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Essen und Trinken: Der kölsche Kuchen

Sie nennen ihn Rievkooche, diesen kleinen Fladen aus geriebenen Kartoffeln. Selbst Leonardo di Caprio steht darauf. Eine Hommage zum rheinischen Karneval.

Und plötzlich war sie weg. Jeder kannte dieses Wahrzeichen der Stadt, das Erste, was der Reisende von Köln sah (und roch), wenn er aus dem Hauptbahnhof trat, noch vor dem Kölner Dom – einfach weg. Der Platz sollte 2004 schöner, und das hieß: cleaner werden. Da war kein Platz mehr für die Rievkoochebud, an der es spritzte und triefte und, nun ja, kräftig roch. Dabei ist der Rievkooche (oder Rievkoche, wie er auch geschrieben wird) so kölsch wie Klüngel und Karneval. Ein klassisches fleischloses Freitagsessen, oft ambulant an Buden, ja, früher selbst aus Wohnzimmerfenstern heraus verkauft. Die Band Bläck Fööss hat ihm 1970 ein Liebeslied zum Mitschunkeln gewidmet, den „Rievkoochewalzer“ (auf Youtube auch zum Mitschunkeln): „Mamm, Mamm, schnapp d’r de Pann,/Mir wolle Rievkooche han!“ Sogar ein Museum hat es für den in viel Fett gebackenen Fladen aus roh geriebenen Kartoffeln gegeben, gleich neben dem Karnevalsmuseum. Die Institution gab’s allerdings nur für einen Tag. Das Ganze war ein Aprilscherz mit melancholischem Hintergrund, eine Antwort auf das Verschwinden der Reibekuchenbude am Hauptbahnhof und anderswo. Denn das Kölner Kulturgut ist gefährdet, verdrängt von Döner-, Pizza- und Pommesbuden. Eigentlich komisch: Reibeplätzchen, wie wir sie im Ruhrgebiet nannten, gibt es, mit kleinen Variationen und unter unterschiedlichen Namen, auf der ganzen Welt. Selbst Leonardo di Caprio ist ganz wild darauf. Aber dessen Mutter kommt ja auch aus Oer-Erkenschwick. In der Schweiz heißen sie Rösti, in Berlin Kartoffelpuffer, im Vogtland Bambes, in den USA hash browns, in Bayern Reiberdatschi, im Erzgebirge Griene Fratzen, in der Ukraine Deruny ... Aber ausgerechnet die Rheinländer, die bis zum 18. Jahrhundert die Kartoffel nicht mal kannten, sind diejenigen, die den Rievkooche als Beleg für ihren Erfindungsreichtum feiern, als „Kölner Götterspeise“. Warum, weiß kein Mensch. Außer Hejo Emons, der dem Rievkooche ein kleines, leider vergriffenes Büchlein gewidmet hat. Im Gespräch erklärt der auf Regionales spezialisierte Kölner Verleger, dass der Kölner gern ein bisschen besoffen von sich selber sei. Vielleicht auch vom vielen Kölsch, weshalb so mancher Jeck sich in diesen Tagen besonders viele Rievkooche einverleibt, obwohl sie keine eigentliche Karnevalsspezialität wie die Mutzenmandeln sind: als deftige Unterlage für exzessives Feiern. Im Grunde, erklärt der Volkskundler Berthold Heizmann, ist dies das Wesen aller Regionalküchen: Man hat ähnliche Zutaten, aber dann macht jeder ein bisschen was anderes draus. So wie aus Hackfleisch Bouletten und Frikadellen werden, Hamburger und Köfte … Heizmann, der eigentlich Schwabe ist, hat gerade ein Lexikon der Rheinischen Küche geschrieben, das in Kürze im Greven Verlag erscheint, „Von Apfelkraut bis Zimtkuchen“. Apfelkraut oder Rübenkraut, eine zähe schwarze Masse, die ebenso köstlich wie hässlich und vielseitig verwendbar ist (wie Holger Zurbrüggen in seinem Rezept unten demonstriert), essen Rheinländer besonders gern zum Rievkooche. Außerdem gebuttertes Schwarzbrot als Grundlage und Apfelmus als Topping. Danach braucht man einen Schnaps. Die Beliebtheit des Reibekuchens auf aller Welt ist schnell erklärt: Es ist billiges Armeleuteessen, das interessanter schmeckt als eine einfache gekochte Kartoffel. Außerdem ist der Puffer Nahrung für die Seele, ist er doch verbunden mit Erinnerungen an die „Mamm“, die Mutter, den Uropa, die Nachbarin, oder wer auch immer sich aufopferungsvoll an den Herd gestellt hat. „Reibekuchen alleine backen, alleine essen, vollkommen sinnlos“, schreibt der Kölner Schriftsteller Jürgen Becker in einer wunderbaren kleinen Hymne auf die Produktion in der eigenen Küche. Dazu gehören immer mindestens zwei, wie er sagt: „Jemand, der an der Pfanne steht, und jemand, der vorm Teller sitzt. Denn Reibekuchen gehören von der Pfanne direkt auf den Teller, gehören so heiß gegessen, wie sie gebacken sind.“ Dann geht der Wettkampf los: Wer schafft am meisten? Der gewöhnliche Mensch schafft drei Stück, meine Schwester hat, gegen meinen Bruder, ein Dutzend verdrückt, Beckers Rekord liegt bei 28. Da war er ein kleiner Junge, und es war Krieg. Der hat noch niemanden vom Kartoffelpuffer abgebracht. Joachim Ringelnatz hat mitten im Ersten Weltkrieg welche fabriziert, mit vom Feld gestohlenen Kartoffeln. „Ich hatte ein Reibeisen aus einer Konservendose verfertigt, und ein Heizer schmiedete aus einer Kohlenschaufel eine Bratpfanne. Als Fett nahmen wir bestes Maschinenöl.“ Das kriegt man heute ein bisschen feiner: In Höhn’s Dom-Brasserie in der Kölner Südstadt werden sie auf einer Etagere, mit Lachs und Tartar oder selbst gemachtem Apfelkompott serviert. Kenner sagen, es seien die besten der Stadt. Und in der Tat, klein, dünn, knusprig und nicht so fettig sind sie, „à la minute“ aus Kartoffeln vom Bauern in frischem Fett gebraten. Nur so, frisch gemacht, sind sie zu empfehlen. Fertigpuffer taugen allenfalls dazu, sie an die Wand zu nageln, wie Judith Samen es getan hat. Die Düsseldorfer Künstlerin hämmerte für eine Installation, die im letzten Jahr in der großen Ausstellung „Eating the Universe“ zu sehen war, 754 gebratene Puffer an die Wand. Das Ergebnis: ein Bild von abstrakter und zugleich sinnlicher Schönheit, Braun in Braun, eine kleine Provokation, ein scherzhafter Seitenhieb auf des Deutschen Liebe zur Kartoffel. Judith Samen hat lange mit ihrem Arbeitsmaterial experimentiert. Aber all ihre frisch gebratenen Reibekuchen hielten es an der Wand nicht aus. Die einzigen, die nicht auseinanderfielen, waren die fertigen aus der Tiefkühltruhe. Mh. Was für ein Zement da wohl drinsteckt. Aber richtig selber machen – so viel Heldentum wie die Frau von Jürgen Becker, der sie dafür auch in die Arme nimmt, „wenn sie mir für den Freitagabend Reibekuchen verheißt“, besitzen nicht mehr viele Menschen. Das Schälen und Reiben und Ausdrücken macht Arbeit, gefährlich ist es auch, schnell schabt man sich an der scharfen Reibe die Haut vom Finger. Und dann der Gestank, Kleider, Haare, das ganze Haus riecht noch drei Tage danach. Das können, wollen – oder dürfen nur wenige. Deswegen isst man sie am besten außer Haus. Noch heute sind Rievkooche ein Muss auf Weihnachtsmarkt und Kirmes, auf Wochenmärkten findet man sie auch. Und natürlich in den Kölner Brauhäusern und Traditionskneipen, im Früh em Veedel oder Haus Scholzen etwa. Einige Lokale halten auch an der Tradition fest, sie nur zu bestimmten Zeiten zu servieren. Im Haus Töller gibt es sie freitags von 17 bis 20 Uhr, in der Bickendorfer Gaffelstube samstagmittags um zwölf. An der Decke der Eckkneipe hängt buntes Krepppapier, an den Lampen Luftschlangen, an den Wänden Plastik-Clowns. Um zwölf stehen die Leute vor der Tür. Seit fünf Jahren betreibt der Wirt die Kneipe, in der er früher selber Stammgast war, die Idee mit dem Reibekuchen hatte er von Anfang an. Der 57-Jährige, der Rievkooche bei der Uroma immer freitags zur Buttermilch-Bohnensuppe bekam, hat einen deutschen Freund auf Mallorca, wenn der gelernte Koch dem welche gebraten hat, „war der selig“. Zuerst hat er es am Mittwochabend versucht, aber das hat nicht geklappt. Am Ende musste er haufenweise Teig wegschmeißen, am nächsten Tag war der ja nicht mehr zu gebrauchen. Samstagmittags nun kommen viele Stammgäste, auch für Reibekuchen to go. Das Stück für 1,10 Euro. Die beiden alten Damen am Nachbartisch sind schon beim Schnäpschen angekommen, nicht der erste und auch der letzte nicht. Die beiden sind Experten. Auf dem Weihnachtsmarkt wissen sie genau, wo es den besten Reibekuchen und wo den besten Glühwein gibt. Oft fragt die eine Freundin die andere, ob sie Lust hat auf Reibekuchen („Man muss schon Lust darauf haben!“), und dann kommen sie her. Allein für sich zu Hause würden sie nie welche braten, „das lohnt sich nicht“, und das gute Fett müssen sie dann auch wegschmeißen. Wenn sie ihre Portion nicht schaffen, kriegen sie die Reste eingepackt. Für aufs Butterbrot. Kalt: So mögen manche den Rievkooche am liebsten.

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