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Gesellschaft: Spargel sucht Flasche

Die Saison der weißen Stangen beginnt – und damit die Verwirrung. Welcher Wein passt ideal zum Spargel? Selbst Experten sind sich uneinig. Da hilft nur eins: der große Test.

So viel Spargel war nie. Auf 23 000 Hektar heimischer Anbaufläche sollen in dieser Stangensaison mehr als 100 000 Tonnen geerntet werden. Meist von rumänischen und polnischen Saisonkräften, die für fünf bis sieben Euro die Stunde Deutschlands Edelgemüse aus der Erde holen.

Aber immer öfter geschieht das auch per Joystick: Spargelpanther genannte Maschinen, mit moderner Lasertechnik ausgerüstet, werden über die Dämme gefahren und stechen vollautomatisch, was ihnen unter den Greifarm kommt. Wer erinnert sich da noch an die glorreichen Zeiten, als Politiker zur Erntezeit Arbeitslose in den Acker abkommandieren wollten. Die Ärzte hatten Hochbetrieb, um die Krankschreibungen zu bewältigen; die orthopädische Komplikation war fester Bestandteil des großen Stechens. Vorbei!

Ganz ohne Arbeitslosenbrigaden türmt sich jetzt das Sprossengewächs in den Gemüseläden. Die Saison erreicht langsam ihren ersten Höhepunkt. Kein Restaurant, in dem nicht regionaler Bleichspargel angerichtet wird, meist von Kartoffeln, Schinken oder Räucherlachs umrahmt. Und wie jedes Jahr verlangen die Esser nach der angemessenen Eskorte: Junges, knackiges Gemüse, schlank, mit appetitlichem Äußeren sucht eleganten, anschmiegsamen Partner für gemeinsames Tafeln. Schon stehen die Aspiranten Schlange: Spargelweine.

Neben Sommer- und Pizzawein ist Spargelwein eine der am häufigsten aufgerufenen önologischen Spezies. Aber gibt es ihn überhaupt? Welche Rebsorten und Weinstile eignen sich jenseits von allem Marketing-Geschwätz tatsächlich als Begleiter für des Deutschen heiligstes Gemüse?

Als in hiesigen Weinbergen – lange her – noch alte klassische Rebsorten dominierten, galt Sylvaner als beste Wahl. Der sanfte säurearme Weiße mit dem eigentümlichen Aromagefüge liebt Gemüse und war deshalb als Spargeltrunk an Nummer eins gesetzt. Doch die Lust am Experimentieren und neue Spargelrezepte brachten ihn als Alleinunterhalter zu Fall.

Immer öfter favorisieren Weinmagazine jetzt Weiß- und Grauburgunder. Und mit dem Erfolg der internationalen Rebsorten Sauvignon Blanc und Chardonnay kamen weitere Kandidaten als Spargelkonvoi auf den Tisch. Pfälzer Winzergenossenschaften wiederum wählen jedes Jahr einen Riesling als ultimativen Spargelwein, dem sie ein eigenes Spargeletikett spendieren.

Ja, was denn nun? Riesling mit seiner betonten Säure oder doch lieber ein weicher Sylvaner?

Fragen an den Experten Reinhold Paukner, Autor des Wälzers „Brevier der perfekten Weinwahl“. Der Meister räuspert sich und empfiehlt zu Spargelspitzen mit Räucherlachs und einem Klecks Crème fraiche: Sauvignon Blanc oder Grünen Veltliner. Die Verwirrung wächst. Konsultieren wir einen bodenständigen Winzer, der muss es wissen. Charles Schleret, Elsässer aus Turckheim, trinkt – genau wie Münchens bekannte Sommelière Paula Bosch – Muskateller zum Spargel. Die zwei verstehen sich, sagt Schleret.

Man kann die Sache gerne auf die Spitze treiben. Die britische Weinautorität Hugh Johnson rät zu üppigem australischen Semillon oder leicht süßem Elsässer Grauburgunder. Haben wir jetzt alle Rebsorten durch? Halt, Rotwein fehlt noch. Der große Wolfgang Siebeck – na klar! – genehmigt sich zum gebratenen Spargel gern mal ein Gläschen Spätburgunder. Zum Wohlsein!

So droht der Spargelwein in önologischer Beliebigkeit unterzugehen. Jeder trinkt, was er will, und alle reden trotzdem gern vom Spargelwein.

Der Grund für die Vielfalt der unterschiedlichsten Weinempfehlungen liegt auch in der Vielfalt der Gerichte. Mal werden die Stangen klassisch mit geschmolzener Butter oder einer zitronig-dicken Hollandaise, mal mit Kresseschaum oder Morchelrahm serviert, mal als Salat mit Kräutern, Ei und Schalotten inklusive Vinaigrette, mal mit einem Kalbsteak oder Wiener Schnitzel, dann wieder mit Lachs oder Hechtklößchen im Gefolge, manchmal sogar überbacken mit Parmesan.

„Man muss immer das Gericht als Ganzes sehen“, sagt Bernd Kreis. Der Stuttgarter Weinhändler und Top-Sommelier tendiert bei der Wahl des Spargeltropfens zu den Rebsorten Weißburgunder und Sylvaner, „auch ein Müller-Thurgau kann gut funktionieren“. Alle drei Rebsorten sind eher mild in der Säure. Denn die Säure des Weins verstärke nun mal die Bitternoten des Spargels, sagt Kreis. Umgekehrt verstärke seine Bitterkeit auch die Säure des Weins. Deshalb scheide ein knackiger Riesling als Spargelbegleiter schon mal aus. Auch im Barrique ausgebaute Weine mit entsprechender Holznote vertragen sich schlecht mit den bleichen Stangen.

Kreis serviert meist leichte Weine zum Spargel, also einfache Qualitäts- oder Kabinettweine. Kommt ein Wiener Schnitzel oder Kalbsteak als Beilage dazu, verändert er nicht die Rebsorte, sondern die Schlagzahl: Dann darf’s auch mal eine üppigere Spätlese sein – mit mehr Schmelz und Struktur.

Von den üblichen Verdächtigen bei der Rebsortenwahl weicht der Stuttgarter Experte immer dann ab, wenn Räucherlachs ins Spiel kommt, etwa mit einer Kräutersauce. In dieser Kombination serviert er lieber einen Sauvignon Blanc, der etwas lauter auftritt als ein introvertierter Weißburgunder und Sylvaner.

In dem anregenden Kombinationsspiel wird allerdings eines gern vergessen: Spargel ist ein durchaus schwieriger Kandidat für den Wein. Die Kölner Weinautorin Christina Fischer schreibt, die „faserige, gemüsige Konsistenz und das typische Spargelaroma lassen die meisten Tropfen unangenehm metallisch und oft bitter erscheinen“. Auch sie warnt: Spargel mag keine Säure! Zugleich lobt sie die gutmütige Kartoffel, die mit ihrem stärkehaltigen Innenleben gleichsam als Puffer wirke und es den Weinen leichter mache. Jenseits von konkreten Rebsorten favorisiert Fischer beim Spargelwein „eine eher cremige viskose Konsistenz und sanften Schmelz“. Weinempfehlungen gibt sie für typische Spargelsaucen, wobei Sylvaner und Burgundersorten am häufigsten genannt werden.

Auch die vom Tagesspiegel angesprochenen Berliner Weinhändler haben in der Vorbereitung unseres Weintests immer wieder Weiß- und Grauburgunder sowie Sylvaner als mögliche Kandidaten genannt und ins Rennen geschickt.

In unserem Test haben wir den Spargel nur mit geschmolzener, leicht gebräunter französischer Butter sowie Kartoffeln (die gute Bio-Linda!) serviert, also ohne Schinken oder Lachs. Geschmacklich auffällig waren dabei die Süße unseres (sehr frühen) Spargels und die kaum vorhandenen Bitternoten.

Spargelanbauer Martin Waßmer, zugleich Spitzenwinzer im Badischen, sieht bei den heute dominierenden Spargelsorten und Anbaumethoden nur noch sehr leichte Bitternoten. Das liegt auch an den Sorten: „Giynlim“, „Backlim“ – beide aus Holland –, „Ravel“ und „Ramirez“ heißen die inzwischen marktgängigen Spargel. Sie stehen für hohen Ertrag, gut geschlossene Köpfe und meist nur zarte Bitternoten.

Doch Bitterkeit und Süße hängen auch von den Anbaumethoden und vom Wetter ab. Keiner weiß das besser als Spargelprofessor Peter Paschold, der über Jahrzehnte als Fachgebietsleiter Gemüsebau in der Forschungsanstalt Geisenheim dem Innenleben des Spargels auf der Spur war.

Paschold sieht vor allem Stress als Auslöser für Bitternoten. Starke Temperaturwechsel mit kalten und warmen sowie trockenen und nassen Tagen sind häufig die Ursache. Die Spargelpflanze sieht sich dann bedroht und produziert zur Abwehr gegen Fraßfeinde ihre Bitterstoffe. Durch den Folienanbau werden solche Temperaturwechsel deutlich gemildert.

Und die Süße? Sie kommt aus den Wurzeln des Spargels und wird im Sommer gebildet. Heutiger Spargel ist deutlich süßer. Auch hier spielt allerdings das Wetter eine wichtige Rolle. Sehr schnell gewachsener „hitziger“ Spargel ist, wie Paschold erklärt, weniger süß als langsam und regelmäßig gewachsener.

Weine reagieren auf Bitterkeit und Süße sehr empfindlich, weshalb der ausgewählte Spargelwein mal besser, mal schlechter funktioniert. Am Ende erhöhen solche Unwägbarkeiten aber nur das Vergnügen an der Verkuppelung zweier höchst lebendiger Produkte.

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