die Debatte wurde schnell zum Problem Henkel. Wird der Aufstand in Mitte den Abgang des ungeliebten Chefs beschleunigen? Oder war der Artikel überflüssig, weil Henkel nach der Wahl ohnehin erledigt ist?

Henkel geschehe Unrecht

Aus Kreisverbänden heißt es übereinstimmend: Man sei froh, sollte Henkel nun schneller gehen. Dafür aber sei der „halbseidene Angriff“, wie es einer aus Pankow ausdrückt, nicht nötig gewesen. In allen CDU-Gliederungen arbeite man daran, so versichern es CDU-Leute von Spandau bis Köpenick, dass Monika Grütters zügig den Landesvorsitz übernimmt. Und noch etwas sagen CDU-Aktive in der ganzen Stadt: Man verteidige Henkel ungern, aber in diesem Fall geschehe ihm Unrecht.

Kein Kreischef äußert sich offen, das tun aber Ehrenamtliche. Männer, Frauen, Senioren, Mittzwanziger. Mangelndes Demokratieverständnis werfen einige Behrends vor. Besonders deutlich wird Alexandra Loock-Nester, Anwältin, seit 27 Jahren in der CDU-Basis aktiv. Sie spricht von „Selbstüberschätzung“. Sehe man sich die Union an, gebe es viele junge Frauen, die nicht auf Behrends gewartet hätten, um ihre Rechte zu verteidigen. „Wenn die Berliner CDU wirklich so wäre, wie sie Frau Behrends schildert, dann wäre ein Austritt aus der Partei die logische Konsequenz.“

Auch Zana Ramadani gehört zu denen, die hinter dem Vorwurf einen Machtkampf vermuten. Ramadani ist vor Jahren als Femen-Aktivisten bekannt geworden, bevor sie in der CDU als Frauenrechtlerin aktiv wurde. Ramadani, die intern als Henkel-Kritikerin gilt, sagt: „Ich prangere zusammen mit vielen Frauen in der Partei regelmäßig Sexismus an. Dieser Fall aber ist ein schlechtes Beispiel, zumal Belege fehlen. Wir befürchten, es geht schlicht um Machtkämpfe.“

"Es ist in Wahrheit noch schlimmer"

Einer, der Behrends verteidigt, ist Florian Nöll. Auch er engagiert sich in der Mitte-CDU, kandidierte erfolglos in Moabit fürs Abgeordnetenhaus und ist als Chef des Bundesverbandes Deutscher Start-ups gut vernetzt. Nöll sagt, noch im Wahlkampf habe Behrends ihm erzählt, jenen Anti-Sexismus-Artikel veröffentlichen zu wollen. Behrends und er – in der CDU gelten sie als Vertraute. „Ich habe ihr nicht abgeraten“, sagt Nöll. Er und Behrends seien mögliche Konsequenzen durchgegangen. Die beiden hätten gewusst, der Brief würde Wellen schlagen. Er finde mutig, was Behrends getan habe. Nöll war einer der Ersten, der sie öffentlich unterstützte. Auf Facebook verbreitete er Behrends’ Artikel und kommentierte: „Und wisst ihr was? Es ist in Wahrheit noch schlimmer. Für die Partei ist es die Chance, sich einem ernsthaften Problem zu stellen.“ Sonst werde das nichts mehr mit „jünger und weiblicher“. Gleich nach der Wahlniederlage hatten die Christdemokraten darüber gesprochen, dass es in der Partei zu wenige Migranten gebe, zu wenige Ossis, zu wenige Frauen.

Und dann ist da noch Christina Schwarzer, Neuköllner CDU-Bundestagsabgeordnete, die deutlich formuliert: „Jenna Behrends hat recht.“ Auch wenn Art und Weise ihrer Kritik fragwürdig seien. Sie sei selbst 20 Jahre in der Partei, sagt Schwarzer, und habe unzählige Anspielungen dieser Art gehört. „Schlimm ist, wenn man das erste Mal von jemandem hört – und es dann gleich heißt, die Frau habe eine Affäre mit dem Generalsekretär.“

Behrends Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt

An dieser Stelle bewegt man sich schon im dichten Gestrüpp der Geschichte, aus der man den Gesamtüberblick nicht mehr wahren kann. Aber diese Details, die gegenseitigen Vorwürfe, sie gehören auch dazu und machen die Wahrheitsfindung umso schwerer.

Hört man sich die Argumente derer genau an, die die jeweiligen Seiten vertreten, dann gibt es, so viel lässt sich wohl sicher sagen, hohe Verständigungsbarrieren. Mehr noch: Es gibt einen jetzt wohl unüberbrückbaren Graben. Sandra Cegla, 37, beispielsweise, Vorsitzende der Frauen-Union in Mitte, ist in den letzten Tagen auch sehr grundsätzlich geworden. Sie hat sogar gemeinsam mit Ramadani eine Pressemitteilung aufgesetzt, in der sie eine Version schildert, bei der Behrends ihr persönlich von einer Affäre mit dem CDU-General Peter Tauber erzählt. Cegla sagt: „Hierzu kann ich eine Versicherung an Eides statt abgeben.“ Es ist ein Satz, der die Glaubwürdigkeit von Jenna Behrends in Frage stellt. Und die des CDU-Generalsekretärs gleich mit.

Dies ist eine Dimension der Geschichte, die auch ein juristisches Nachspiel haben könnte.

Auch im Gespräch mit dem Tagesspiegel bleibt Cegla bei ihrer Deutung. „Behrends geht sehr offensiv auf Männer zu, in einer sexuellen Art und Weise. Das Thema Sexismus wird jetzt von ihr instrumentalisiert.“

Ceglas Interpretation halten andere für falsch. Und so legten die beiden Funktionärinnen Anja Pfeffermann und Katharina Becker aus Solidarität mit Behrends ihre Ämter in der Frauen-Union nieder. Die Vorsitzende der Berliner Frauen-Union, Edeltraut Töpfer, versprach, eine Arbeitsgruppe werde sich mit Sexismus in der Partei befassen.

Peter Tauber ist ein Teil der Geschichte

Jenna Behrends hat gleich zwei Debatten losgetreten, gewollt oder ungewollt: Die Sexismusdebatte und die Parteidebatte. Aber ob hier einer den anderen instrumentalisiert – man weiß es nicht. Und man muss wohl auch sehr vorsichtig sein mit schnellen Inszenierungstheorien, die nicht in Mitte bei Jenna Behrends, sondern im Adenauer-Haus der Bundes-CDU angesiedelt sein sollen. Auch weil sich Behrends und Tauber mindestens ganz gut kennen. Manchmal aber ist auch die politische Welt gar kein so tiefer Abgrund, gar nicht so strategisch, wie man sich das als Außenstehender vorstellt, sondern einfach nur menschlich; mit allen Ausprägungen.

Peter Tauber jedenfalls ist ein Teil dieser Geschichte, gewollt oder ungewollt. Wohlmeindende Parteifreunde sagen, er sei dort hinein offenbar als „Kollateralschaden“ geraten. Der CDU-Generalsekretär kennt Behrends schon länger. Beide sind sich einst über Facebook begegnet. Der junge CDU-General fand die junge Frau interessant, und nach einem ersten Kaffee-Treffen sympathisierten beide nicht nur politisch. Tauber hat das selber bestätigt, als er danach gefragt wurde: „Jenna Behrends und ich haben uns kennengelernt und auch geflirtet. Aber es war für mich recht schnell klar, dass es rein freundschaftlich bleibt.“

Mehr will er dazu öffentlich nicht mehr sagen, weil es ihm eigentlich schon viel zu viel Privates ist. Jenna Behrends bestätigt Taubers Version.

Grütters will die CDU modernisieren

Zuletzt gesehen haben sie sich am 21. September, als Behrends’ Ortsverein Bernauer Straße zur Diskussion ins Adenauer-Haus kam. Hauptthema war das gerade zwei Tage alte Berliner Wahlergebnis. Es ging eine Stunde lang um den Anteil von Merkels Flüchtlingspolitik an dem Desaster und um den Beitrag, den die Landes-CDU zu verantworten hatte. Auf seiner Facebook-Seite hat der Ortsverein danach ein Gruppenfoto mit General verbreitet und ein kurzes Video ohne Ton, das Tauber am Konferenztisch zeigt zwischen Behrends und Ortsverbandschef Florian Schwanhäußer. Von Sexismus war keine Rede.

In der Berliner CDU trauen sie dem Adenauer-Haus aber schon zu, dass es Einfluss nehmen könnte, wenn es denn wollte, auf die Belange innerhalb der Berliner Partei. Schließlich gibt es da ja noch Monika Grütters, Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, und mal wieder Hoffnungsträgerin einer neuen Berliner CDU. Für sie liegen in der Sexismus-Schlacht Chancen und Risiken gleichermaßen. Die Stellvertreterin von Landesparteichef Henkel hat sich – mehr gedrängt als freiwillig – bereit erklärt, im kommenden Jahr den Berliner Landesverband zu übernehmen. Dass sie die Berliner CDU modernisieren will, machte Grütters am Wochenende mit diesen Worten deutlich: Sexismus, sagte sie, habe „in einer modernen Großstadtpartei keinen Platz“. Es sollte ihr also gerade recht sein, wenn die Debatte um den Modernisierungskurs schon jetzt, ausgelöst durch die Vorwürfe der jungen Abgeordneten aus Mitte, in Gang käme.

Gleichzeitig dürfte es aber nicht in Grütters’ Interesse liegen, dass sich ihre CDU nach Wahldebakel und Sexismusvorwürfen so zerstreitet, dass Frank Henkel früher als geplant aus dem Amt ausscheidet und ihr einen Scherbenhaufen hinterlässt. Eine Neuausrichtung würde für sie dann ungleich schwieriger.

Über Sexismus sprechen

Schon jetzt gibt es auch Leute in der Berliner CDU, die sagen, man hätte das Thema anders einfangen müssen. Niemals hätte man eine womöglich sinnvolle übergreifende Debatte auf Sexismus reduzieren dürfen. Aber dieser Gedankengang setzte voraus, dass es überhaupt eine andere Intention gegeben hätte, als die, das Verhalten einiger CDU-Herren anzuprangern

Hier, in diesem Park, ist Behrends normalerweise mit ihrer dreijährigen Tochter, und die springt am liebsten auf dem Trampolin. Schnell in die Höhe, das war der Weg von Jenna Behrends in den anderthalb Jahren, seit sie in die CDU eingetreten ist. Andere schuften jahrelang, bis sie es endlich auf einen sicheren Listenplatz schaffen. Schnell wieder runter, das könnte nun folgen.

Die Sätze „Fickst du die?“ und „große süße Maus“ – für Jenna Behrends ist es wohl eine Frage des Prinzips, sich von älteren Herren nicht auf den Status eines niedlichen Was-auch-immer reduzieren zu lassen. Behrends erzählt, Henkels Lebensgefährtin Kathrin Bernikas habe unmittelbar danebengestanden, als der Spruch fiel. Für einen schmierigen Anmach-Versuch spricht das nicht. Behrends sagt: „Wegen so eines Spruchs weine ich bestimmt nicht abends auf der Couch.“ Jetzt, da sich die Berliner CDU neu aufstellen muss, müsse über Sexismus gesprochen werden, sagt sie. Und behält die Fassung.

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