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Meditation

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Drogenwahn: Aus der Rausch

30.000 junge Israelis reisen jedes Jahr nach dem Militärdienst nach Indien und betäuben sich mit Drogen. Oft geraten sie dabei in psychotische Zustände. Suchdienste bringen sie dann nach Hause - in eine Klinik unter Palmen.

Wenn bei Hilik Magnus in der israelischen Negev-Wüste das Handy klingelt, rennt wieder einer nackt durch die Straßen Indiens oder wirft seine Ausweispapiere in den Ganges. Junge Israelis wissen nicht mehr, wer sie sind – und ihre Eltern sind verzweifelt und ratlos, wissen nicht, wie sie ihnen helfen sollen. So rufen sie bei Magnus an. Er ist ihre letzte Rettung.

Der 60-jährige Magnus ist Abenteurer und ehemaliger Agent des israelischen Geheimdienstes. Kein Arzt – doch er weiß, wie er junge Leute im Drogenwahn beruhigen kann, ohne ihnen noch mehr Drogen zu geben, die aus ihnen nur „seelische Zombies“ machen würden, wie er sagt. „Sie sind ausgeflippt, aber nicht geisteskrank. Wenn man sie richtig behandelt, werden sie wieder klar im Kopf.“

Was für die jungen Leute als Indienurlaub beginnt, wird oft zu einem unkontrollierten, verhängnisvollen Drogentrip. Schon morgens kreisen die Joints, ab Mittag gibt es LSD. Drogen sind billig in Indien, und alle nehmen welche. 30 000 junge Israelis reisen jedes Jahr nach Indien, die meisten kommen direkt nach ihrem Militärdienst hierher. Drei Jahre lang haben sie da Befehle befolgt, pariert, funktioniert, danach scheinen sie sich wie mit Gewalt losreißen zu wollen, um sich in ihre neue Freiheit zu stürzen und zu vergessen, was sie in der Zeit bei der Armee erlebt haben.

Bis zu 90 Prozent von ihnen werden mindestens eine Droge konsumieren, etwa 2000 von ihnen brechen irgendwann mental zusammen. Sie können mit den Drogen nicht umgehen, geraten in psychotische Zustände, essen nichts mehr, verlieren sich auf der vermeintlichen Reise zum Mittelpunkt ihres Selbst.

Viele in Israel können von Freunden erzählen, denen das passiert ist. Seit Jahren kämpft die israelische Regierung gegen dieses Problem, doch vom Drogenkonsum abhalten kann sie die jungen Leute nicht.

Daher ist eine der wichtigsten Personen in diesem Kampf Hilik Magnus. Er wohnt in Israel mit seiner Frau, im südlichen Deqel, gleich neben dem Gazastreifen. Sein Büro ist ein alter Zugwaggon, dahinter türmen sich die Dünen, auf denen sein Sohn Snowboard fährt.

Es sind meist Privatpersonen, die ihm und seinem Such- und Rettungsdienst den Auftrag erteilen, ihre Kinder aus dem Rausch im fremden Land zu befreien. Seit 17 Jahren reist Magnus mit langem Bart und Wanderstock immer wieder an den Strand der westindischen Provinz Goa oder in die Wälder von Manali und sucht dort nach den verirrten jungen Leuten, die er zurück in ihre Heimat bringen soll.

„So ein Trip ist schick, ist Mode“, sagt Chaim Mehl von der israelischen Antidrogenbehörde. „Viele Israelis kommen nach Indien und sehen nicht einmal das Land. Sie bleiben in einem der Gästehäuser, sitzen zusammen, rauchen Gras.“

Reisen lieber in eine Fantasiewelt, weil sie vor der realen fliehen wollen.

„Als Soldaten haben sie schlimme Dinge gesehen, Freunde von ihnen sind gestorben, das wollen sie vergessen und flüchten sich in Drogen, weil sie sich dann frei und besser fühlen“, sagt Mehl.

Die jungen Israelis experimentieren mit allem: mit halluzinogenen Substanzen wie Pilzen oder LSD, dazu Ecstasy, Kokain, Opium. Nur Heroin ist verpönt.

Die meisten rauchen Marihuana und Haschisch. Doch in Indien heißt das Hasch der Hindus „Charras“ und ist zwanzigmal stärker als das, was man in Israel kennt. „Es ist ein Unterschied, ob man ein Bier oder fünfzehn trinkt“, sagt Chaim Mehl. Der Wirkstoffgehalt von Charras liege bei bis zu 20 Prozent, in Israel finde man nur Haschisch mit vier bis sieben Prozent.

„Das ist nicht nur eine Zigarette mit ein bisschen Gras“, sagt Mehl, „das ist eine starke Droge, die zudem den ganzen Tag konsumiert wird.“ Für einige ist das zu viel. Sie brechen zusammen, halluzinieren, verlieren in jeder Beziehung die Orientierung.

Die israelische Antidrogenbehörde hat daher vor sechs Jahren sogenannte „warme Häuser“ in Indien eingerichtet. Eine Anlaufstelle für alle, die bereits Drogenprobleme haben oder besorgt sind, dass Freunde welche bekommen könnten. Aber Informationen oder Beratung gibt es dort nicht. „Wir haben da keine einzige Aufklärungsbroschüre liegen“, sagt Chaim Mehl, „keiner hebt mahnend den Zeigefinger.“ Der Psychiater glaubt nicht an Prävention, nur an Schadensbegrenzung: „Wir verteilen Zettel, auf denen steht, was zu tun ist, wenn ein Freund im Drogenwahn ist. Vielleicht schreckt das einige ab“, sagt Mehl.

Wenn der Zettel nicht hilft, kommt Hilik Magnus, der mit der Antidrogenbehörde zusammenarbeitet.

Magnus kennt all die Facetten einer Psychose. „Die Leute reden wie ein Wasserfall, laufen herum und dirigieren andere“, beschreibt er die Anzeichen. „Sie halten sich für den Messias, für Gott, für einen König.“ Magnus nennt sie „Megalomaniacs“.

Manche von ihnen glauben, sie seien Millionäre, und werfen mit Geld um sich. Zum Beispiel Yair Koifman. Der 32-Jährige kaufte in seiner Psychose für 5000 Dollar Spielkonsolen und verschenkte sie an Unbekannte, „ich hielt das für ganz normal, ich hielt mich für ganz normal“, sagt er. „Ich habe nichts von meiner Psychose gespürt, ich habe die anderen für verrückt gehalten.“

Während seines Armeedienstes war Koifman in einer Spezialeinheit im Libanon stationiert, danach fuhr er nach Indien, rauchte Charras, nahm Ecstasy und LSD. Koifman spürte nicht, wie er sich von sich selbst entfernte, fühlte er sich dank der Drogen doch gerade ganz bei sich. „Ich brauchte Jahre, um meine Psychose zu erkennen“, sagt er. Auch als er von einem Freund wieder nach Israel geholt wurde, in einer Klinik war, fühlte er sich lange Zeit nicht krank. Irgendwann kam die Erkenntnis und mit ihr die Depression, sie hält bis heute an. „Ich kann keine Glücksmomente mehr erleben, fühle keine intensiven Emotionen, erst recht keine Euphorie“, sagt Koifman. Das, was die Drogen einst verstärkten, nahmen sie ihm gleichermaßen.

Neben der Megalomanie gibt es einen anderen Aspekt der Psychose, den man bei jenen erkennen kann, die nackt am Ganges stehen und ihre Ausweispapiere in den Fluss werfen, damit sie keiner mehr identifizieren kann.

„Sie geraten in einen paranoiden Wahn, weil sie viel sensibler sind als wir“, sagt Hilik Magnus. In dieser Hyperempfindlichkeit können sie ihre Ängste nicht mehr rational herleiten und einordnen. „Sie schlafen nicht mehr“, sagt Magnus, „sie werden ängstlich, irgendwann hysterisch, dann aggressiv.“ Oft werden sie dann von anderen in Hütten gesperrt und an Betten gefesselt, selten mit Wasser und Nahrung versorgt. „Die Inder und selbst die israelischen Freunde fürchten sich, sie erzählen, dass es einmal zwölf Mann gebraucht habe, um den Psychotiker in seiner Tobsucht zu fixieren, nachdem er das gesamte Inventar zerschlagen hatte“, sagt Magnus.

Er könne solche Männer jedoch wieder beruhigen, „Menschen auf Psychose zu kontrollieren heißt, sich selber zu kontrollieren“. Ein Psychotiker werde aufgrund seiner enormen Sensibilität zu einem Spiegel der Gefühle anderer und gleichzeitig zu einem Verstärker derselben. „Wenn man Angst hat, bekommt er noch viel stärkere Angst“, sagt Hilik Magnus.

Daher wird er zu einer Art Gefühlsneutrum, hält seine Emotionen zurück. Das sei der Grund, warum er noch nie angegriffen wurde – und warum Eltern ihre Kinder aus der Situation nicht befreien könnten, „viel zu emotional“, sagt Magnus.

Hilik Magnus reagiert auf nichts, was der Psychotiker erzählt. Wenn jemand glaubt, es überfahre ihn gerade ein Zug, sagt Magnus nur: „Es ist 12 Uhr 34, ein sonniger Montag, wir sind in Goa und werden in sechs Minuten im Hotel sein, wo ich dir einen Orangensaft kaufe.“

Genaue Pläne und Strukturen seien das Wichtigste, was man den Leuten zurückgeben müsse, „dazu Wasser und Seife, saubere Kleidung und Essen. Oft haben sie tagelang in einer Hütte vegetiert. Deshalb musst du ihnen Kontrolle und Normalität zurückgeben, in einer Psychose spürt man meist, dass man Dinge tut, die man nicht will, doch man kann sich nicht stoppen. Es ist der vollständige Verlust der Selbstkontrolle.“

Jedes Jahr führt Magnus 50 bis 80 verlorene Israelis aus Indien wieder zurück in ihr Land. Hunderte bis Tausende seien es wohl insgesamt, er habe darüber keine Statistik. „13 habe ich nicht retten können“, sagt Magnus, da zählt er genau. Gerade hat er erfahren, dass ein 34-Jähriger, den er vor einer Woche nach Israel geholt hat, gestorben ist.

Die meisten, die er rettet, kommen nach Kfar Izun an der nördlichen Küste Israels, einer weltweit einzigartigen Drogenklinik unter Palmen.

Der ehemalige Kommandeur und Sozialarbeiter Omri Frish wollte vor allem den Soldaten, die durch Drogen psychische Probleme bekommen haben, eine bessere Behandlungsmethode bieten, als sie normalerweise in einer Psychiatrie bekommen.

In seinem „Harmonie-Dorf“ Kfar Izun erholen sich die Israelis direkt am Meer. „Wir wollten eine ähnliche Situation schaffen wie die, in der alles begann: Nach einem Trip nach Indien kann man die Leute nicht in eine sterile Umgebung stecken“, sagt Omri Frish.

In Kfar Izun, einem ehemaligen Kibbuz, gibt es weder Zäune noch Mauern, nur weiten Strand unter hohem Himmel und tiefe Sofas. In der Sitzecke unter einem Sonnensegel zupft einer der Patienten auf den Saiten seiner Gitarre, irgendwo trommelt jemand, der Rhythmus mischt sich mit der Meeresbrandung. Es ist ein Feriendorf mit kleinen gelben Hütten hinter Blumenbeeten, die Bewohner waschen ihre Wäsche selbst – Kommune statt Klinik.

Das Handy von Omri Frish klingelt, es ist Hilik Magnus, er bringt einen neuen Patienten. Ihre Erfolgsquote liegt laut Omri Frish und Hilik Magnus bei 94 Prozent. „Nach einer viermonatigen Behandlung kann man wieder einen normalen Alltag aufnehmen“, sagt Frish.

Alle Patienten sind freiwillig hier. Kfar Izun ist eine Organisation, die keinen Profit macht und sich mit Spenden unterhält. Kost und Therapie bezahlen die Eltern für ihre Kinder.

Gruppengespräche, Einzelsitzungen, Kunsttherapie, Shiatsu-Massagen, Yoga: Genesung nach modernstem Standard. „Nur Surfen gehen können wir nicht“, sagt Omri Frish, „die Patienten brauchen einen festen Halt unter ihren Füßen, oft lasse ich sie barfuß gehen, damit sie wieder Sicherheit gewinnen.“

Der Prospekt der Klinik wirbt damit, dass die meisten in Kfar Izun „junge Erwachsene nach ihrem Armeedienst, viele aus Eliteeinheiten“, seien.

Dass junge Leute nach Drogenexperimenten psychische Probleme bekämen, könne durchaus etwas mit dem Militärdienst zu tun haben, glaubt Omri Frish. „Die Armee hat oft etwas mit Todeserfahrung zu tun, diese Erlebnisse schlummern in den Leuten und brechen aus, wenn bestimmte Substanzen ins Spiel kommen.“ Aber dass die jungen Israelis gezielt Drogen nähmen, um die Szenen aus der Armeezeit zu vergessen, glaubt Frish nicht.

Anderer Ansicht ist Hagit BonnyNoach. Sie glaubt, dass die Erfahrungen der langen Militärzeit für viele eine entscheidende Rolle spielen. „Ich habe Psychotiker gesehen, die verdreckt und zitternd in einer Ecke saßen, ihr Bettlaken und die restliche Kleidung aber akkurat wie bei der Armee gefaltet hatten“, sagt sie. Die 41-jährige Kriminologin hat vergangenes Jahr ihre Studie über „Rucksackreisende und Drogen“ veröffentlicht. „Auch ihre Sprache ist militärisch, wenn sie ihre Haschischpfeife reinigen, benutzen sie den gleichen Ausdruck wie für das Reinigen ihrer Waffe.“

Allerdings sieht Bonnie-Noach die Ursache des Drogenmissbrauchs in einem gesellschaftlichen Phänomen. „Ganz Israel braucht eine Therapie“, sagt sie. „Wir haben das Gefühl, von Feinden umringt zu sein. Viele tragen Waffen, haben Angst, wollen ihr Land verteidigen, spüren Stress.“ Die Flucht in Drogen sei naheliegend. „Doch wir übertreiben, machen alles extrem, nehmen daher auch viel zu exzessiv Drogen.“

Viele Israelis würden jeden Tag im Land als ihren letzten wähnen, weil schon morgen eine Bombe fallen könne. So erkläre sich vielleicht der Drang, das Heute im Rausch erleben zu wollen.

Svenja Kleinschmidt

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