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Die Bilder selbst geben keinen Aufschluss über die Ursache. Das tödliche Gedränge bei der Loveparade in Duisburg.

© dpa

Loveparade-Tragödie: 22 Stunden Video

Wer Recht hat, wer schuld ist, das kann nur schwer beurteilt werden. Die Veranstalter der Loveparade stellen Bildmaterial in das Internet. Und wollen etwas beweisen.

Von Anna Sauerbrey

Akten, Dateien, hunderte Zeugen, stundenweise Videomaterial. Die Materialflut, die das Unglück bei der Loveparade in Duisburg vor fünf Wochen erzeugt hat, ist enorm. Nun kann sich jeder Internetnutzer ein Bild von der Masse des Materials machen, mit der auch die Duisburger Staatsanwaltschaft zu kämpfen hat: Die Veranstaltungsgesellschaft Lopavent hat gestern 22 Stunden Videomaterial ins Internet gestellt. Zur Begründung für diesen Schritt heißt es in einer Pressemitteilung: „Die Lopavent als Veranstalter sieht sich mit in der moralischen Verantwortung für dieses tragische Unglück und will einen Beitrag zur Aufklärung der Ereignisse an diesem Tag leisten.“ Bei den Videos handelt es sich um Aufzeichnungen, die auch zu dem gehören, was die Staatsanwaltschaft Duisburg beschlagnahmt hat. Erkenntnisse gebe es aber noch keine, sagte Sprecher Rolf Haferkamp. Die Veröffentlichung des Materials sei zwar „nicht glücklich“, aber rechtmäßig. Zu befürchten sei zwar, dass Zeugen durch das Material beeinflusst würden. „Rechtliche Schritte werden wir aber nicht unternehmen“, sagte Haferkamp.

Zu sehen ist auf der Webseite, die die Lopavent eigens unter einer neuen Adresse eingerichtet hat, zunächst ein etwa sechs Minuten langer Zusammenschnitt. Die Bilder stammen von vier der zahlreichen auf dem Geländer verteilten Überwachungskameras. Die Kameras sollten auch dem sogenannten CrowdManager helfen, der die Besucherströme zum und vom Gelände durch das Öffnen und Schließen von Zugangsschleusen regulierte. Der Film zeigt Bilder der Personenströme, aufgenommen durch die Kameras 13, 14, 15 und 16. Die Kameras zeigen verschiedene Perspektiven auf die T-Kreuzung zwischen dem Tunnel, durch den die Besucher von Ost und West kamen und gingen, und der Rampe, die vom Tunnel auf das eigentliche Veranstaltungsgelände führte. Am unteren Ende dieser Rampe bildete sich nach bisherigen Erkenntnissen das verhängnisvolle Gedränge, in dem 21 Menschen zu Tode kamen. Der Darstellung in dem Lopavent-Film zufolge bildeten Polizisten um 15.50 Uhr eine Kette, die den Zustrom von Westen abriegelte. Auf den Videos ist zu sehen, wie sich hinter der Polizeikette Menschen stauen. Gleichzeitig, so die Lopavent, wurde auch nach Osten der Zustrom für einige Minuten abgeriegelt, Aufnahmen aus dem Tunnel zeigen auch hier einen Stau. Eine dritte Polizeikette sei gegen 16 Uhr auch auf der Hauptrampe gebildet worden. Auch hier, so zeigt ein Video, stauten sich die Menschen. Auf der T-Kreuzung zwischen den drei Polizeiketten sieht es hingegen für kurze Zeit leer aus. Um 16.15 Uhr wird die Polizeikette nach Osten aufgelöst, die Besucher strömen in den Tunnel und stauen sich vor den beiden anderen Polizeiketten. Wenige Minuten später wird die westliche Sperre und dann die Kette auf der Rampe aufgelöst. Die Besucher treffen aufeinander. Gegen 16.40 Uhr wurden nach bisherigen Erkenntnissen die ersten Opfer erdrückt.

Mit der Veröffentlichung des Materials zieht Rainer Schaller in der Debatte um die Verantwortung für das Unglück auf der Loveparade wieder mit der Duisburger Polizei gleich. Innenminister Ralf Jäger hatte in den vergangenen Wochen Vorwürfe gegen die Polizei zurückgewiesen und betont, die Polizei sei auf dem Veranstaltungsgelände nicht zuständig gewesen. Mit der Veröffentlichung versucht die Lopavent offenbar, Fehler der Polizei zu belegen.

Die Polizei Duisburg war am Montag für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Ein Sprecher des Innenministeriums in Düsseldorf sagte zu den Aufnahmen, man wolle der Sitzung des Innenausschusses des NRW-Landtags am kommenden Donnerstag nicht vorgreifen.

Ob und inwieweit das Material neue Erkenntnisse birgt, ist bislang schwer zu beurteilen. Wissenschaftler der Bergischen Universität Wuppertal und des Forschungszentrums Jülich, die die Besucherströme auf der Loveparade untersuchen, sichten das Material. Ihr Ziel sei es aber nicht, Verantwortlichkeiten zu ermitteln, sondern Erkenntnisse über die Dynamik von Menschenmassen zu gewinnen, sagte Armin Seyfried, einer der beteiligten Wissenschaftler. Generell sei es zwar für das Forschungsvorhaben wichtig, über zusätzliches Videomaterial zu verfügen. Was genau passiert sei, lasse sich aber nur in der Zusammenschau mit weiteren Informationen, etwa über die Kommunikationsabläufe auf der Veranstaltung, ermitteln. Und dazu brauche man vor allem noch eines: viel Zeit.

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