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Der designierte US-Präsident Donald Trump hielt am Mittwoch eine versöhnliche erste Rede und rief die Bürger zum Zusammenhalt auf.

© REUTERS

US-Wahl: Zeigt sich nun der wahre Donald Trump?

Als Witzfigur, Rüpel und Irrer wurde er abgetan, Präsident wurde er trotzdem. Prompt gibt sich Donald Trump präsidial. Eine Reportage vom Tag danach.

Manhattan sieht rot in dieser Nacht. Die Anhänger sammeln sich im Saal des Hilton-Hotels in New York, jeder trägt hier eine rote Baseballmütze. Die Stimmung ist ausgelassen, die Gäste johlen, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter, lachen, umarmen sich. Nur noch ein paar Minuten, dann wird das Unglaubliche geschehen: Donald Trump betritt als designierter amerikanischer Präsident die Bühne, und seine Anhänger können ihr Glück kaum fassen. „Make America Great Again“, steht auf ihren roten Kappen.

Es ist etwa halb drei morgens, als Hillary Clinton einsieht, dass alles Bangen und Hoffen keinen Sinn mehr hat. Sie ruft Trump an und gesteht ihre Niederlage ein. Seine erste Rede nach der Wahl wird zugleich auch die untypischste Rede seines Lebens. Er lobt Clinton, er verspricht, ein Präsident für alle Amerikaner zu sein. „Ich liebe dieses Land.“

Fast demütig wirkt er, als er neue große Zeiten für die Vereinigten Staaten ankündigt und seinem Team dankt. Die 59 Millionen Amerikaner, die ihn nicht gewählt haben, bittet er um Mithilfe bei den Bemühungen, die verfeindeten Lager wieder zusammenzuführen. In seiner „Bewegung“ fänden Menschen aller Hautfarben, Religionen und Ansichten einen Platz – ein bemerkenswerter Satz angesichts seiner Spalter-Rhetorik im Wahlkampf. Ist das der neue Trump? Oder der Wolf im Schafspelz?

"Ein Urschrei der Unzufriedenen"

„Er hat die Vergessenen motiviert“, sagt Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway. Eine vielleicht etwas pathetische Formulierung, aber im Wesentlichen stimmt es. Es sind Leute, die sich von Washington verraten fühlen und von Trump wollen, dass er die nach China abgewanderten Fabrikjobs wiederbringt.

David Axelrod, ein ehemaliger Berater des scheidenden Präsidenten Barack Obama, spricht von einem „Urschrei“ der Unzufriedenen. „Niemals zuvor war die Wut so groß“, analysiert Michael O’Hanlon von der Brookings Institution in Washington. Er selbst habe bisher auch nie wahrgenommen, wie sehr die amerikanische Mittelschicht unter der Globalisierung, der Macht der Konzerne und unter der Abgehobenheit Washingtons leide. „Bis Trump mich dazu gezwungen hat, ob ich es will oder nicht.“

Trumps Anhänger sind auch anderen Intellektuellen wie dem Wirtschafts-Nobelpreisträger und „New York Times“-Kolumnist Paul Krugman ein Rätsel. „Wir haben das Land, in dem wir leben, nicht verstanden“, schreibt Krugman noch in der Nacht in der Online-Ausgabe des Blattes. Er habe nicht glauben wollen, dass seine Mitbürger einen wie Trump ins Weiße Haus schicken würden.

Hillary Clinton gestand ihre Niederlage gegen 3 Uhr morgens ein und gratulierte Trump zum Wahlsieg.
Hillary Clinton gestand ihre Niederlage gegen 3 Uhr morgens ein und gratulierte Trump zum Wahlsieg.

© AFP

Aber Krugman hat sich getäuscht, und vielen anderen geht es ebenso. Auf Twitter wird gemeldet, die Internetseite der kanadischen Einwanderungsbehörde sei wegen Überlastung zusammengebrochen. Auch Neuseeland meldet ein verstärktes Interesse einwanderungswilliger US-Bürger. Auf der anderen Seite stehen die jubelnden Gewinner, und sie gleichen den Brexit-Siegern vom Juni. Der konservative Brite Benjamin Harris-Quinney beschreibt sie in einem Interview mit dem Trump-nahen Nachrichtenportal Lifezette als die „patriotischen und konservativen Stimmen der Normalbürger, die lange unterdrückt wurden“.

Nicht nur Leute wie Krugman und Clinton haben verloren, auch Barack Obama. Der scheidende Präsident hatte sich für seine frühere Außenministerin eingesetzt, auch seine Frau Michelle hielt Reden auf Clinton-Kundgebungen. „Unqualifiziert“ für das höchste Staatsamt sei Trump, dem auch mit den Codes für den Atomwaffeneinsatz nicht zu trauen sei, warnte der Präsident im Wahlkampf. Obama werde als einer der schlechtesten Präsidenten aller Zeiten in die Geschichte eingehen, giftete Trump zurück. Über Jahre jagte der heutige Wahlsieger sogar dem Verdacht nach, dass Obama außerhalb der USA geboren wurde und deshalb illegal im Amt sei.

Obama will anständig aus dem Amt gehen

Jetzt müssen sich beide Männer zumindest für eine Weile zusammenraufen: An diesem Donnerstag will sich Obama mit Trump treffen, um mit dem verhassten Nachfolger die Übergabe der Amtsgeschäfte zu besprechen. Der scheidende Präsident lässt keinen Zweifel daran, dass er sich einen anderen Wahlausgang gewünscht hätte. „Ziemlich große Differenzen“ trennten ihn von Trump, sagt er am Tag nach der Wahl im Weißen Haus.

Doch nun sei für ihn etwas anderes wichtig: Er will eine glatte Machtübergabe organisieren, er will nicht, dass im Weißen Haus Computer beschädigt und Wände beschmiert werden, wie es bei der Stabübergabe von Clintons Mann Bill an George W. Bush der Fall war. Obama will anständig aus dem Amt gehen.

Barack Obama kündigte an bei der Amtsübergabe eng mit Trump zusammenarbeiten zu wollen. Am Donnerstag soll es ein erstes Treffen geben.
Barack Obama kündigte an bei der Amtsübergabe eng mit Trump zusammenarbeiten zu wollen. Am Donnerstag soll es ein erstes Treffen geben.

© dpa

Außerdem liegt ihm viel daran, die Gräben zwischen den Amerikanern nach der Wahl nicht noch tiefer werden zu lassen. „Wir sind jetzt alle in einer Mannschaft“, sagt Obama – und fügt einen Satz hinzu, den das Land in den vergangenen Monaten vielleicht zu selten zu hören bekam: „Wir sind nicht zu allererst Demokraten oder Republikaner“, sagt der Noch-Präsident. „Zuallererst sind wir Amerikaner.“

Dass er das einmal würde betonen müssen, und dass Trump tatsächlich der Aufstieg vom Unternehmer und Fernsehstar zum mächtigsten Mann gelingen würde, damit hatte auch Obama nicht gerechnet: Als Donald Trump im Juni 2015 auf einer vergoldeten Rolltreppe in die Lobby des Trump-Towers von New York hinabgleitet und seine Kandidatur bekannt gibt, wird er noch als Witzfigur abgetan. Schon bei diesem ersten Auftritt registrieren die Journalisten, dass der Milliardär dazu neigt, seine eigene Popularität zu überschätzen. Im Trump-Tower spricht er von Massen begeisterter Anhänger – dabei hatten Mitarbeiter die Stunden vor dem großen Auftritt damit verbracht, Touristen von der Straße zu holen, um mit ihnen die Halle zu füllen, wie die „Washington Post“ notiert.

Trumps Lieblingssatz: "Ich bin wirklich sehr reich"

Trump kennt keine Selbstzweifel. „Ich bin wirklich sehr reich“, lautet einer seiner Lieblingssätze. Die Politprofis in Washington nehmen den ungehobelten Kandidaten, der im Wahlkampfflugzeug Fast Food verdrück, nicht ernst. Doch der Mann, der noch nie in seinem Leben ein politisches Amt bekleidete, lässt alle republikanischen Präsidentschaftsbewerber hinter sich, darunter der Präsidenten-Sohn Jeb Bush und der konservative Senator Ted Cruz.

Ohne Scham – und, wie Kritiker sagen, ohne ein durchdachtes Programm – hetzt Trump gegen mexikanische Einwanderer, gegen die „Verlierer“ in Washington, gegen China, gegen die Europäer und alle anderen, die seiner Meinung nach Amerika schaden wollen. Er dagegen will „Amerika wieder groß machen“, wie sein Wahlmotto auf den Baseballkappen verspricht. Schon in den Vorjahren hat Trump mit dem Gedanken an eine Kandidatur gespielt, hat er den etablierten Politikern gesagt, was sie tun oder lassen müssten. Sie haben nicht auf ihn gehört. Jetzt muss er selbst ran.

Schöne Aussichten. Vom Empire State Building blickt Donald Trump auf Amerika und die Welt herab. Am Ende einer langen Wahlnacht ist er Amerikas designierter Präsident. Seine Anhänger können ihr Glück kaum fassen. Die Regierungschefs anderer Länder bereiten sich auf das Schlimmste vor: dass Trump hält, was er im Wahlkampf versprochen hat.
Schöne Aussichten. Vom Empire State Building blickt Donald Trump auf Amerika und die Welt herab. Am Ende einer langen Wahlnacht ist er Amerikas designierter Präsident. Seine Anhänger können ihr Glück kaum fassen. Die Regierungschefs anderer Länder bereiten sich auf das Schlimmste vor: dass Trump hält, was er im Wahlkampf versprochen hat.

© imago/ZUMA Press

Obwohl Trump aus einer reichen, ursprünglich aus Deutschland stammenden, Familie kommt und als junger Mann mit einem Kredit seines Vaters von einer Million Dollar anfing, präsentiert er sich den amerikanischen Durchschnittsbürgern als einer von ihnen. Sein Wahlkampf ist ein wüstes Drunter und Drüber, doch Trumps Beliebtheit bei der konservativen Basis schadet das nicht. Die Presse vergleicht Trump mit Silvio Berlusconi, der Italien neun Jahre lang regierte und seinen Landsleuten suggerierte, dass er sie an seinem märchenhaften Erfolg teilhaben lassen werde.
Eine wichtige Eigenschaft hat der erklärte Nicht-Politiker Trump mit Profis wie Berlusconi und seiner Rivalin Clinton gemeinsam: „Er ist jemand, der alles daran setzt, zu bekommen, was er haben will“, sagt Trump-Biograph Michael d’Antonio. All die wilden Thesen und Verschwörungstheorien, die Trump von sich gibt, sind nach d’Antonios Urteil in einem CNN-Interview nicht der Ausdruck einer wirren Gedankenwelt, sondern das Resultat eines Plans.

In diesem Plan spielt Trump natürlich die Hauptrolle. Seine Eitelkeit und Ehrgeiz treiben ihn, der Kandidat verfolgt im Wahlkampf jeden Nachrichtensender, um zu sehen, was über ihn berichtet wird. Mitten in der Nacht setzt er die merkwürdigsten Twitter-Mitteilungen über politische Gegner ab.

Clinton bekam mehr Wählerstimmen als Trump

Trump verstößt auch gegen andere Regeln des politischen Amerika, ihm unterlaufen Fehler, die für andere Kandidaten das sichere Aus bedeutet hätten. Einwanderer aus Mexiko nennt er potenzielle Vergewaltiger, er brüstet sich damit, Frauen ungefragt zwischen die Beine zu greifen, er wütet gegen die eigene Partei. Doch seine Anhänger bleiben ihm treu, auch weil viele den Gedanken einer weiteren Clinton-Präsidentschaft nicht ertragen können. „Sperrt sie ein“, riefen sie im Chor bei Trump-Veranstaltungen.

Große Verlierer des Abends sind auch die Demoskopen. Mit einem Vorsprung von bis zu vier Prozentpunkten ist Clinton in den Wahltag gegangen, die Experten sagten einen klaren Sieg voraus. Tatsächlich gewinnt Clinton mehr Wählerstimmen – mit knapp 59,1 Millionen kommt sie auf etwa 100 000 mehr als ihr Rivale.

Doch es reicht nicht. Sie hat zwar 49 Prozent der weiblichen Wählerstimmen, aber Trump liegt mit 47 Prozent nur knapp dahinter. Und er kann einen Bundesstaat nach dem anderen für sich entscheiden, und darauf kommt es an. Sogar Wisconsin, das seit 1988 nicht mehr republikanisch gewählt hat, gewinnt er.

Nach Mitternacht werden die Botschaften aus dem Lagezentrum Trumps immer optimistischer. „Der Sieg ist nahe“, schreibt seine Beraterin Conway in einer Mail an die Anhänger. Ein Kommentator beim Sender Fox News lobt, Trump habe es geschafft, die weißen Amerikaner zu einen – gegen die demographische Entwicklung, die das Land verändere und Minderheiten stärker werden lasse. Das Ausland schaut mit Entsetzen zu. „Vor unseren Augen bricht eine Welt zusammen“, twittert der französische Botschafter Gerard Araud. Trump steht für den Rückzug der USA vom Beistandsversprechen der NATO, von Handelsverträgen, vom Klimaschutzabkommen von Paris. Ihm sei schwindelig, fügt Araud noch hinzu, bevor er seine Kommentare sicherheitshalber wieder löscht. Schließlich wird der Diplomat schon bald mit der Trump-Regierung arbeiten müssen.

Am Ende seiner ersten Rede als designierter Präsident erinnert der neue Trump dann doch wieder an den alten: Es könne ja sein, sagt der Gewinner breit grinsend, dass die Amerikaner möglicherweise überhaupt nicht genug bekommen können von ihm: Vielleicht werde mancher noch in acht Jahren stolz sein auf ihn. Acht Jahre – das wäre nach einer Wiederwahl im Jahr 2020.

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